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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.

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Man kan an diesem Beweise nichts aussetzen. Daß sein erster Satz als eine Erfahrung angenommen wird, ist nicht zu tadeln, da Gründe der angewandten Mathematik nicht aus abstrakten Begriffen allein, sondern aus Betrachtungen wirklich vorhandener Dinge herzuleiten sind, wobey allezeit Erfahrungssätze vorkommen müssen. Bey dem Worte Druck (Th. I. S. 607 u. f.) habe ich deutlich gezeigt, daß insbesondere die Lehre vom Drucke flüßiger Massen nicht auf bloße Betrachtung gegründet werden könne, sondern allemal Entscheidungen aus Erfahrung erfordere. Daher war auch Dantel Bernoulli's Versuch eines blos mathematischen Beweises vergeblich.

D'Alembert (Traite de l'equilibre et du mouv. des fluides. §. 1.) und Euler (De l'equilibre des fluides, in den Mem. de l'Acad. des sc. de Prusse. 1755.) suchen zwar nicht das Gleichgewicht flüßiger Körper ohne Erfahrungen zu beweisen; sie legen aber dabey einen andern Erfahrungssatz zum Grunde, welchen d'Alembert auf folgende Art ausdrückt:

"Wenn ein Gefäß von beliebiger Gestalt mit einer "flüßigen Materie ganz erfüllt ist, und man in diesem Ge"fäße eine kleine Oesnung macht, und an derselben die Ober"fläche der flüßigen Materie drückt, so verbreitet sich dieser "Druck gleichförmig nach allen Richtungen und durch alle "Theile der flüßigen Materie so, daß alle Punkte des Ge"fäßes nach der auf die Wände desselben senkrechten Rich"tung mit einer Kraft gedrückt werden, welche der an der "Oefnung drückenden Kraft gleich ist."

Aus diesem Satze, den d'Alembert als eine Erfahrung (comme un principe d'experience, dont tout le monde convient, et qui est ce que nous connoissons de plus certain sur la nature des Fluides) betrachtet, läßt sich zwar alles herleiten; aber schwerlich wird man ihn durch so leichte und einfache Erfahrungen beweisen können, als den Satz, daß die Oberfläche flüßiger Materien in jedem Gefäße wagrecht stehe. Da man nun einmal die Erfahrungen nicht entbehren kan, so ist es doch besser, die leichtern und einfachern zum Grunde zu legen; daher diese Kästnerische


Man kan an dieſem Beweiſe nichts ausſetzen. Daß ſein erſter Satz als eine Erfahrung angenommen wird, iſt nicht zu tadeln, da Gruͤnde der angewandten Mathematik nicht aus abſtrakten Begriffen allein, ſondern aus Betrachtungen wirklich vorhandener Dinge herzuleiten ſind, wobey allezeit Erfahrungsſaͤtze vorkommen muͤſſen. Bey dem Worte Druck (Th. I. S. 607 u. f.) habe ich deutlich gezeigt, daß insbeſondere die Lehre vom Drucke fluͤßiger Maſſen nicht auf bloße Betrachtung gegruͤndet werden koͤnne, ſondern allemal Entſcheidungen aus Erfahrung erfordere. Daher war auch Dantel Bernoulli's Verſuch eines blos mathematiſchen Beweiſes vergeblich.

D'Alembert (Traité de l'équilibre et du mouv. des fluides. §. 1.) und Euler (De l'équilibre des fluides, in den Mém. de l'Acad. des ſc. de Pruſſe. 1755.) ſuchen zwar nicht das Gleichgewicht fluͤßiger Koͤrper ohne Erfahrungen zu beweiſen; ſie legen aber dabey einen andern Erfahrungsſatz zum Grunde, welchen d'Alembert auf folgende Art ausdruͤckt:

”Wenn ein Gefaͤß von beliebiger Geſtalt mit einer ”fluͤßigen Materie ganz erfuͤllt iſt, und man in dieſem Ge”faͤße eine kleine Oeſnung macht, und an derſelben die Ober”flaͤche der fluͤßigen Materie druͤckt, ſo verbreitet ſich dieſer ”Druck gleichfoͤrmig nach allen Richtungen und durch alle ”Theile der fluͤßigen Materie ſo, daß alle Punkte des Ge”faͤßes nach der auf die Waͤnde deſſelben ſenkrechten Rich”tung mit einer Kraft gedruͤckt werden, welche der an der ”Oefnung druͤckenden Kraft gleich iſt.“

Aus dieſem Satze, den d'Alembert als eine Erfahrung (comme un principe d'experience, dont tout le monde convient, et qui eſt ce que nous connoiſſons de plus certain ſur la nature des Fluides) betrachtet, laͤßt ſich zwar alles herleiten; aber ſchwerlich wird man ihn durch ſo leichte und einfache Erfahrungen beweiſen koͤnnen, als den Satz, daß die Oberflaͤche fluͤßiger Materien in jedem Gefaͤße wagrecht ſtehe. Da man nun einmal die Erfahrungen nicht entbehren kan, ſo iſt es doch beſſer, die leichtern und einfachern zum Grunde zu legen; daher dieſe Kaͤſtneriſche

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[723/0729] Man kan an dieſem Beweiſe nichts ausſetzen. Daß ſein erſter Satz als eine Erfahrung angenommen wird, iſt nicht zu tadeln, da Gruͤnde der angewandten Mathematik nicht aus abſtrakten Begriffen allein, ſondern aus Betrachtungen wirklich vorhandener Dinge herzuleiten ſind, wobey allezeit Erfahrungsſaͤtze vorkommen muͤſſen. Bey dem Worte Druck (Th. I. S. 607 u. f.) habe ich deutlich gezeigt, daß insbeſondere die Lehre vom Drucke fluͤßiger Maſſen nicht auf bloße Betrachtung gegruͤndet werden koͤnne, ſondern allemal Entſcheidungen aus Erfahrung erfordere. Daher war auch Dantel Bernoulli's Verſuch eines blos mathematiſchen Beweiſes vergeblich. D'Alembert (Traité de l'équilibre et du mouv. des fluides. §. 1.) und Euler (De l'équilibre des fluides, in den Mém. de l'Acad. des ſc. de Pruſſe. 1755.) ſuchen zwar nicht das Gleichgewicht fluͤßiger Koͤrper ohne Erfahrungen zu beweiſen; ſie legen aber dabey einen andern Erfahrungsſatz zum Grunde, welchen d'Alembert auf folgende Art ausdruͤckt: ”Wenn ein Gefaͤß von beliebiger Geſtalt mit einer ”fluͤßigen Materie ganz erfuͤllt iſt, und man in dieſem Ge”faͤße eine kleine Oeſnung macht, und an derſelben die Ober”flaͤche der fluͤßigen Materie druͤckt, ſo verbreitet ſich dieſer ”Druck gleichfoͤrmig nach allen Richtungen und durch alle ”Theile der fluͤßigen Materie ſo, daß alle Punkte des Ge”faͤßes nach der auf die Waͤnde deſſelben ſenkrechten Rich”tung mit einer Kraft gedruͤckt werden, welche der an der ”Oefnung druͤckenden Kraft gleich iſt.“ Aus dieſem Satze, den d'Alembert als eine Erfahrung (comme un principe d'experience, dont tout le monde convient, et qui eſt ce que nous connoiſſons de plus certain ſur la nature des Fluides) betrachtet, laͤßt ſich zwar alles herleiten; aber ſchwerlich wird man ihn durch ſo leichte und einfache Erfahrungen beweiſen koͤnnen, als den Satz, daß die Oberflaͤche fluͤßiger Materien in jedem Gefaͤße wagrecht ſtehe. Da man nun einmal die Erfahrungen nicht entbehren kan, ſo iſt es doch beſſer, die leichtern und einfachern zum Grunde zu legen; daher dieſe Kaͤſtneriſche

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798, S. 723. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/729>, abgerufen am 20.05.2024.