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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747.

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Gräfinn von G **
und tugendhaft gelebt hat. Er ließ dar-
auf alle seine Bedienten zusammen kom-
men. Er rühmte ihre Treue, und bat
sie, als ein Vater, daß sie die Tugend
stets vor Augen haben sollten. Jch,
fieng er an, bin euer Herr und Aufse-
her gewesen. Der Tod hebt diesen Un-
terschied auf, und ich gehe in eine Welt,
wo ihr so viel, als ich seyn werdet, und
wo ihr für die Erfüllung eurer Pflichten
eben so viel Glück erhalten werdet, als ich
für die Erfüllung der meinigen. Lebt
wohl, meine Kinder! Wer mich lieb hat,
und mir vor meinem Tode noch ein Ver-
gnügen machen will, der verspreche mir
mit der Hand, daß er meine Lehren und
meine Bitten erfüllen will. Er befahl dar-
auf, iedwedem eine gewisse Summe Gel-
des auszutheilen. Er ließ diesen und den
folgenden Tag die meisten von seinen Un-
terthanen zu sich kommen, und redete mit
ihnen eben so, wie mit seinen Bedien-
ten. Wem er Geld zu seiner Nahrung

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C 3

Gräfinn von G **
und tugendhaft gelebt hat. Er ließ dar-
auf alle ſeine Bedienten zuſammen kom-
men. Er rühmte ihre Treue, und bat
ſie, als ein Vater, daß ſie die Tugend
ſtets vor Augen haben ſollten. Jch,
fieng er an, bin euer Herr und Aufſe-
her geweſen. Der Tod hebt dieſen Un-
terſchied auf, und ich gehe in eine Welt,
wo ihr ſo viel, als ich ſeyn werdet, und
wo ihr für die Erfüllung eurer Pflichten
eben ſo viel Glück erhalten werdet, als ich
für die Erfüllung der meinigen. Lebt
wohl, meine Kinder! Wer mich lieb hat,
und mir vor meinem Tode noch ein Ver-
gnügen machen will, der verſpreche mir
mit der Hand, daß er meine Lehren und
meine Bitten erfüllen will. Er befahl dar-
auf, iedwedem eine gewiſſe Summe Gel-
des auszutheilen. Er ließ dieſen und den
folgenden Tag die meiſten von ſeinen Un-
terthanen zu ſich kommen, und redete mit
ihnen eben ſo, wie mit ſeinen Bedien-
ten. Wem er Geld zu ſeiner Nahrung

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[37/0037] Gräfinn von G ** und tugendhaft gelebt hat. Er ließ dar- auf alle ſeine Bedienten zuſammen kom- men. Er rühmte ihre Treue, und bat ſie, als ein Vater, daß ſie die Tugend ſtets vor Augen haben ſollten. Jch, fieng er an, bin euer Herr und Aufſe- her geweſen. Der Tod hebt dieſen Un- terſchied auf, und ich gehe in eine Welt, wo ihr ſo viel, als ich ſeyn werdet, und wo ihr für die Erfüllung eurer Pflichten eben ſo viel Glück erhalten werdet, als ich für die Erfüllung der meinigen. Lebt wohl, meine Kinder! Wer mich lieb hat, und mir vor meinem Tode noch ein Ver- gnügen machen will, der verſpreche mir mit der Hand, daß er meine Lehren und meine Bitten erfüllen will. Er befahl dar- auf, iedwedem eine gewiſſe Summe Gel- des auszutheilen. Er ließ dieſen und den folgenden Tag die meiſten von ſeinen Un- terthanen zu ſich kommen, und redete mit ihnen eben ſo, wie mit ſeinen Bedien- ten. Wem er Geld zu ſeiner Nahrung vorge- C 3

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben01_1747/37>, abgerufen am 26.04.2024.