Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799.

Bild:
<< vorherige Seite


ihr beywohnende Kraft zu einer Bewegung sollicitirt werden und daher in jeder andern Richtung und Geschwindigkeit, die ihr mitgetheilet wird, und welche von der Richtung und Geschwindigkeit der ihr beywohnenden Kraft verschieden ist, widerstehen.

Beywohnende Kräfte hat die bisherige Mechanik nicht angenommen, sondern sich die Kräfte außer der Materie vorgestellt, und deshalb die letztere als träg betrachtet. Was Herr G. widerstehende Masse nennt, das hieß gewöhnlich ein Körper, der schon durch irgend eine Kraft, z. B. die Schwere zur Bewegung getrieben wird. Um zu finden, wie sich solche Körper verhielten, wenn eine neue Kraft F in sie wirkte, sorgte man erst dafür, jene Kraft, z. B. die Schwere, aufzuheben und ins Gleichgewicht zu bringen. Man dachte sich die schweren Kugeln auf wagrechte feste Ebnen gelegt, oder an Fäden aufgehangen. So waren sie wieder als blos träg anzusehen, und wirkte nun die Kraft F in sie, so erfolgte alles nach den Bewegungsgesetzen träger Massen. Um zu finden, was erfolgte, wenn die Schwere allein in sie wirkte, entfernte man die Kraft F. Wollte man endlich wissen, was geschehe, wenn F und die Schwere zusammen wirkten, so combinirte man beyde vorige Bewegungen nach den gewöhnlichen Regeln der Zusammensetzung. Und nach diesem Plane, auf den sich alle mechanische Untersuchungen gründen, brauchte man die bekannten Gesetze der Bewegung durchgängig als Gesetze träger Massen.

Herr Gren hingegen will diese Gesetze blos von widerstehenden Massen gelten lassen. So sollen z. B. die Gesetze des Stoßes nur gelten, wenn schwere Körper gestoßen werden. Er glaubt nemlich, der Einfluß der Masse auf diese Gesetze lasse sich nur aus dem Widerstande der Masse erklären, und damit sie Widerstand ausüben könne, müsse eine inhärirende Kraft in ihr vorhanden seyn. Erst diese mache, daß die Masse in jeder andern Richtung, die von der Richtung der inhärirenden Kraft abweiche, widerstehe.

Zu Widerlegung dieses Schlusses darf man nur bedenken, 1) daß es gar nicht nöthig ist, den Einfluß der Masse


ihr beywohnende Kraft zu einer Bewegung ſollicitirt werden und daher in jeder andern Richtung und Geſchwindigkeit, die ihr mitgetheilet wird, und welche von der Richtung und Geſchwindigkeit der ihr beywohnenden Kraft verſchieden iſt, widerſtehen.

Beywohnende Kraͤfte hat die bisherige Mechanik nicht angenommen, ſondern ſich die Kraͤfte außer der Materie vorgeſtellt, und deshalb die letztere als traͤg betrachtet. Was Herr G. widerſtehende Maſſe nennt, das hieß gewoͤhnlich ein Koͤrper, der ſchon durch irgend eine Kraft, z. B. die Schwere zur Bewegung getrieben wird. Um zu finden, wie ſich ſolche Koͤrper verhielten, wenn eine neue Kraft F in ſie wirkte, ſorgte man erſt dafuͤr, jene Kraft, z. B. die Schwere, aufzuheben und ins Gleichgewicht zu bringen. Man dachte ſich die ſchweren Kugeln auf wagrechte feſte Ebnen gelegt, oder an Faͤden aufgehangen. So waren ſie wieder als blos traͤg anzuſehen, und wirkte nun die Kraft F in ſie, ſo erfolgte alles nach den Bewegungsgeſetzen traͤger Maſſen. Um zu finden, was erfolgte, wenn die Schwere allein in ſie wirkte, entfernte man die Kraft F. Wollte man endlich wiſſen, was geſchehe, wenn F und die Schwere zuſammen wirkten, ſo combinirte man beyde vorige Bewegungen nach den gewoͤhnlichen Regeln der Zuſammenſetzung. Und nach dieſem Plane, auf den ſich alle mechaniſche Unterſuchungen gruͤnden, brauchte man die bekannten Geſetze der Bewegung durchgaͤngig als Geſetze traͤger Maſſen.

Herr Gren hingegen will dieſe Geſetze blos von widerſtehenden Maſſen gelten laſſen. So ſollen z. B. die Geſetze des Stoßes nur gelten, wenn ſchwere Koͤrper geſtoßen werden. Er glaubt nemlich, der Einfluß der Maſſe auf dieſe Geſetze laſſe ſich nur aus dem Widerſtande der Maſſe erklaͤren, und damit ſie Widerſtand ausuͤben koͤnne, muͤſſe eine inhaͤrirende Kraft in ihr vorhanden ſeyn. Erſt dieſe mache, daß die Maſſe in jeder andern Richtung, die von der Richtung der inhaͤrirenden Kraft abweiche, widerſtehe.

Zu Widerlegung dieſes Schluſſes darf man nur bedenken, 1) daß es gar nicht noͤthig iſt, den Einfluß der Maſſe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="2">
              <p><pb facs="#f1026" xml:id="P.5.1014" n="1014"/><lb/>
ihr beywohnende Kraft zu einer Bewegung &#x017F;ollicitirt werden und daher in jeder andern Richtung und Ge&#x017F;chwindigkeit, die ihr mitgetheilet wird, und welche von der Richtung und Ge&#x017F;chwindigkeit der ihr beywohnenden Kraft ver&#x017F;chieden i&#x017F;t, wider&#x017F;tehen.</p>
              <p><hi rendition="#b">Beywohnende</hi> Kra&#x0364;fte hat die bisherige Mechanik nicht angenommen, &#x017F;ondern &#x017F;ich die Kra&#x0364;fte <hi rendition="#b">außer</hi> der Materie vorge&#x017F;tellt, und deshalb die letztere als <hi rendition="#b">tra&#x0364;g</hi> betrachtet. Was Herr G. wider&#x017F;tehende Ma&#x017F;&#x017F;e nennt, das hieß gewo&#x0364;hnlich ein Ko&#x0364;rper, der &#x017F;chon durch irgend eine Kraft, z. B. die Schwere zur Bewegung getrieben wird. Um zu finden, wie &#x017F;ich &#x017F;olche Ko&#x0364;rper verhielten, wenn eine neue Kraft <hi rendition="#aq">F</hi> in &#x017F;ie wirkte, &#x017F;orgte man er&#x017F;t dafu&#x0364;r, jene Kraft, z. B. die Schwere, aufzuheben und ins Gleichgewicht zu bringen. Man dachte &#x017F;ich die <hi rendition="#b">&#x017F;chweren</hi> Kugeln auf wagrechte fe&#x017F;te Ebnen gelegt, oder an Fa&#x0364;den aufgehangen. So waren &#x017F;ie wieder als <hi rendition="#b">blos tra&#x0364;g</hi> anzu&#x017F;ehen, und wirkte nun die Kraft <hi rendition="#aq">F</hi> in &#x017F;ie, &#x017F;o erfolgte alles nach den Bewegungsge&#x017F;etzen <hi rendition="#b">tra&#x0364;ger Ma&#x017F;&#x017F;en.</hi> Um zu finden, was erfolgte, wenn die Schwere allein in &#x017F;ie wirkte, entfernte man die Kraft <hi rendition="#aq">F.</hi> Wollte man endlich wi&#x017F;&#x017F;en, was ge&#x017F;chehe, wenn <hi rendition="#aq">F</hi> und die Schwere zu&#x017F;ammen wirkten, &#x017F;o combinirte man beyde vorige Bewegungen nach den gewo&#x0364;hnlichen Regeln der Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung. Und nach die&#x017F;em Plane, auf den &#x017F;ich alle mechani&#x017F;che Unter&#x017F;uchungen gru&#x0364;nden, brauchte man die bekannten Ge&#x017F;etze der Bewegung durchga&#x0364;ngig als <hi rendition="#b">Ge&#x017F;etze tra&#x0364;ger Ma&#x017F;&#x017F;en.</hi></p>
              <p>Herr <hi rendition="#b">Gren</hi> hingegen will die&#x017F;e Ge&#x017F;etze blos von <hi rendition="#b">wider&#x017F;tehenden Ma&#x017F;&#x017F;en</hi> gelten la&#x017F;&#x017F;en. So &#x017F;ollen z. B. die Ge&#x017F;etze des Stoßes nur gelten, wenn <hi rendition="#b">&#x017F;chwere</hi> Ko&#x0364;rper ge&#x017F;toßen werden. Er glaubt nemlich, der Einfluß der Ma&#x017F;&#x017F;e auf die&#x017F;e Ge&#x017F;etze la&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich nur aus dem Wider&#x017F;tande der Ma&#x017F;&#x017F;e erkla&#x0364;ren, und damit &#x017F;ie Wider&#x017F;tand ausu&#x0364;ben ko&#x0364;nne, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e eine inha&#x0364;rirende Kraft in ihr vorhanden &#x017F;eyn. Er&#x017F;t die&#x017F;e mache, daß die Ma&#x017F;&#x017F;e in jeder andern Richtung, die von der Richtung der inha&#x0364;rirenden Kraft abweiche, wider&#x017F;tehe.</p>
              <p>Zu Widerlegung die&#x017F;es Schlu&#x017F;&#x017F;es darf man nur bedenken, 1) daß es gar nicht no&#x0364;thig i&#x017F;t, den Einfluß der Ma&#x017F;&#x017F;e<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1014/1026] ihr beywohnende Kraft zu einer Bewegung ſollicitirt werden und daher in jeder andern Richtung und Geſchwindigkeit, die ihr mitgetheilet wird, und welche von der Richtung und Geſchwindigkeit der ihr beywohnenden Kraft verſchieden iſt, widerſtehen. Beywohnende Kraͤfte hat die bisherige Mechanik nicht angenommen, ſondern ſich die Kraͤfte außer der Materie vorgeſtellt, und deshalb die letztere als traͤg betrachtet. Was Herr G. widerſtehende Maſſe nennt, das hieß gewoͤhnlich ein Koͤrper, der ſchon durch irgend eine Kraft, z. B. die Schwere zur Bewegung getrieben wird. Um zu finden, wie ſich ſolche Koͤrper verhielten, wenn eine neue Kraft F in ſie wirkte, ſorgte man erſt dafuͤr, jene Kraft, z. B. die Schwere, aufzuheben und ins Gleichgewicht zu bringen. Man dachte ſich die ſchweren Kugeln auf wagrechte feſte Ebnen gelegt, oder an Faͤden aufgehangen. So waren ſie wieder als blos traͤg anzuſehen, und wirkte nun die Kraft F in ſie, ſo erfolgte alles nach den Bewegungsgeſetzen traͤger Maſſen. Um zu finden, was erfolgte, wenn die Schwere allein in ſie wirkte, entfernte man die Kraft F. Wollte man endlich wiſſen, was geſchehe, wenn F und die Schwere zuſammen wirkten, ſo combinirte man beyde vorige Bewegungen nach den gewoͤhnlichen Regeln der Zuſammenſetzung. Und nach dieſem Plane, auf den ſich alle mechaniſche Unterſuchungen gruͤnden, brauchte man die bekannten Geſetze der Bewegung durchgaͤngig als Geſetze traͤger Maſſen. Herr Gren hingegen will dieſe Geſetze blos von widerſtehenden Maſſen gelten laſſen. So ſollen z. B. die Geſetze des Stoßes nur gelten, wenn ſchwere Koͤrper geſtoßen werden. Er glaubt nemlich, der Einfluß der Maſſe auf dieſe Geſetze laſſe ſich nur aus dem Widerſtande der Maſſe erklaͤren, und damit ſie Widerſtand ausuͤben koͤnne, muͤſſe eine inhaͤrirende Kraft in ihr vorhanden ſeyn. Erſt dieſe mache, daß die Maſſe in jeder andern Richtung, die von der Richtung der inhaͤrirenden Kraft abweiche, widerſtehe. Zu Widerlegung dieſes Schluſſes darf man nur bedenken, 1) daß es gar nicht noͤthig iſt, den Einfluß der Maſſe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799/1026
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799, S. 1014. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799/1026>, abgerufen am 18.05.2024.