Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.§. 5. Deutsches Staatsrecht. Nutzens aus angesehen erscheint mithin die Wissen-schaft des deutschen Staatsrechts als eine Einleitung zu allen einzelnen deutschen Staatsrechten, in welcher die substantiellen Ideen für letztere in rechtswissenschaft- licher Entwickelung niedergelegt sind. Das deutsche Bundesrecht hat einen Bestand- Literatur des heutigen deutschen Staatsrechts. mene materielle Einheit beim Privatrechte in noch entschiedene-
rem Masse vorhanden ist, indem die fortwährende Einwirkung des gemeinsamen nationalen Geistes auf die Erzeugung des Privat- rechts weit weniger durch die staatliche Vielheit gekreuzt wird, als diess bei der Production des staatsrechtlichen Stoffs der Fall ist; denn diese dient ja recht eigentlich dem Ausbau der particu- lären Selbständigkeit. Etwas zu scharf ist diess indessen hervor- gehoben in meiner Schrift über öffentliche Rechte S. 11 flg. Eine Anomalie bleibt es freilich immer, dass die deutsche Wissenschaft genöthigt wird, aus den Particularrechten einen Rechtsstoff künst- lich auszuscheiden, um ihn ohne imperative Bedeutung, also ohne die naturgemässe Spitze jeder juristischen Darstellung, zu ent- wickeln. Es ist ein Zwiespalt, der genau dem Umstande ent- spricht, dass sich der Begriff des deutschen Volks und seine staat- liche Organisation nicht decken. §. 5. Deutsches Staatsrecht. Nutzens aus angesehen erscheint mithin die Wissen-schaft des deutschen Staatsrechts als eine Einleitung zu allen einzelnen deutschen Staatsrechten, in welcher die substantiellen Ideen für letztere in rechtswissenschaft- licher Entwickelung niedergelegt sind. Das deutsche Bundesrecht hat einen Bestand- Literatur des heutigen deutschen Staatsrechts. mene materielle Einheit beim Privatrechte in noch entschiedene-
rem Masse vorhanden ist, indem die fortwährende Einwirkung des gemeinsamen nationalen Geistes auf die Erzeugung des Privat- rechts weit weniger durch die staatliche Vielheit gekreuzt wird, als diess bei der Production des staatsrechtlichen Stoffs der Fall ist; denn diese dient ja recht eigentlich dem Ausbau der particu- lären Selbständigkeit. Etwas zu scharf ist diess indessen hervor- gehoben in meiner Schrift über öffentliche Rechte S. 11 flg. Eine Anomalie bleibt es freilich immer, dass die deutsche Wissenschaft genöthigt wird, aus den Particularrechten einen Rechtsstoff künst- lich auszuscheiden, um ihn ohne imperative Bedeutung, also ohne die naturgemässe Spitze jeder juristischen Darstellung, zu ent- wickeln. Es ist ein Zwiespalt, der genau dem Umstande ent- spricht, dass sich der Begriff des deutschen Volks und seine staat- liche Organisation nicht decken. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0029" n="11"/><fw place="top" type="header">§. 5. Deutsches Staatsrecht.</fw><lb/> Nutzens aus angesehen erscheint mithin die Wissen-<lb/> schaft des deutschen Staatsrechts als eine Einleitung zu<lb/> allen einzelnen deutschen Staatsrechten, in welcher die<lb/> substantiellen Ideen für letztere in rechtswissenschaft-<lb/> licher Entwickelung niedergelegt sind.</p><lb/> <p>Das deutsche <hi rendition="#g">Bundesrecht</hi> hat <hi rendition="#g">einen</hi> Bestand-<lb/> theil, welcher ganz und gar zum Inhalte des deutschen<lb/> Staatsrechts gehört. Ein anderer Theil desselben bildet<lb/> einen davon völlig unabhängigen selbständigen Rechts-<lb/> stoff.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Literatur des heutigen deutschen Staatsrechts.</hi><lb/> Die vollständigste Uebersicht ist enthalten in dem Werke<lb/> von R. v. <hi rendition="#g">Mohl,</hi> die Geschichte und Literatur der Staats-<lb/> wissenschaften, 2. Band (1856) S. 286 flg. Als die be-<lb/> deutendsten der das gegenwärtige deutsche Staatsrecht be-<lb/> treffenden Werke sind zu nennen: <hi rendition="#g">Klüber,</hi> öffentliches<lb/> Recht des deutschen Bundes und der Bundesstaaten, 4.<lb/> Aufl. 1840. <hi rendition="#g">Maurenbrecher</hi>, Grundsätze des heutigen<lb/> deutschen Staatsrechts, 2. Aufl. 1843. <hi rendition="#g">Weiss,</hi> System<lb/> des deutschen Staatsrechts 1843. <hi rendition="#g">Zöpfl,</hi> Grundsätze des<lb/><note xml:id="note-0029" prev="#note-0028a" place="foot" n="2">mene materielle Einheit beim Privatrechte in noch entschiedene-<lb/> rem Masse vorhanden ist, indem die fortwährende Einwirkung des<lb/> gemeinsamen nationalen Geistes auf die Erzeugung des Privat-<lb/> rechts weit weniger durch die staatliche Vielheit gekreuzt wird,<lb/> als diess bei der Production des staatsrechtlichen Stoffs der <hi rendition="#g">Fall</hi><lb/> ist; denn diese dient ja recht eigentlich dem Ausbau der particu-<lb/> lären Selbständigkeit. Etwas zu scharf ist diess indessen hervor-<lb/> gehoben in <hi rendition="#g">meiner</hi> Schrift über öffentliche Rechte S. 11 flg. Eine<lb/> Anomalie bleibt es freilich immer, dass die deutsche Wissenschaft<lb/> genöthigt wird, aus den Particularrechten einen Rechtsstoff künst-<lb/> lich auszuscheiden, um ihn ohne imperative Bedeutung, also ohne<lb/> die naturgemässe Spitze jeder juristischen Darstellung, zu ent-<lb/> wickeln. Es ist ein Zwiespalt, der genau dem Umstande ent-<lb/> spricht, dass sich der Begriff des deutschen Volks und seine staat-<lb/> liche Organisation nicht decken.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [11/0029]
§. 5. Deutsches Staatsrecht.
Nutzens aus angesehen erscheint mithin die Wissen-
schaft des deutschen Staatsrechts als eine Einleitung zu
allen einzelnen deutschen Staatsrechten, in welcher die
substantiellen Ideen für letztere in rechtswissenschaft-
licher Entwickelung niedergelegt sind.
Das deutsche Bundesrecht hat einen Bestand-
theil, welcher ganz und gar zum Inhalte des deutschen
Staatsrechts gehört. Ein anderer Theil desselben bildet
einen davon völlig unabhängigen selbständigen Rechts-
stoff.
Literatur des heutigen deutschen Staatsrechts.
Die vollständigste Uebersicht ist enthalten in dem Werke
von R. v. Mohl, die Geschichte und Literatur der Staats-
wissenschaften, 2. Band (1856) S. 286 flg. Als die be-
deutendsten der das gegenwärtige deutsche Staatsrecht be-
treffenden Werke sind zu nennen: Klüber, öffentliches
Recht des deutschen Bundes und der Bundesstaaten, 4.
Aufl. 1840. Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen
deutschen Staatsrechts, 2. Aufl. 1843. Weiss, System
des deutschen Staatsrechts 1843. Zöpfl, Grundsätze des
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2 mene materielle Einheit beim Privatrechte in noch entschiedene-
rem Masse vorhanden ist, indem die fortwährende Einwirkung des
gemeinsamen nationalen Geistes auf die Erzeugung des Privat-
rechts weit weniger durch die staatliche Vielheit gekreuzt wird,
als diess bei der Production des staatsrechtlichen Stoffs der Fall
ist; denn diese dient ja recht eigentlich dem Ausbau der particu-
lären Selbständigkeit. Etwas zu scharf ist diess indessen hervor-
gehoben in meiner Schrift über öffentliche Rechte S. 11 flg. Eine
Anomalie bleibt es freilich immer, dass die deutsche Wissenschaft
genöthigt wird, aus den Particularrechten einen Rechtsstoff künst-
lich auszuscheiden, um ihn ohne imperative Bedeutung, also ohne
die naturgemässe Spitze jeder juristischen Darstellung, zu ent-
wickeln. Es ist ein Zwiespalt, der genau dem Umstande ent-
spricht, dass sich der Begriff des deutschen Volks und seine staat-
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Zitationshilfe: | Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/29>, abgerufen am 16.07.2024. |