Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799.

Bild:
<< vorherige Seite


Strohdächer, Windmühlen, Krahne, Schilderhäuser, Schäferkarren, Kutschen und Reisewagen, Schiffe u. s. w. begleitet, welche von jenen blos in zufälligen Nebenumständen abweichen. Alle diese Vorschläge empfehlen sich nicht nur durch Zweckmäßigkeit und Simplicität; sondern auch durch die äußerste Leichtigkeit und die wenigen Kosten der Ausführung; sie werden daher viel beytragen, von der Wirkung der Wetterleiter richtige Begriffe zu verbreiten, und eine für die Menschen so wohlthätige Erfindung noch gemeiner zu machen.

Man hat unstreitig den Spitzen zu viel Kraft gegen die Gewitterwolken zugeschrieben, und durch übertriebene Erwartungen von ihrer Wirkung der guten Sache überhaupt geschadet. Hemmer (Anl. Wetterleiter anzulegen, §. 134. 135.) zweifelt nicht im mindesten, daß die dünne Stange eines Ableiters eine ganze Wetterwolke eben so gut erschöpfen könne, als ein sehr enger Kanal einen ganzen Teich, wenn dieser auch noch so groß sey, erschöpfe. In beyden, sagt er, geschehe die Ausleerung nach und nach, aber beym Teiche langsam, bey der Wolke wegen der unendlichen Geschwindigkeit des Blitzes gleichsam in einem Augenblicke. Bewegte sich das Wasser eben so schnell, als der Wetterstral, so würde ein unermeßlicher Teich vermittelst eines Kanals vom Durchmesser eines Federkiels sich gleichfalls in einem Augenblicke ausleeren. Den Einwurf, daß eine Wolke, die über den Ableiter gegangen sey, oder auf denselben geschlagen habe, darum doch nicht zu blitzen aufhöre, beantwortet er sich damit, daß eine solche Wolke entweder aus mehrern getrennten Schichten bestehen, oder aus andern Wetterwolken aufs neue geladen werden müsse. Von solchen augenblicklichen Entkräftungen der Wolken aber hat sich nie die mindeste Spur in der Erfahrung gezeigt, und überhaupt gründet sich alles, was man von den Spitzen erwartet, blos auf die elektrischen Versuche, und auf die bisherige Theorie der Gewitterelektricität, nach welcher man die Wetterwolken als isolirte Conductoren betrachtet, welche sich wechselseitig laden und entladen. Reimarus, der zwar diese Theorie auch annimmt, aber, wie billig, der Erfahrung mehr folgt, hat diese über


Strohdaͤcher, Windmuͤhlen, Krahne, Schilderhaͤuſer, Schaͤferkarren, Kutſchen und Reiſewagen, Schiffe u. ſ. w. begleitet, welche von jenen blos in zufaͤlligen Nebenumſtaͤnden abweichen. Alle dieſe Vorſchlaͤge empfehlen ſich nicht nur durch Zweckmaͤßigkeit und Simplicitaͤt; ſondern auch durch die aͤußerſte Leichtigkeit und die wenigen Koſten der Ausfuͤhrung; ſie werden daher viel beytragen, von der Wirkung der Wetterleiter richtige Begriffe zu verbreiten, und eine fuͤr die Menſchen ſo wohlthaͤtige Erfindung noch gemeiner zu machen.

Man hat unſtreitig den Spitzen zu viel Kraft gegen die Gewitterwolken zugeſchrieben, und durch uͤbertriebene Erwartungen von ihrer Wirkung der guten Sache uͤberhaupt geſchadet. Hemmer (Anl. Wetterleiter anzulegen, §. 134. 135.) zweifelt nicht im mindeſten, daß die duͤnne Stange eines Ableiters eine ganze Wetterwolke eben ſo gut erſchoͤpfen koͤnne, als ein ſehr enger Kanal einen ganzen Teich, wenn dieſer auch noch ſo groß ſey, erſchoͤpfe. In beyden, ſagt er, geſchehe die Ausleerung nach und nach, aber beym Teiche langſam, bey der Wolke wegen der unendlichen Geſchwindigkeit des Blitzes gleichſam in einem Augenblicke. Bewegte ſich das Waſſer eben ſo ſchnell, als der Wetterſtral, ſo wuͤrde ein unermeßlicher Teich vermittelſt eines Kanals vom Durchmeſſer eines Federkiels ſich gleichfalls in einem Augenblicke ausleeren. Den Einwurf, daß eine Wolke, die uͤber den Ableiter gegangen ſey, oder auf denſelben geſchlagen habe, darum doch nicht zu blitzen aufhoͤre, beantwortet er ſich damit, daß eine ſolche Wolke entweder aus mehrern getrennten Schichten beſtehen, oder aus andern Wetterwolken aufs neue geladen werden muͤſſe. Von ſolchen augenblicklichen Entkraͤftungen der Wolken aber hat ſich nie die mindeſte Spur in der Erfahrung gezeigt, und uͤberhaupt gruͤndet ſich alles, was man von den Spitzen erwartet, blos auf die elektriſchen Verſuche, und auf die bisherige Theorie der Gewitterelektricitaͤt, nach welcher man die Wetterwolken als iſolirte Conductoren betrachtet, welche ſich wechſelſeitig laden und entladen. Reimarus, der zwar dieſe Theorie auch annimmt, aber, wie billig, der Erfahrung mehr folgt, hat dieſe uͤber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="2">
              <p><pb facs="#f0192" xml:id="P.5.180" n="180"/><lb/>
Strohda&#x0364;cher, Windmu&#x0364;hlen, Krahne, Schilderha&#x0364;u&#x017F;er, Scha&#x0364;ferkarren, Kut&#x017F;chen und Rei&#x017F;ewagen, Schiffe u. &#x017F;. w. begleitet, welche von jenen blos in zufa&#x0364;lligen Nebenum&#x017F;ta&#x0364;nden abweichen. Alle die&#x017F;e Vor&#x017F;chla&#x0364;ge empfehlen &#x017F;ich nicht nur durch Zweckma&#x0364;ßigkeit und Simplicita&#x0364;t; &#x017F;ondern auch durch die a&#x0364;ußer&#x017F;te Leichtigkeit und die wenigen Ko&#x017F;ten der Ausfu&#x0364;hrung; &#x017F;ie werden daher viel beytragen, von der Wirkung der Wetterleiter richtige Begriffe zu verbreiten, und eine fu&#x0364;r die Men&#x017F;chen &#x017F;o wohltha&#x0364;tige Erfindung noch gemeiner zu machen.</p>
              <p>Man hat un&#x017F;treitig den Spitzen zu viel Kraft gegen die Gewitterwolken zuge&#x017F;chrieben, und durch u&#x0364;bertriebene Erwartungen von ihrer Wirkung der guten Sache u&#x0364;berhaupt ge&#x017F;chadet. <hi rendition="#b">Hemmer</hi> (Anl. Wetterleiter anzulegen, §. 134. 135.) zweifelt nicht im minde&#x017F;ten, daß die du&#x0364;nne Stange eines Ableiters eine ganze Wetterwolke eben &#x017F;o gut er&#x017F;cho&#x0364;pfen ko&#x0364;nne, als ein &#x017F;ehr enger Kanal einen ganzen Teich, wenn die&#x017F;er auch noch &#x017F;o groß &#x017F;ey, er&#x017F;cho&#x0364;pfe. In beyden, &#x017F;agt er, ge&#x017F;chehe die Ausleerung nach und nach, aber beym Teiche lang&#x017F;am, bey der Wolke wegen der unendlichen Ge&#x017F;chwindigkeit des Blitzes gleich&#x017F;am in <hi rendition="#b">einem Augenblicke.</hi> Bewegte &#x017F;ich das Wa&#x017F;&#x017F;er eben &#x017F;o &#x017F;chnell, als der Wetter&#x017F;tral, &#x017F;o wu&#x0364;rde ein unermeßlicher Teich vermittel&#x017F;t eines Kanals vom Durchme&#x017F;&#x017F;er eines Federkiels &#x017F;ich gleichfalls in einem Augenblicke ausleeren. Den Einwurf, daß eine Wolke, die u&#x0364;ber den Ableiter gegangen &#x017F;ey, oder auf den&#x017F;elben ge&#x017F;chlagen habe, darum doch nicht zu blitzen aufho&#x0364;re, beantwortet er &#x017F;ich damit, daß eine &#x017F;olche Wolke entweder aus mehrern getrennten Schichten be&#x017F;tehen, oder aus andern Wetterwolken aufs neue geladen werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Von &#x017F;olchen augenblicklichen Entkra&#x0364;ftungen der Wolken aber hat &#x017F;ich nie die minde&#x017F;te Spur in der Erfahrung gezeigt, und u&#x0364;berhaupt gru&#x0364;ndet &#x017F;ich alles, was man von den Spitzen erwartet, blos auf die elektri&#x017F;chen Ver&#x017F;uche, und auf die bisherige Theorie der Gewitterelektricita&#x0364;t, nach welcher man die Wetterwolken als i&#x017F;olirte Conductoren betrachtet, welche &#x017F;ich wech&#x017F;el&#x017F;eitig laden und entladen. <hi rendition="#b">Reimarus,</hi> der zwar die&#x017F;e Theorie auch annimmt, aber, wie billig, der Erfahrung mehr folgt, hat die&#x017F;e u&#x0364;ber<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0192] Strohdaͤcher, Windmuͤhlen, Krahne, Schilderhaͤuſer, Schaͤferkarren, Kutſchen und Reiſewagen, Schiffe u. ſ. w. begleitet, welche von jenen blos in zufaͤlligen Nebenumſtaͤnden abweichen. Alle dieſe Vorſchlaͤge empfehlen ſich nicht nur durch Zweckmaͤßigkeit und Simplicitaͤt; ſondern auch durch die aͤußerſte Leichtigkeit und die wenigen Koſten der Ausfuͤhrung; ſie werden daher viel beytragen, von der Wirkung der Wetterleiter richtige Begriffe zu verbreiten, und eine fuͤr die Menſchen ſo wohlthaͤtige Erfindung noch gemeiner zu machen. Man hat unſtreitig den Spitzen zu viel Kraft gegen die Gewitterwolken zugeſchrieben, und durch uͤbertriebene Erwartungen von ihrer Wirkung der guten Sache uͤberhaupt geſchadet. Hemmer (Anl. Wetterleiter anzulegen, §. 134. 135.) zweifelt nicht im mindeſten, daß die duͤnne Stange eines Ableiters eine ganze Wetterwolke eben ſo gut erſchoͤpfen koͤnne, als ein ſehr enger Kanal einen ganzen Teich, wenn dieſer auch noch ſo groß ſey, erſchoͤpfe. In beyden, ſagt er, geſchehe die Ausleerung nach und nach, aber beym Teiche langſam, bey der Wolke wegen der unendlichen Geſchwindigkeit des Blitzes gleichſam in einem Augenblicke. Bewegte ſich das Waſſer eben ſo ſchnell, als der Wetterſtral, ſo wuͤrde ein unermeßlicher Teich vermittelſt eines Kanals vom Durchmeſſer eines Federkiels ſich gleichfalls in einem Augenblicke ausleeren. Den Einwurf, daß eine Wolke, die uͤber den Ableiter gegangen ſey, oder auf denſelben geſchlagen habe, darum doch nicht zu blitzen aufhoͤre, beantwortet er ſich damit, daß eine ſolche Wolke entweder aus mehrern getrennten Schichten beſtehen, oder aus andern Wetterwolken aufs neue geladen werden muͤſſe. Von ſolchen augenblicklichen Entkraͤftungen der Wolken aber hat ſich nie die mindeſte Spur in der Erfahrung gezeigt, und uͤberhaupt gruͤndet ſich alles, was man von den Spitzen erwartet, blos auf die elektriſchen Verſuche, und auf die bisherige Theorie der Gewitterelektricitaͤt, nach welcher man die Wetterwolken als iſolirte Conductoren betrachtet, welche ſich wechſelſeitig laden und entladen. Reimarus, der zwar dieſe Theorie auch annimmt, aber, wie billig, der Erfahrung mehr folgt, hat dieſe uͤber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799/192
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799/192>, abgerufen am 30.04.2024.