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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

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Gräsinn von G**
weis es, daß ich seit dem Tode meiner Braut
ohne Liebe gewesen bin. Wie könnte ich
ihnen etwas verschweigen? Ach wie könnte ich
dieses? ich bitte sie, vermindern sie ihre Gütig-
keit gegen mich. Jch bin unruhig, daß ich sie
nicht verdiene. Dieß ist die wahre Ursache.
Nunmehr war ich zufrieden, und er hätte aus
meiner plötzlichen Veränderung leicht mein Herz
errathen können; allein meine Freude that bey
ihm eine entgegengesetzte Wirckung. Er ward
nur trauriger, ie mehr ich ruhig war. Jch red-
te fast allein, und ich studirte seine Augen und
sein Hertz aus. Er liebt dich, fieng ich zu mir
selbst an, und nichts als die Gesetze der Dank-
barkeit und Ehrerbietung legen seiner Liebe ein
Stillschweigen auf. Er ist verschämt, das wün-
schest du; und er wünschet, daß du ihn zu dem
Fehler nöthigen sollst, dir deine Liebe zu gestehen;
und dieses verdient er. Jch verdoppelte meine
Gefälligkeit, ohne sie über die Schranken der
Freundschaft zu treiben. Mein Gemahl hatte
ein kostbares Haus gebaut. Jch ließ alle Zim-
mer auf der Gallerie einheizen, und führte ihn
nach der Tafel in alle, nur damit ich eine Gele-
genheit hätte, ihn länger bey mir zu behalten.
Als wir in das größte kamen, in welchem die
Risse und Abzeichnungen von Festungen und
Landschaften hiengen: so fragte ich ihn, ob er
nicht auch einen Theil von seiner Arbeit hier fän-
de. Jch sah, daß er nicht auf die Abzeichnungen,
sondern auf mich Acht gab, und ich belohnte ihn
gleich dafür. Jch will ihnen ihre Stücke zei-

gen
G 5

Graͤſinn von G**
weis es, daß ich ſeit dem Tode meiner Braut
ohne Liebe geweſen bin. Wie koͤnnte ich
ihnen etwas verſchweigen? Ach wie koͤnnte ich
dieſes? ich bitte ſie, vermindern ſie ihre Guͤtig-
keit gegen mich. Jch bin unruhig, daß ich ſie
nicht verdiene. Dieß iſt die wahre Urſache.
Nunmehr war ich zufrieden, und er haͤtte aus
meiner ploͤtzlichen Veraͤnderung leicht mein Herz
errathen koͤnnen; allein meine Freude that bey
ihm eine entgegengeſetzte Wirckung. Er ward
nur trauriger, ie mehr ich ruhig war. Jch red-
te faſt allein, und ich ſtudirte ſeine Augen und
ſein Hertz aus. Er liebt dich, fieng ich zu mir
ſelbſt an, und nichts als die Geſetze der Dank-
barkeit und Ehrerbietung legen ſeiner Liebe ein
Stillſchweigen auf. Er iſt verſchaͤmt, das wuͤn-
ſcheſt du; und er wuͤnſchet, daß du ihn zu dem
Fehler noͤthigen ſollſt, dir deine Liebe zu geſtehen;
und dieſes verdient er. Jch verdoppelte meine
Gefaͤlligkeit, ohne ſie uͤber die Schranken der
Freundſchaft zu treiben. Mein Gemahl hatte
ein koſtbares Haus gebaut. Jch ließ alle Zim-
mer auf der Gallerie einheizen, und fuͤhrte ihn
nach der Tafel in alle, nur damit ich eine Gele-
genheit haͤtte, ihn laͤnger bey mir zu behalten.
Als wir in das groͤßte kamen, in welchem die
Riſſe und Abzeichnungen von Feſtungen und
Landſchaften hiengen: ſo fragte ich ihn, ob er
nicht auch einen Theil von ſeiner Arbeit hier faͤn-
de. Jch ſah, daß er nicht auf die Abzeichnungen,
ſondern auf mich Acht gab, und ich belohnte ihn
gleich dafuͤr. Jch will ihnen ihre Stuͤcke zei-

gen
G 5
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[105/0105] Graͤſinn von G** weis es, daß ich ſeit dem Tode meiner Braut ohne Liebe geweſen bin. Wie koͤnnte ich ihnen etwas verſchweigen? Ach wie koͤnnte ich dieſes? ich bitte ſie, vermindern ſie ihre Guͤtig- keit gegen mich. Jch bin unruhig, daß ich ſie nicht verdiene. Dieß iſt die wahre Urſache. Nunmehr war ich zufrieden, und er haͤtte aus meiner ploͤtzlichen Veraͤnderung leicht mein Herz errathen koͤnnen; allein meine Freude that bey ihm eine entgegengeſetzte Wirckung. Er ward nur trauriger, ie mehr ich ruhig war. Jch red- te faſt allein, und ich ſtudirte ſeine Augen und ſein Hertz aus. Er liebt dich, fieng ich zu mir ſelbſt an, und nichts als die Geſetze der Dank- barkeit und Ehrerbietung legen ſeiner Liebe ein Stillſchweigen auf. Er iſt verſchaͤmt, das wuͤn- ſcheſt du; und er wuͤnſchet, daß du ihn zu dem Fehler noͤthigen ſollſt, dir deine Liebe zu geſtehen; und dieſes verdient er. Jch verdoppelte meine Gefaͤlligkeit, ohne ſie uͤber die Schranken der Freundſchaft zu treiben. Mein Gemahl hatte ein koſtbares Haus gebaut. Jch ließ alle Zim- mer auf der Gallerie einheizen, und fuͤhrte ihn nach der Tafel in alle, nur damit ich eine Gele- genheit haͤtte, ihn laͤnger bey mir zu behalten. Als wir in das groͤßte kamen, in welchem die Riſſe und Abzeichnungen von Feſtungen und Landſchaften hiengen: ſo fragte ich ihn, ob er nicht auch einen Theil von ſeiner Arbeit hier faͤn- de. Jch ſah, daß er nicht auf die Abzeichnungen, ſondern auf mich Acht gab, und ich belohnte ihn gleich dafuͤr. Jch will ihnen ihre Stuͤcke zei- gen G 5

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/105>, abgerufen am 24.11.2024.