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Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768.

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zweyter Aufzug.
Gaddo. Das ist sonderbar. Aber ich will sterben, wenn
ich weiß, wie ich nun schon wieder hieher gekommen bin.
Anselmo. Du bist nicht vom Fleck gekommen, Gaddo.
Du hast geschlafen. Besinne dich. Du hast geträumt.
Gaddo. Geträumt? Possen! Fühl ichs denn etwa nicht,
daß ich satt bin? Und vor kurzem hungerte mich noch so sehr!
Anselmo. Recht so habe ich von Leuten gehört, die aus
Hunger geträumt hatten, sie ässen, und beym Erwachen hun-
gerte sie nicht. Jch wünsche dir Glück zu deinem Traum; auch
zweifle ich keinesweges an der guten Vorbedeutung. Wenn du
nicht gegessen hast, Gaddo, so bist du doch auf dem Wege zu essen.
Du weißt, daß es Francesco gelungen ist, uns vielleicht noch in
dieser Nacht zu befreyen.
Gaddo. Jch? ich weiß kein Wort davon.
Anselmo. Du sagtest mir eben itzt, daß du es wüßtest.
Gaddo. Sagte ichs? Ja, so ists offenbar, daß ich nur ge-
träumt habe. Jch dummer Gaddo! Fast möcht ich weinen.
Anselmo. Warum weinen? Hörst du denn nicht, kleiner
Träumer, daß du noch in dieser Nacht essen sollst?
Gaddo. Jst der Thurmwärter wieder da? Der gute Thurm-
wärter! Wo ist er? Jch sehe ihn nicht.
Anselmo. Nicht der Thurmwärter, sondern Francesco,
bringt Speise und Trank, und Freyheit und Freude.
Gaddo. Wenns nur gebracht wird! Zwar von Francescos
Hand wird es mir noch besser schmecken. Jch liebe Francesco sehr.
Anselmo. Du haftest noch überall an der Schüssel. Fran-
cesco bringt nicht blos Speise, sondern Freyheit.
Gaddo. Was geht mich Freyheit an! Hab ich doch zu essen!
Anselmo. Welch ein Gedanke! Gehn dich die aromatischen
Blumenfelder, geht dich die Villa Gherardesca, geht dich der
neue Himmel, die neue Sonne, die neue Erde nichts an?
Gaddo. Nichts, Anselmo; ich esse.
An-
C 2
zweyter Aufzug.
Gaddo. Das iſt ſonderbar. Aber ich will ſterben, wenn
ich weiß, wie ich nun ſchon wieder hieher gekommen bin.
Anſelmo. Du biſt nicht vom Fleck gekommen, Gaddo.
Du haſt geſchlafen. Beſinne dich. Du haſt getraͤumt.
Gaddo. Getraͤumt? Poſſen! Fuͤhl ichs denn etwa nicht,
daß ich ſatt bin? Und vor kurzem hungerte mich noch ſo ſehr!
Anſelmo. Recht ſo habe ich von Leuten gehoͤrt, die aus
Hunger getraͤumt hatten, ſie aͤſſen, und beym Erwachen hun-
gerte ſie nicht. Jch wuͤnſche dir Gluͤck zu deinem Traum; auch
zweifle ich keinesweges an der guten Vorbedeutung. Wenn du
nicht gegeſſen haſt, Gaddo, ſo biſt du doch auf dem Wege zu eſſen.
Du weißt, daß es Franceſco gelungen iſt, uns vielleicht noch in
dieſer Nacht zu befreyen.
Gaddo. Jch? ich weiß kein Wort davon.
Anſelmo. Du ſagteſt mir eben itzt, daß du es wuͤßteſt.
Gaddo. Sagte ichs? Ja, ſo iſts offenbar, daß ich nur ge-
traͤumt habe. Jch dummer Gaddo! Faſt moͤcht ich weinen.
Anſelmo. Warum weinen? Hoͤrſt du denn nicht, kleiner
Traͤumer, daß du noch in dieſer Nacht eſſen ſollſt?
Gaddo. Jſt der Thurmwaͤrter wieder da? Der gute Thurm-
waͤrter! Wo iſt er? Jch ſehe ihn nicht.
Anſelmo. Nicht der Thurmwaͤrter, ſondern Franceſco,
bringt Speiſe und Trank, und Freyheit und Freude.
Gaddo. Wenns nur gebracht wird! Zwar von Franceſcos
Hand wird es mir noch beſſer ſchmecken. Jch liebe Franceſco ſehr.
Anſelmo. Du hafteſt noch uͤberall an der Schuͤſſel. Fran-
ceſco bringt nicht blos Speiſe, ſondern Freyheit.
Gaddo. Was geht mich Freyheit an! Hab ich doch zu eſſen!
Anſelmo. Welch ein Gedanke! Gehn dich die aromatiſchen
Blumenfelder, geht dich die Villa Gherardeſca, geht dich der
neue Himmel, die neue Sonne, die neue Erde nichts an?
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An-
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[19/0025] zweyter Aufzug. Gaddo. Das iſt ſonderbar. Aber ich will ſterben, wenn ich weiß, wie ich nun ſchon wieder hieher gekommen bin. Anſelmo. Du biſt nicht vom Fleck gekommen, Gaddo. Du haſt geſchlafen. Beſinne dich. Du haſt getraͤumt. Gaddo. Getraͤumt? Poſſen! Fuͤhl ichs denn etwa nicht, daß ich ſatt bin? Und vor kurzem hungerte mich noch ſo ſehr! Anſelmo. Recht ſo habe ich von Leuten gehoͤrt, die aus Hunger getraͤumt hatten, ſie aͤſſen, und beym Erwachen hun- gerte ſie nicht. Jch wuͤnſche dir Gluͤck zu deinem Traum; auch zweifle ich keinesweges an der guten Vorbedeutung. Wenn du nicht gegeſſen haſt, Gaddo, ſo biſt du doch auf dem Wege zu eſſen. Du weißt, daß es Franceſco gelungen iſt, uns vielleicht noch in dieſer Nacht zu befreyen. Gaddo. Jch? ich weiß kein Wort davon. Anſelmo. Du ſagteſt mir eben itzt, daß du es wuͤßteſt. Gaddo. Sagte ichs? Ja, ſo iſts offenbar, daß ich nur ge- traͤumt habe. Jch dummer Gaddo! Faſt moͤcht ich weinen. Anſelmo. Warum weinen? Hoͤrſt du denn nicht, kleiner Traͤumer, daß du noch in dieſer Nacht eſſen ſollſt? Gaddo. Jſt der Thurmwaͤrter wieder da? Der gute Thurm- waͤrter! Wo iſt er? Jch ſehe ihn nicht. Anſelmo. Nicht der Thurmwaͤrter, ſondern Franceſco, bringt Speiſe und Trank, und Freyheit und Freude. Gaddo. Wenns nur gebracht wird! Zwar von Franceſcos Hand wird es mir noch beſſer ſchmecken. Jch liebe Franceſco ſehr. Anſelmo. Du hafteſt noch uͤberall an der Schuͤſſel. Fran- ceſco bringt nicht blos Speiſe, ſondern Freyheit. Gaddo. Was geht mich Freyheit an! Hab ich doch zu eſſen! Anſelmo. Welch ein Gedanke! Gehn dich die aromatiſchen Blumenfelder, geht dich die Villa Gherardeſca, geht dich der neue Himmel, die neue Sonne, die neue Erde nichts an? Gaddo. Nichts, Anſelmo; ich eſſe. An- C 2

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Zitationshilfe: Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstenberg_ugolino_1768/25>, abgerufen am 16.04.2024.