Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747.

Bild:
<< vorherige Seite

Gräfinn von G **
wäre? Vielleicht ist in eben dem Jahre
noch ein Kind in das Kloster gekommen,
das ebenfalls den Namen Mariane gehabt
hat. Andreas, der der Philosophie wegen
nicht nach Ostindien gereiset war, meynte,
es läge schon in der Natur, daß ein Paar
so nahe Blutsfreunde einander nicht als
Mann und Frau lieben könnten. Jch
glaube, daß wir uns alle Augenblicke auf
dieser Reise widersprachen, ohne es zu
merken. Voll Zittern und Hoffnung
kamen wir also bey unserm Carlson wie-
der an. Wir hatten uns vorgenommen,
recht behutsam zu gehn, und die Ursache
unserer Zurückkunft weder ihm noch ihr
merken zu lassen. Wir wollten sagen,
daß wir aus Vergnügen über die Ankunft
des Herrn Andreas wieder mit umgekehrt
wären. Wenn auch, sprachen wir alle,
Mariane die rechte Mariane seyn sollte:
so würden diese zärtlichen Eheleute doch
beyde in Verzweifelung gerathen, wenn
wir ihnen dieses traurige Geheimniß auf

ein-

Gräfinn von G **
wäre? Vielleicht iſt in eben dem Jahre
noch ein Kind in das Kloſter gekommen,
das ebenfalls den Namen Mariane gehabt
hat. Andreas, der der Philoſophie wegen
nicht nach Oſtindien gereiſet war, meynte,
es läge ſchon in der Natur, daß ein Paar
ſo nahe Blutsfreunde einander nicht als
Mann und Frau lieben könnten. Jch
glaube, daß wir uns alle Augenblicke auf
dieſer Reiſe widerſprachen, ohne es zu
merken. Voll Zittern und Hoffnung
kamen wir alſo bey unſerm Carlſon wie-
der an. Wir hatten uns vorgenommen,
recht behutſam zu gehn, und die Urſache
unſerer Zurückkunft weder ihm noch ihr
merken zu laſſen. Wir wollten ſagen,
daß wir aus Vergnügen über die Ankunft
des Herrn Andreas wieder mit umgekehrt
wären. Wenn auch, ſprachen wir alle,
Mariane die rechte Mariane ſeyn ſollte:
ſo würden dieſe zärtlichen Eheleute doch
beyde in Verzweifelung gerathen, wenn
wir ihnen dieſes traurige Geheimniß auf

ein-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0093" n="93"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Gräfinn von G **</hi></fw><lb/>
wäre? Vielleicht i&#x017F;t in eben dem Jahre<lb/>
noch ein Kind in das Klo&#x017F;ter gekommen,<lb/>
das ebenfalls den Namen Mariane gehabt<lb/>
hat. Andreas, der der Philo&#x017F;ophie wegen<lb/>
nicht nach O&#x017F;tindien gerei&#x017F;et war, meynte,<lb/>
es läge &#x017F;chon in der Natur, daß ein Paar<lb/>
&#x017F;o nahe Blutsfreunde einander nicht als<lb/>
Mann und Frau lieben könnten. Jch<lb/>
glaube, daß wir uns alle Augenblicke auf<lb/>
die&#x017F;er Rei&#x017F;e wider&#x017F;prachen, ohne es zu<lb/>
merken. Voll Zittern und Hoffnung<lb/>
kamen wir al&#x017F;o bey un&#x017F;erm Carl&#x017F;on wie-<lb/>
der an. Wir hatten uns vorgenommen,<lb/>
recht behut&#x017F;am zu gehn, und die Ur&#x017F;ache<lb/>
un&#x017F;erer Zurückkunft weder ihm noch ihr<lb/>
merken zu la&#x017F;&#x017F;en. Wir wollten &#x017F;agen,<lb/>
daß wir aus Vergnügen über die Ankunft<lb/>
des Herrn Andreas wieder mit umgekehrt<lb/>
wären. Wenn auch, &#x017F;prachen wir alle,<lb/>
Mariane die rechte Mariane &#x017F;eyn &#x017F;ollte:<lb/>
&#x017F;o würden die&#x017F;e zärtlichen Eheleute doch<lb/>
beyde in Verzweifelung gerathen, wenn<lb/>
wir ihnen die&#x017F;es traurige Geheimniß auf<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ein-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0093] Gräfinn von G ** wäre? Vielleicht iſt in eben dem Jahre noch ein Kind in das Kloſter gekommen, das ebenfalls den Namen Mariane gehabt hat. Andreas, der der Philoſophie wegen nicht nach Oſtindien gereiſet war, meynte, es läge ſchon in der Natur, daß ein Paar ſo nahe Blutsfreunde einander nicht als Mann und Frau lieben könnten. Jch glaube, daß wir uns alle Augenblicke auf dieſer Reiſe widerſprachen, ohne es zu merken. Voll Zittern und Hoffnung kamen wir alſo bey unſerm Carlſon wie- der an. Wir hatten uns vorgenommen, recht behutſam zu gehn, und die Urſache unſerer Zurückkunft weder ihm noch ihr merken zu laſſen. Wir wollten ſagen, daß wir aus Vergnügen über die Ankunft des Herrn Andreas wieder mit umgekehrt wären. Wenn auch, ſprachen wir alle, Mariane die rechte Mariane ſeyn ſollte: ſo würden dieſe zärtlichen Eheleute doch beyde in Verzweifelung gerathen, wenn wir ihnen dieſes traurige Geheimniß auf ein-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben01_1747
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben01_1747/93
Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben01_1747/93>, abgerufen am 03.05.2024.