Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.Vierter Abschnitt. dessen Urtheil die Verantwortlichkeit realisirt und so-mit zugleich die Integrität des Grundgesetzes gegen- über der stattgefundenen Verletzung wieder hergestellt wird. Zu diesem Zwecke ist durch die Verfassungs- gesetze einzelner Staaten ein Staatsgerichtshof geschaffen worden, welcher über die von den Ständen angebrachten Ministeranklagen entscheidet. Die Einrichtung dieses Gerichtshofs ist verschieden; bald besteht er in einem besonderen Collegium, dessen Mitglieder theils vom Monarchen, theils von den Ständen5 ernannt, oder nach Art der Geschwornen6 berufen werden; bald wird der oberste Gerichtshof des Landes zugleich zum Staatsgerichtshofe erklärt.7 Zur Anklage legitimirt sind die Stände,8 und zwar nach einigen Verfassungen jede Kammer für sich,9 nach anderen nur die gesammte Ständeversammlung in übereinstimmendem Beschlusse beider Kammern.10 Das Urtheil des Staatsgerichtshofs geht entweder auf Entbindung und Lossprechung des Angeklagten, oder auf Verurtheilung desselben, d. h. 5 So z. B. in Württemberg, im Königreiche Sachsen und in Weimar. 6 So in Bayern. 7 So z. B. in Hannover, Hessen und mehreren Sächsischen Herzogthümern. 8 Ueber den Einfluss einer Auflösung der Kammern auf einen anhängig gemachten aber noch schwebenden Staatsprocess siehe Mohl, a. a. O. S. 245 flg. 9 So in Preussen (Art. 61.) und Württemberg (Art. 198.). 10 So in Bayern (Pözl, S. 216.), Sachsen (Art. 141.), Hannover
(§. 102.) u. s. w. Es leuchtet ein, dass diese Bestimmung zwar dazu beiträgt, frivole Anklagen abzuhalten, aber auch die Wirkung hat, das Anklagerecht selbst ausserordentlich zu erschweren. Vierter Abschnitt. dessen Urtheil die Verantwortlichkeit realisirt und so-mit zugleich die Integrität des Grundgesetzes gegen- über der stattgefundenen Verletzung wieder hergestellt wird. Zu diesem Zwecke ist durch die Verfassungs- gesetze einzelner Staaten ein Staatsgerichtshof geschaffen worden, welcher über die von den Ständen angebrachten Ministeranklagen entscheidet. Die Einrichtung dieses Gerichtshofs ist verschieden; bald besteht er in einem besonderen Collegium, dessen Mitglieder theils vom Monarchen, theils von den Ständen5 ernannt, oder nach Art der Geschwornen6 berufen werden; bald wird der oberste Gerichtshof des Landes zugleich zum Staatsgerichtshofe erklärt.7 Zur Anklage legitimirt sind die Stände,8 und zwar nach einigen Verfassungen jede Kammer für sich,9 nach anderen nur die gesammte Ständeversammlung in übereinstimmendem Beschlusse beider Kammern.10 Das Urtheil des Staatsgerichtshofs geht entweder auf Entbindung und Lossprechung des Angeklagten, oder auf Verurtheilung desselben, d. h. 5 So z. B. in Württemberg, im Königreiche Sachsen und in Weimar. 6 So in Bayern. 7 So z. B. in Hannover, Hessen und mehreren Sächsischen Herzogthümern. 8 Ueber den Einfluss einer Auflösung der Kammern auf einen anhängig gemachten aber noch schwebenden Staatsprocess siehe Mohl, a. a. O. S. 245 flg. 9 So in Preussen (Art. 61.) und Württemberg (Art. 198.). 10 So in Bayern (Pözl, S. 216.), Sachsen (Art. 141.), Hannover
(§. 102.) u. s. w. Es leuchtet ein, dass diese Bestimmung zwar dazu beiträgt, frivole Anklagen abzuhalten, aber auch die Wirkung hat, das Anklagerecht selbst ausserordentlich zu erschweren. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0204" n="186"/><fw place="top" type="header">Vierter Abschnitt.</fw><lb/> dessen Urtheil die Verantwortlichkeit realisirt und so-<lb/> mit zugleich die Integrität des Grundgesetzes gegen-<lb/> über der stattgefundenen Verletzung wieder hergestellt<lb/> wird. Zu diesem Zwecke ist durch die Verfassungs-<lb/> gesetze einzelner Staaten ein Staatsgerichtshof geschaffen<lb/> worden, welcher über die von den Ständen angebrachten<lb/> Ministeranklagen entscheidet. Die Einrichtung dieses<lb/> Gerichtshofs ist verschieden; bald besteht er in einem<lb/> besonderen Collegium, dessen Mitglieder theils vom<lb/> Monarchen, theils von den Ständen<note place="foot" n="5">So z. B. in Württemberg, im Königreiche Sachsen und in<lb/> Weimar.</note> ernannt, oder<lb/> nach Art der Geschwornen<note place="foot" n="6">So in Bayern.</note> berufen werden; bald<lb/> wird der oberste Gerichtshof des Landes zugleich zum<lb/> Staatsgerichtshofe erklärt.<note place="foot" n="7">So z. B. in Hannover, Hessen und mehreren Sächsischen<lb/> Herzogthümern.</note> Zur Anklage legitimirt sind<lb/> die Stände,<note place="foot" n="8">Ueber den Einfluss einer Auflösung der Kammern auf einen<lb/> anhängig gemachten aber noch schwebenden Staatsprocess siehe<lb/><hi rendition="#g">Mohl</hi>, a. a. O. S. 245 flg.</note> und zwar nach einigen Verfassungen jede<lb/> Kammer für sich,<note place="foot" n="9">So in Preussen (Art. 61.) und Württemberg (Art. 198.).</note> nach anderen nur die gesammte<lb/> Ständeversammlung in übereinstimmendem Beschlusse<lb/> beider Kammern.<note place="foot" n="10">So in Bayern (<hi rendition="#g">Pözl</hi>, S. 216.), Sachsen (Art. 141.), Hannover<lb/> (§. 102.) u. s. w. Es leuchtet ein, dass diese Bestimmung zwar<lb/> dazu beiträgt, frivole Anklagen abzuhalten, aber auch die Wirkung<lb/> hat, das Anklagerecht selbst ausserordentlich zu erschweren.</note> Das Urtheil des Staatsgerichtshofs<lb/> geht entweder auf Entbindung und Lossprechung des<lb/> Angeklagten, oder auf Verurtheilung desselben, d. h.<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [186/0204]
Vierter Abschnitt.
dessen Urtheil die Verantwortlichkeit realisirt und so-
mit zugleich die Integrität des Grundgesetzes gegen-
über der stattgefundenen Verletzung wieder hergestellt
wird. Zu diesem Zwecke ist durch die Verfassungs-
gesetze einzelner Staaten ein Staatsgerichtshof geschaffen
worden, welcher über die von den Ständen angebrachten
Ministeranklagen entscheidet. Die Einrichtung dieses
Gerichtshofs ist verschieden; bald besteht er in einem
besonderen Collegium, dessen Mitglieder theils vom
Monarchen, theils von den Ständen 5 ernannt, oder
nach Art der Geschwornen 6 berufen werden; bald
wird der oberste Gerichtshof des Landes zugleich zum
Staatsgerichtshofe erklärt. 7 Zur Anklage legitimirt sind
die Stände, 8 und zwar nach einigen Verfassungen jede
Kammer für sich, 9 nach anderen nur die gesammte
Ständeversammlung in übereinstimmendem Beschlusse
beider Kammern. 10 Das Urtheil des Staatsgerichtshofs
geht entweder auf Entbindung und Lossprechung des
Angeklagten, oder auf Verurtheilung desselben, d. h.
5 So z. B. in Württemberg, im Königreiche Sachsen und in
Weimar.
6 So in Bayern.
7 So z. B. in Hannover, Hessen und mehreren Sächsischen
Herzogthümern.
8 Ueber den Einfluss einer Auflösung der Kammern auf einen
anhängig gemachten aber noch schwebenden Staatsprocess siehe
Mohl, a. a. O. S. 245 flg.
9 So in Preussen (Art. 61.) und Württemberg (Art. 198.).
10 So in Bayern (Pözl, S. 216.), Sachsen (Art. 141.), Hannover
(§. 102.) u. s. w. Es leuchtet ein, dass diese Bestimmung zwar
dazu beiträgt, frivole Anklagen abzuhalten, aber auch die Wirkung
hat, das Anklagerecht selbst ausserordentlich zu erschweren.
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Zitationshilfe: | Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/204>, abgerufen am 17.07.2024. |