Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


Blick in den Rath der höchsten Weisheit zu erlauben, und den Entscheidungsgrund des Schöpfers bey der Wahl der vornehmsten Naturgesetze zu enthüllen scheint, setzt in der That so viel Scharfsinn voraus, daß man ihrem Urheber gern die kleine Eitelkeit verzeiht, auf eine solche Erfindung einen etwas hohen Werth gelegt zu haben. Leider mußte er auch dafür durch bittere Kränkungen büßen. Der Professor der Mathematik zu Franeker, Samuel König, (De universali principio aequilibrii et motus etc. in Actis Erud. Lips. mens. Mart. 1751. p. 125. sqq. 162. sqq.) machte Erinnerungen gegen das Gesetz der kleinsten Wirkung, suchte vielmehr die statischen und mechanischen Sätze aus der Betrachtung der lebendigen Kräfte herzuleiten, und erinnerte am Ende, schon Leibnitz sey im Besitz einer weit ausgebreiteten Theorie der Wirkung gewesen, indem sich in einem seiner Briefe an Hermann in Basel folgende Stelle befinde: "L'Action n'est point ce que Vous pensez, "la consideration du tems y entre; elle est comme le pro"duit de la masse par le tems, ou du tems par la force "vive. J'ai remarque, que dans les modifications des "mouvemens elle devient ordinairement un Maximum "ou un Minimum. On en peut deduire plusieurs propo"sitions de grande consequence etc." In der That kömmt der Begrif von Wirkung, den diese Stelle ausdrückt, mit Maupertuis Bestimmung völlig überein: denn das Product aus der lebendigen Kraft MC in die Zeit T (oder MCT) ist dem Producte aus Masse, Raum und Geschwindigkeit, oder MSC gleich (weil CT = S, so lange die Bewegung gleichförmig ist), und so schiene der Satz, daß diese Größe der Wirkung gemeiniglich ein Größtes oder Kleinstes werde, schon ein Gedanke Leibnitzens gewesen zu seyn.

Herr von Manpertuis nahm die Anführung der gedachten Stelle so auf, als beschuldige ihn König, die Erfindung von Leibnitzen entlehnt, und mit Unrecht für die seinige ausgegeben zu haben, welches doch wohl die Meinung nicht gewesen war. Er forderte von König, den Brief im Originale darzulegen, und mischte, als dieses nicht gleich


Blick in den Rath der hoͤchſten Weisheit zu erlauben, und den Entſcheidungsgrund des Schoͤpfers bey der Wahl der vornehmſten Naturgeſetze zu enthuͤllen ſcheint, ſetzt in der That ſo viel Scharfſinn voraus, daß man ihrem Urheber gern die kleine Eitelkeit verzeiht, auf eine ſolche Erfindung einen etwas hohen Werth gelegt zu haben. Leider mußte er auch dafuͤr durch bittere Kraͤnkungen buͤßen. Der Profeſſor der Mathematik zu Franeker, Samuel Koͤnig, (De univerſali principio aequilibrii et motus etc. in Actis Erud. Lipſ. menſ. Mart. 1751. p. 125. ſqq. 162. ſqq.) machte Erinnerungen gegen das Geſetz der kleinſten Wirkung, ſuchte vielmehr die ſtatiſchen und mechaniſchen Saͤtze aus der Betrachtung der lebendigen Kraͤfte herzuleiten, und erinnerte am Ende, ſchon Leibnitz ſey im Beſitz einer weit ausgebreiteten Theorie der Wirkung geweſen, indem ſich in einem ſeiner Briefe an Hermann in Baſel folgende Stelle befinde: ”L'Action n'eſt point ce que Vous penſez, ”la conſideration du tems y entre; elle eſt comme le pro”duit de la maſſe par le tems, ou du tems par la force ”vive. J'ai remarqué, que dans les modifications des ”mouvemens elle devient ordinairement un Maximum ”ou un Minimum. On en peut deduire pluſieurs propo”ſitions de grande conſequence etc.“ In der That koͤmmt der Begrif von Wirkung, den dieſe Stelle ausdruͤckt, mit Maupertuis Beſtimmung voͤllig uͤberein: denn das Product aus der lebendigen Kraft MC in die Zeit T (oder MCT) iſt dem Producte aus Maſſe, Raum und Geſchwindigkeit, oder MSC gleich (weil CT = S, ſo lange die Bewegung gleichfoͤrmig iſt), und ſo ſchiene der Satz, daß dieſe Groͤße der Wirkung gemeiniglich ein Groͤßtes oder Kleinſtes werde, ſchon ein Gedanke Leibnitzens geweſen zu ſeyn.

Herr von Manpertuis nahm die Anfuͤhrung der gedachten Stelle ſo auf, als beſchuldige ihn Koͤnig, die Erfindung von Leibnitzen entlehnt, und mit Unrecht fuͤr die ſeinige ausgegeben zu haben, welches doch wohl die Meinung nicht geweſen war. Er forderte von Koͤnig, den Brief im Originale darzulegen, und miſchte, als dieſes nicht gleich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0805" xml:id="P.4.795" n="795"/><lb/>
Blick in den Rath der ho&#x0364;ch&#x017F;ten Weisheit zu erlauben, und den Ent&#x017F;cheidungsgrund des Scho&#x0364;pfers bey der Wahl der vornehm&#x017F;ten Naturge&#x017F;etze zu enthu&#x0364;llen &#x017F;cheint, &#x017F;etzt in der That &#x017F;o viel Scharf&#x017F;inn voraus, daß man ihrem Urheber gern die kleine Eitelkeit verzeiht, auf eine &#x017F;olche Erfindung einen etwas hohen Werth gelegt zu haben. Leider mußte er auch dafu&#x0364;r durch bittere Kra&#x0364;nkungen bu&#x0364;ßen. Der Profe&#x017F;&#x017F;or der Mathematik zu Franeker, <hi rendition="#b">Samuel Ko&#x0364;nig,</hi> (<hi rendition="#aq">De univer&#x017F;ali principio aequilibrii et motus etc. in Actis Erud. Lip&#x017F;. men&#x017F;. Mart. 1751. p. 125. &#x017F;qq. 162. &#x017F;qq.</hi>) machte Erinnerungen gegen das Ge&#x017F;etz der klein&#x017F;ten Wirkung, &#x017F;uchte vielmehr die &#x017F;tati&#x017F;chen und mechani&#x017F;chen Sa&#x0364;tze aus der Betrachtung der lebendigen Kra&#x0364;fte herzuleiten, und erinnerte am Ende, &#x017F;chon <hi rendition="#b">Leibnitz</hi> &#x017F;ey im Be&#x017F;itz einer weit ausgebreiteten Theorie der Wirkung gewe&#x017F;en, indem &#x017F;ich in einem &#x017F;einer Briefe an <hi rendition="#b">Hermann</hi> in Ba&#x017F;el folgende Stelle befinde: <hi rendition="#aq">&#x201D;L'<hi rendition="#i">Action</hi> n'e&#x017F;t point ce que Vous pen&#x017F;ez, &#x201D;la con&#x017F;ideration du <hi rendition="#i">tems</hi> y entre; elle e&#x017F;t comme le pro&#x201D;duit de la ma&#x017F;&#x017F;e par le tems, ou du tems par la force &#x201D;vive. J'ai remarqué, que dans les modifications des &#x201D;mouvemens elle devient ordinairement un <hi rendition="#i">Maximum</hi> &#x201D;ou un <hi rendition="#i">Minimum.</hi> On en peut deduire plu&#x017F;ieurs propo&#x201D;&#x017F;itions de grande con&#x017F;equence etc.&#x201C;</hi> In der That ko&#x0364;mmt der Begrif von Wirkung, den die&#x017F;e Stelle ausdru&#x0364;ckt, mit <hi rendition="#b">Maupertuis</hi> Be&#x017F;timmung vo&#x0364;llig u&#x0364;berein: denn das Product aus der lebendigen Kraft <hi rendition="#aq">MC</hi> in die Zeit <hi rendition="#aq">T</hi> (oder <hi rendition="#aq">MCT</hi>) i&#x017F;t dem Producte aus Ma&#x017F;&#x017F;e, Raum und Ge&#x017F;chwindigkeit, oder <hi rendition="#aq">MSC</hi> gleich (weil <hi rendition="#aq">CT = S,</hi> &#x017F;o lange die Bewegung gleichfo&#x0364;rmig i&#x017F;t), und &#x017F;o &#x017F;chiene der Satz, daß die&#x017F;e Gro&#x0364;ße der Wirkung gemeiniglich ein Gro&#x0364;ßtes oder Klein&#x017F;tes werde, &#x017F;chon ein Gedanke Leibnitzens gewe&#x017F;en zu &#x017F;eyn.</p>
            <p>Herr <hi rendition="#b">von Manpertuis</hi> nahm die Anfu&#x0364;hrung der gedachten Stelle &#x017F;o auf, als be&#x017F;chuldige ihn <hi rendition="#b">Ko&#x0364;nig,</hi> die Erfindung von Leibnitzen entlehnt, und mit Unrecht fu&#x0364;r die &#x017F;einige ausgegeben zu haben, welches doch wohl die Meinung nicht gewe&#x017F;en war. Er forderte von Ko&#x0364;nig, den Brief im Originale darzulegen, und mi&#x017F;chte, als die&#x017F;es nicht gleich<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[795/0805] Blick in den Rath der hoͤchſten Weisheit zu erlauben, und den Entſcheidungsgrund des Schoͤpfers bey der Wahl der vornehmſten Naturgeſetze zu enthuͤllen ſcheint, ſetzt in der That ſo viel Scharfſinn voraus, daß man ihrem Urheber gern die kleine Eitelkeit verzeiht, auf eine ſolche Erfindung einen etwas hohen Werth gelegt zu haben. Leider mußte er auch dafuͤr durch bittere Kraͤnkungen buͤßen. Der Profeſſor der Mathematik zu Franeker, Samuel Koͤnig, (De univerſali principio aequilibrii et motus etc. in Actis Erud. Lipſ. menſ. Mart. 1751. p. 125. ſqq. 162. ſqq.) machte Erinnerungen gegen das Geſetz der kleinſten Wirkung, ſuchte vielmehr die ſtatiſchen und mechaniſchen Saͤtze aus der Betrachtung der lebendigen Kraͤfte herzuleiten, und erinnerte am Ende, ſchon Leibnitz ſey im Beſitz einer weit ausgebreiteten Theorie der Wirkung geweſen, indem ſich in einem ſeiner Briefe an Hermann in Baſel folgende Stelle befinde: ”L'Action n'eſt point ce que Vous penſez, ”la conſideration du tems y entre; elle eſt comme le pro”duit de la maſſe par le tems, ou du tems par la force ”vive. J'ai remarqué, que dans les modifications des ”mouvemens elle devient ordinairement un Maximum ”ou un Minimum. On en peut deduire pluſieurs propo”ſitions de grande conſequence etc.“ In der That koͤmmt der Begrif von Wirkung, den dieſe Stelle ausdruͤckt, mit Maupertuis Beſtimmung voͤllig uͤberein: denn das Product aus der lebendigen Kraft MC in die Zeit T (oder MCT) iſt dem Producte aus Maſſe, Raum und Geſchwindigkeit, oder MSC gleich (weil CT = S, ſo lange die Bewegung gleichfoͤrmig iſt), und ſo ſchiene der Satz, daß dieſe Groͤße der Wirkung gemeiniglich ein Groͤßtes oder Kleinſtes werde, ſchon ein Gedanke Leibnitzens geweſen zu ſeyn. Herr von Manpertuis nahm die Anfuͤhrung der gedachten Stelle ſo auf, als beſchuldige ihn Koͤnig, die Erfindung von Leibnitzen entlehnt, und mit Unrecht fuͤr die ſeinige ausgegeben zu haben, welches doch wohl die Meinung nicht geweſen war. Er forderte von Koͤnig, den Brief im Originale darzulegen, und miſchte, als dieſes nicht gleich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/805
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798, S. 795. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/805>, abgerufen am 23.11.2024.