Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799.
Die Anhänger dieses Systems läugnen ganz das Daseyn eines solchen Stoffs, dessen Entfernung oder Ausgang aus den Körpern das Verbrennen derselben ausmache. Sie behaupten vielmehr, die Verbrennung bestehe in dem Beytritt oder Hinzukommen eines neuen Stoffs, und sie haben dabey die wichtige Thatsache für sich, daß das Gewicht der Körper durchs Verbrennen zunimmt, indeß das Gewicht der Luft, in der sie brennen, um eben so viel abnimmt. Wenn man aber auch einräumen muß, daß bey den Verbrennungen etwas ponderables aus der Luft in die Körper übergehe, so schließt doch dieses noch nicht die Möglichkeit aus, daß auch zugleich etwas imponderables aus den Körpern ausgehen könne. Schon der Anblick einer Flamme scheint es sinnlich vor Augen zu legen, daß Hitze und Licht (beydes imponderable Substanzen) nicht in den heißen leuchtenden Raum einströmen, sondern von ihm ausfließen. Sollte nun dieses der Fall seyn, sollte die Quelle der Wärme und des Lichts bey Verbrennungen auch nur zum Theil in dem brennenden Körper liegen (wogegen das Factum der Gewichtszunahme gar nicht streitet), so bliebe doch jedem Physiker unbenommen, diesem imponderabeln Stoffe, der aus dem brennenden Körper entflieht, den Namen Brennstoff zu geben. Und in diesem Sinne ist das Daseyn eines solchen Stoffs noch bey weitem nicht widerlegt; es läßt sich sogar mit den Lehren der neuern französischen Chemisten recht schicklich vereinigen. Wenn die Antiphlogistiker den Stahlischen Brennstoff fast leidenschaftlich als ein Hirngespinnst und leeres Geschöpf der Phantasie (mera contemplatio, mera qualitas) verschreyen, und über ihn das Pace dulci quiescat ausrufen, so sollten sie doch bedenken, daß ihr Oxygen, Azote, Hydrogen, und Carbone, mit allen den Eigenschaften, die sie selbigen beylegen, nicht weniger hypothetisch, als jenes, sind, und daß sie, um alles das zu ersetzen, was sonst das Phlogiston leistete, eine Menge Hypothesen, statt einer eiuzigen, einzuführen genöthiget sind. Sie haben offenbar unrecht,
Die Anhaͤnger dieſes Syſtems laͤugnen ganz das Daſeyn eines ſolchen Stoffs, deſſen Entfernung oder Ausgang aus den Koͤrpern das Verbrennen derſelben ausmache. Sie behaupten vielmehr, die Verbrennung beſtehe in dem Beytritt oder Hinzukommen eines neuen Stoffs, und ſie haben dabey die wichtige Thatſache fuͤr ſich, daß das Gewicht der Koͤrper durchs Verbrennen zunimmt, indeß das Gewicht der Luft, in der ſie brennen, um eben ſo viel abnimmt. Wenn man aber auch einraͤumen muß, daß bey den Verbrennungen etwas ponderables aus der Luft in die Koͤrper uͤbergehe, ſo ſchließt doch dieſes noch nicht die Moͤglichkeit aus, daß auch zugleich etwas imponderables aus den Koͤrpern ausgehen koͤnne. Schon der Anblick einer Flamme ſcheint es ſinnlich vor Augen zu legen, daß Hitze und Licht (beydes imponderable Subſtanzen) nicht in den heißen leuchtenden Raum einſtroͤmen, ſondern von ihm ausfließen. Sollte nun dieſes der Fall ſeyn, ſollte die Quelle der Waͤrme und des Lichts bey Verbrennungen auch nur zum Theil in dem brennenden Koͤrper liegen (wogegen das Factum der Gewichtszunahme gar nicht ſtreitet), ſo bliebe doch jedem Phyſiker unbenommen, dieſem imponderabeln Stoffe, der aus dem brennenden Koͤrper entflieht, den Namen Brennſtoff zu geben. Und in dieſem Sinne iſt das Daſeyn eines ſolchen Stoffs noch bey weitem nicht widerlegt; es laͤßt ſich ſogar mit den Lehren der neuern franzoͤſiſchen Chemiſten recht ſchicklich vereinigen. Wenn die Antiphlogiſtiker den Stahliſchen Brennſtoff faſt leidenſchaftlich als ein Hirngeſpinnſt und leeres Geſchoͤpf der Phantaſie (mera contemplatio, mera qualitas) verſchreyen, und uͤber ihn das Pace dulci quieſcat ausrufen, ſo ſollten ſie doch bedenken, daß ihr Oxygen, Azote, Hydrogen, und Carbone, mit allen den Eigenſchaften, die ſie ſelbigen beylegen, nicht weniger hypothetiſch, als jenes, ſind, und daß ſie, um alles das zu erſetzen, was ſonſt das Phlogiſton leiſtete, eine Menge Hypotheſen, ſtatt einer eiuzigen, einzufuͤhren genoͤthiget ſind. Sie haben offenbar unrecht, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0709" xml:id="P.5.697" n="697"/><lb/> auf den Art. <hi rendition="#b">Antiphlogiſtiſches Syſtem</hi> (oben S. 30 u. f.) beziehe.</p> <p>Die Anhaͤnger dieſes Syſtems laͤugnen ganz das Daſeyn eines ſolchen Stoffs, deſſen <hi rendition="#b">Entfernung</hi> oder <hi rendition="#b">Ausgang</hi> aus den Koͤrpern das Verbrennen derſelben ausmache. Sie behaupten vielmehr, die Verbrennung beſtehe in dem <hi rendition="#b">Beytritt</hi> oder <hi rendition="#b">Hinzukommen</hi> eines neuen Stoffs, und ſie haben dabey die wichtige Thatſache fuͤr ſich, daß das Gewicht der Koͤrper durchs Verbrennen <hi rendition="#b">zunimmt,</hi> indeß das Gewicht der Luft, in der ſie brennen, um eben ſo viel <hi rendition="#b">abnimmt.</hi> Wenn man aber auch einraͤumen muß, daß bey den Verbrennungen etwas <hi rendition="#b">ponderables</hi> aus der Luft in die Koͤrper uͤbergehe, ſo ſchließt doch dieſes noch nicht die Moͤglichkeit aus, daß auch zugleich etwas <hi rendition="#b">imponderables</hi> aus den Koͤrpern ausgehen koͤnne. Schon der Anblick einer Flamme ſcheint es ſinnlich vor Augen zu legen, daß Hitze und Licht (beydes imponderable Subſtanzen) nicht in den heißen leuchtenden Raum einſtroͤmen, ſondern von ihm ausfließen. Sollte nun dieſes der Fall ſeyn, ſollte die Quelle der Waͤrme und des Lichts bey Verbrennungen auch nur zum Theil in dem brennenden Koͤrper liegen (wogegen das Factum der Gewichtszunahme gar nicht ſtreitet), ſo bliebe doch jedem Phyſiker unbenommen, dieſem imponderabeln Stoffe, der aus dem brennenden Koͤrper entflieht, den Namen <hi rendition="#b">Brennſtoff</hi> zu geben. Und in dieſem Sinne iſt das Daſeyn eines ſolchen Stoffs noch bey weitem nicht widerlegt; es laͤßt ſich ſogar mit den Lehren der neuern franzoͤſiſchen Chemiſten recht ſchicklich vereinigen.</p> <p>Wenn die Antiphlogiſtiker den Stahliſchen Brennſtoff faſt leidenſchaftlich als ein Hirngeſpinnſt und leeres Geſchoͤpf der Phantaſie <hi rendition="#aq">(mera contemplatio, mera qualitas)</hi> verſchreyen, und uͤber ihn das <hi rendition="#aq">Pace dulci quieſcat</hi> ausrufen, ſo ſollten ſie doch bedenken, daß ihr Oxygen, Azote, Hydrogen, und Carbone, mit allen den Eigenſchaften, die ſie ſelbigen beylegen, nicht weniger hypothetiſch, als jenes, ſind, und daß ſie, um alles das zu erſetzen, was ſonſt das Phlogiſton leiſtete, eine Menge Hypotheſen, ſtatt einer eiuzigen, einzufuͤhren genoͤthiget ſind. Sie haben offenbar unrecht,<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [697/0709]
auf den Art. Antiphlogiſtiſches Syſtem (oben S. 30 u. f.) beziehe.
Die Anhaͤnger dieſes Syſtems laͤugnen ganz das Daſeyn eines ſolchen Stoffs, deſſen Entfernung oder Ausgang aus den Koͤrpern das Verbrennen derſelben ausmache. Sie behaupten vielmehr, die Verbrennung beſtehe in dem Beytritt oder Hinzukommen eines neuen Stoffs, und ſie haben dabey die wichtige Thatſache fuͤr ſich, daß das Gewicht der Koͤrper durchs Verbrennen zunimmt, indeß das Gewicht der Luft, in der ſie brennen, um eben ſo viel abnimmt. Wenn man aber auch einraͤumen muß, daß bey den Verbrennungen etwas ponderables aus der Luft in die Koͤrper uͤbergehe, ſo ſchließt doch dieſes noch nicht die Moͤglichkeit aus, daß auch zugleich etwas imponderables aus den Koͤrpern ausgehen koͤnne. Schon der Anblick einer Flamme ſcheint es ſinnlich vor Augen zu legen, daß Hitze und Licht (beydes imponderable Subſtanzen) nicht in den heißen leuchtenden Raum einſtroͤmen, ſondern von ihm ausfließen. Sollte nun dieſes der Fall ſeyn, ſollte die Quelle der Waͤrme und des Lichts bey Verbrennungen auch nur zum Theil in dem brennenden Koͤrper liegen (wogegen das Factum der Gewichtszunahme gar nicht ſtreitet), ſo bliebe doch jedem Phyſiker unbenommen, dieſem imponderabeln Stoffe, der aus dem brennenden Koͤrper entflieht, den Namen Brennſtoff zu geben. Und in dieſem Sinne iſt das Daſeyn eines ſolchen Stoffs noch bey weitem nicht widerlegt; es laͤßt ſich ſogar mit den Lehren der neuern franzoͤſiſchen Chemiſten recht ſchicklich vereinigen.
Wenn die Antiphlogiſtiker den Stahliſchen Brennſtoff faſt leidenſchaftlich als ein Hirngeſpinnſt und leeres Geſchoͤpf der Phantaſie (mera contemplatio, mera qualitas) verſchreyen, und uͤber ihn das Pace dulci quieſcat ausrufen, ſo ſollten ſie doch bedenken, daß ihr Oxygen, Azote, Hydrogen, und Carbone, mit allen den Eigenſchaften, die ſie ſelbigen beylegen, nicht weniger hypothetiſch, als jenes, ſind, und daß ſie, um alles das zu erſetzen, was ſonſt das Phlogiſton leiſtete, eine Menge Hypotheſen, ſtatt einer eiuzigen, einzufuͤhren genoͤthiget ſind. Sie haben offenbar unrecht,
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