Nicht lange nach unserer Vermählung mußte mein Gemahl zu seinem Regimen- te. Sein Vater, der bey einem hohen Alter noch munter und der angenehmste Mann war, wollte mir die Abwesenheit meines Gemahls erträglich machen, und reisete mit mir auf seine übrigen Güter. Auf dem einen traf ich eine sehr junge und schöne Frau an, die man für die Witwe des Oberaufsehers der Güter ausgab. Diese Frau hatte so viel reizen- des an sich, und so viel gefälliges und leutseliges in ihrem Umgange, daß ich ihr auf den ersten Anblick gewogen, und in kurzer Zeit ihre gute Freundinn ward. Jch bat, sie sollte mich wieder zurück begleiten, und bey mir leben. Sie sollte nicht meine Bediente, sondern meine gute Freundinn seyn. Und wenn sie nicht länger bey mir bleiben wollte, so woll- te ich ihr eine ansehnliche Versorgung schaffen. Sie nahm diesen Antrag mit Thränen an, und schützte bald ihren
kleinen
B 4
Gräfinn von G **
Nicht lange nach unſerer Vermählung mußte mein Gemahl zu ſeinem Regimen- te. Sein Vater, der bey einem hohen Alter noch munter und der angenehmſte Mann war, wollte mir die Abweſenheit meines Gemahls erträglich machen, und reiſete mit mir auf ſeine übrigen Güter. Auf dem einen traf ich eine ſehr junge und ſchöne Frau an, die man für die Witwe des Oberaufſehers der Güter ausgab. Dieſe Frau hatte ſo viel reizen- des an ſich, und ſo viel gefälliges und leutſeliges in ihrem Umgange, daß ich ihr auf den erſten Anblick gewogen, und in kurzer Zeit ihre gute Freundinn ward. Jch bat, ſie ſollte mich wieder zurück begleiten, und bey mir leben. Sie ſollte nicht meine Bediente, ſondern meine gute Freundinn ſeyn. Und wenn ſie nicht länger bey mir bleiben wollte, ſo woll- te ich ihr eine anſehnliche Verſorgung ſchaffen. Sie nahm dieſen Antrag mit Thränen an, und ſchützte bald ihren
kleinen
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Gräfinn von G **
Nicht lange nach unſerer Vermählung
mußte mein Gemahl zu ſeinem Regimen-
te. Sein Vater, der bey einem hohen
Alter noch munter und der angenehmſte
Mann war, wollte mir die Abweſenheit
meines Gemahls erträglich machen, und
reiſete mit mir auf ſeine übrigen Güter.
Auf dem einen traf ich eine ſehr junge
und ſchöne Frau an, die man für die
Witwe des Oberaufſehers der Güter
ausgab. Dieſe Frau hatte ſo viel reizen-
des an ſich, und ſo viel gefälliges und
leutſeliges in ihrem Umgange, daß ich ihr
auf den erſten Anblick gewogen, und in
kurzer Zeit ihre gute Freundinn ward.
Jch bat, ſie ſollte mich wieder zurück
begleiten, und bey mir leben. Sie ſollte
nicht meine Bediente, ſondern meine
gute Freundinn ſeyn. Und wenn ſie nicht
länger bey mir bleiben wollte, ſo woll-
te ich ihr eine anſehnliche Verſorgung
ſchaffen. Sie nahm dieſen Antrag mit
Thränen an, und ſchützte bald ihren
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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben01_1747/23>, abgerufen am 04.07.2024.
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