Gerstäcker, Friedrich: Germelshausen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 21–119. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.selbst jetzt noch hier beigesetzt, wie das letzte, ganz frische Grab bezeugte. Von der niederen Kirchhofmauer aus hatte man aber auch einen trefflichen Ueberblick über das alte Dorf, und Arnold benutzte rasch die Gelegenheit, eine Skizze davon zu entwerfen. Aber auch über diesem Platz lag der wunderliche Höhenrauch, und weiter dem Walde zu konnte er doch die Sonne hell und klar auf die Berghänge niederfallen sehen. Da schlug im Dorfe wieder die alte, zersprungene Glocke an, und Gertrud, sich rasch emporrichtend und die Thränen aus den Augen schüttelnd, winkte freundlich dem jungen Manne, ihr zu folgen. Arnold war rasch an ihrer Seite. Jetzt dürfen wir nicht mehr trauern, sagte sie lächelnd, die Kirche läutet aus, und nun geht es zu Tanze. Ihr habt bis jetzt wohl geglaubt, daß die Germelshausen lauter Kopfhänger wären; heut Abend sollt Ihr das Gegentheil gewahr werden. Aber da drüben ist doch die Kirchenthüre, sagte Arnold, und ich sehe Niemanden heraus kommen? Das ist sehr natürlich, lachte das Mädchen, weil Niemand hinein geht, der Pfarrer selber nicht einmal. Nur der alte Sacristan gönnt sich keine Ruhe und läutet die Kirche aus und ein. Und keins von euch geht in die Kirche? Nein -- weder zur Messe -- noch Beichte, sagte das Mädchen ruhig, wir liegen in einem Streite mit selbst jetzt noch hier beigesetzt, wie das letzte, ganz frische Grab bezeugte. Von der niederen Kirchhofmauer aus hatte man aber auch einen trefflichen Ueberblick über das alte Dorf, und Arnold benutzte rasch die Gelegenheit, eine Skizze davon zu entwerfen. Aber auch über diesem Platz lag der wunderliche Höhenrauch, und weiter dem Walde zu konnte er doch die Sonne hell und klar auf die Berghänge niederfallen sehen. Da schlug im Dorfe wieder die alte, zersprungene Glocke an, und Gertrud, sich rasch emporrichtend und die Thränen aus den Augen schüttelnd, winkte freundlich dem jungen Manne, ihr zu folgen. Arnold war rasch an ihrer Seite. Jetzt dürfen wir nicht mehr trauern, sagte sie lächelnd, die Kirche läutet aus, und nun geht es zu Tanze. Ihr habt bis jetzt wohl geglaubt, daß die Germelshausen lauter Kopfhänger wären; heut Abend sollt Ihr das Gegentheil gewahr werden. Aber da drüben ist doch die Kirchenthüre, sagte Arnold, und ich sehe Niemanden heraus kommen? Das ist sehr natürlich, lachte das Mädchen, weil Niemand hinein geht, der Pfarrer selber nicht einmal. Nur der alte Sacristan gönnt sich keine Ruhe und läutet die Kirche aus und ein. Und keins von euch geht in die Kirche? Nein — weder zur Messe — noch Beichte, sagte das Mädchen ruhig, wir liegen in einem Streite mit <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0032"/> selbst jetzt noch hier beigesetzt, wie das letzte, ganz frische Grab bezeugte.</p><lb/> <p>Von der niederen Kirchhofmauer aus hatte man aber auch einen trefflichen Ueberblick über das alte Dorf, und Arnold benutzte rasch die Gelegenheit, eine Skizze davon zu entwerfen. Aber auch über diesem Platz lag der wunderliche Höhenrauch, und weiter dem Walde zu konnte er doch die Sonne hell und klar auf die Berghänge niederfallen sehen.</p><lb/> <p>Da schlug im Dorfe wieder die alte, zersprungene Glocke an, und Gertrud, sich rasch emporrichtend und die Thränen aus den Augen schüttelnd, winkte freundlich dem jungen Manne, ihr zu folgen.</p><lb/> <p>Arnold war rasch an ihrer Seite.</p><lb/> <p>Jetzt dürfen wir nicht mehr trauern, sagte sie lächelnd, die Kirche läutet aus, und nun geht es zu Tanze. Ihr habt bis jetzt wohl geglaubt, daß die Germelshausen lauter Kopfhänger wären; heut Abend sollt Ihr das Gegentheil gewahr werden.</p><lb/> <p>Aber da drüben ist doch die Kirchenthüre, sagte Arnold, und ich sehe Niemanden heraus kommen?</p><lb/> <p>Das ist sehr natürlich, lachte das Mädchen, weil Niemand hinein geht, der Pfarrer selber nicht einmal. Nur der alte Sacristan gönnt sich keine Ruhe und läutet die Kirche aus und ein.</p><lb/> <p>Und keins von euch geht in die Kirche?</p><lb/> <p>Nein — weder zur Messe — noch Beichte, sagte das Mädchen ruhig, wir liegen in einem Streite mit<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0032]
selbst jetzt noch hier beigesetzt, wie das letzte, ganz frische Grab bezeugte.
Von der niederen Kirchhofmauer aus hatte man aber auch einen trefflichen Ueberblick über das alte Dorf, und Arnold benutzte rasch die Gelegenheit, eine Skizze davon zu entwerfen. Aber auch über diesem Platz lag der wunderliche Höhenrauch, und weiter dem Walde zu konnte er doch die Sonne hell und klar auf die Berghänge niederfallen sehen.
Da schlug im Dorfe wieder die alte, zersprungene Glocke an, und Gertrud, sich rasch emporrichtend und die Thränen aus den Augen schüttelnd, winkte freundlich dem jungen Manne, ihr zu folgen.
Arnold war rasch an ihrer Seite.
Jetzt dürfen wir nicht mehr trauern, sagte sie lächelnd, die Kirche läutet aus, und nun geht es zu Tanze. Ihr habt bis jetzt wohl geglaubt, daß die Germelshausen lauter Kopfhänger wären; heut Abend sollt Ihr das Gegentheil gewahr werden.
Aber da drüben ist doch die Kirchenthüre, sagte Arnold, und ich sehe Niemanden heraus kommen?
Das ist sehr natürlich, lachte das Mädchen, weil Niemand hinein geht, der Pfarrer selber nicht einmal. Nur der alte Sacristan gönnt sich keine Ruhe und läutet die Kirche aus und ein.
Und keins von euch geht in die Kirche?
Nein — weder zur Messe — noch Beichte, sagte das Mädchen ruhig, wir liegen in einem Streite mit
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Zitationshilfe: | Gerstäcker, Friedrich: Germelshausen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 21–119. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstaecker_germelshausen_1910/32>, abgerufen am 16.02.2025. |