Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


"zwischen ihnen, und dieser Abstand sey doch Nichts; denn "aller Abstand ist eine Art der Ausdehnung, und kan "also nicht vorhanden seyn ohne ausgedehnte Substanz." (P. II. §. 18.). Dies nöthigt ihn nun, die verschiedene Dichte bloß für ein Phänomen auszugeben, das aus der verschiedenen Menge der in den Zwischenräumen enthaltenen subtilen Materie entspringe, alle Bewegung aber für kreisförmig, d. i. so zu erklären, daß ein Körper den zweyten, dieser den dritten u.s.w. im Kreise fort gerechnet aus der Stelle treibe, der letzte aber an die Stelle des ersten wieder eintrete. In der That verstatten auch seine loca omnia corporibus plena keine andere Möglichkeit, Bewegungen zu gedenken, wozu noch überdies die Materie ohne Ende theilbar seyn und unendlich verschiedene Gestalten haben muß, die ohne alle Lücken in einander passen. Darauf beruhen seine Wirbel, und seine ganze der Erfahrung oft so sehr widersprechende Mechanik.

Newton hingegen, welcher die Lehre vom Widerstande der Mittel (Princip. L. II.) so vortreflich abgehandelt hat, zieht aus derselben Folgerungen, welche dem cartesianischen vollen Raume geradezu widersprechen. Alle Bewegungen müßten in dieser compacten Masse von materiellen Theilen einen unendlichen Widerstand finden. Descartes zwar giebt vor, der Widerstand werde durch die Zertrennung in feine Theile vermindert, und die subtile Materie sey so fein zertheilt, daß sie gar nicht mehr widerstehe. Newton hingegen zeigt (prop. 38 et 40.), daß selbst die feinste Zertheilung der Materie den Widerstand nicht merklich ändere, welcher sich immer sehr nahe, wie die Dichtigkeit des widerstehenden Mittels verhält; daher diejenigen Mittel, in welchen Körper ohne merkliche Retardation weit fortgehen, allezeit ungemein viel dünner seyn müssen, als die Körper, welche in ihnen bewegt werden. Diesen Grundsätzen gemäß würde eine Kugel, die sich in einem cartesianischen vollkommen dichten Mittel bewegte, bey aller Feinheit und Flüßigkeit desselben dennoch mehr als die Helfte ihrer Bewegung verlieren, ehe sie noch die dreyfache Länge ihres Durchmessers durchlaufen hätte. So würde es nicht


”zwiſchen ihnen, und dieſer Abſtand ſey doch Nichts; denn ”aller Abſtand iſt eine Art der Ausdehnung, und kan ”alſo nicht vorhanden ſeyn ohne ausgedehnte Subſtanz.“ (P. II. §. 18.). Dies noͤthigt ihn nun, die verſchiedene Dichte bloß fuͤr ein Phaͤnomen auszugeben, das aus der verſchiedenen Menge der in den Zwiſchenraͤumen enthaltenen ſubtilen Materie entſpringe, alle Bewegung aber fuͤr kreisfoͤrmig, d. i. ſo zu erklaͤren, daß ein Koͤrper den zweyten, dieſer den dritten u.ſ.w. im Kreiſe fort gerechnet aus der Stelle treibe, der letzte aber an die Stelle des erſten wieder eintrete. In der That verſtatten auch ſeine loca omnia corporibus plena keine andere Moͤglichkeit, Bewegungen zu gedenken, wozu noch uͤberdies die Materie ohne Ende theilbar ſeyn und unendlich verſchiedene Geſtalten haben muß, die ohne alle Luͤcken in einander paſſen. Darauf beruhen ſeine Wirbel, und ſeine ganze der Erfahrung oft ſo ſehr widerſprechende Mechanik.

Newton hingegen, welcher die Lehre vom Widerſtande der Mittel (Princip. L. II.) ſo vortreflich abgehandelt hat, zieht aus derſelben Folgerungen, welche dem carteſianiſchen vollen Raume geradezu widerſprechen. Alle Bewegungen muͤßten in dieſer compacten Maſſe von materiellen Theilen einen unendlichen Widerſtand finden. Descartes zwar giebt vor, der Widerſtand werde durch die Zertrennung in feine Theile vermindert, und die ſubtile Materie ſey ſo fein zertheilt, daß ſie gar nicht mehr widerſtehe. Newton hingegen zeigt (prop. 38 et 40.), daß ſelbſt die feinſte Zertheilung der Materie den Widerſtand nicht merklich aͤndere, welcher ſich immer ſehr nahe, wie die Dichtigkeit des widerſtehenden Mittels verhaͤlt; daher diejenigen Mittel, in welchen Koͤrper ohne merkliche Retardation weit fortgehen, allezeit ungemein viel duͤnner ſeyn muͤſſen, als die Koͤrper, welche in ihnen bewegt werden. Dieſen Grundſaͤtzen gemaͤß wuͤrde eine Kugel, die ſich in einem carteſianiſchen vollkommen dichten Mittel bewegte, bey aller Feinheit und Fluͤßigkeit deſſelben dennoch mehr als die Helfte ihrer Bewegung verlieren, ehe ſie noch die dreyfache Laͤnge ihres Durchmeſſers durchlaufen haͤtte. So wuͤrde es nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="2">
            <p><pb facs="#f0875" xml:id="P.2.869" n="869"/><lb/>
&#x201D;zwi&#x017F;chen ihnen, und die&#x017F;er Ab&#x017F;tand &#x017F;ey doch Nichts; denn &#x201D;aller Ab&#x017F;tand i&#x017F;t eine Art der Ausdehnung, und kan &#x201D;al&#x017F;o nicht vorhanden &#x017F;eyn ohne ausgedehnte Sub&#x017F;tanz.&#x201C; <hi rendition="#aq">(P. II. §. 18.).</hi> Dies no&#x0364;thigt ihn nun, die ver&#x017F;chiedene Dichte bloß fu&#x0364;r ein Pha&#x0364;nomen auszugeben, das aus der ver&#x017F;chiedenen Menge der in den Zwi&#x017F;chenra&#x0364;umen enthaltenen &#x017F;ubtilen Materie ent&#x017F;pringe, alle Bewegung aber fu&#x0364;r kreisfo&#x0364;rmig, d. i. &#x017F;o zu erkla&#x0364;ren, daß ein Ko&#x0364;rper den zweyten, die&#x017F;er den dritten u.&#x017F;.w. im Krei&#x017F;e fort gerechnet aus der Stelle treibe, der letzte aber an die Stelle des er&#x017F;ten wieder eintrete. In der That ver&#x017F;tatten auch &#x017F;eine <hi rendition="#aq">loca omnia corporibus plena</hi> keine andere Mo&#x0364;glichkeit, Bewegungen zu gedenken, wozu noch u&#x0364;berdies die Materie ohne Ende theilbar &#x017F;eyn und unendlich ver&#x017F;chiedene Ge&#x017F;talten haben muß, die ohne alle Lu&#x0364;cken in einander pa&#x017F;&#x017F;en. Darauf beruhen &#x017F;eine Wirbel, und &#x017F;eine ganze der Erfahrung oft &#x017F;o &#x017F;ehr wider&#x017F;prechende Mechanik.</p>
            <p><hi rendition="#b">Newton</hi> hingegen, welcher die Lehre vom Wider&#x017F;tande der Mittel <hi rendition="#aq">(Princip. L. II.)</hi> &#x017F;o vortreflich abgehandelt hat, zieht aus der&#x017F;elben Folgerungen, welche dem carte&#x017F;iani&#x017F;chen vollen Raume geradezu wider&#x017F;prechen. Alle Bewegungen mu&#x0364;ßten in die&#x017F;er compacten Ma&#x017F;&#x017F;e von materiellen Theilen einen unendlichen Wider&#x017F;tand finden. Descartes zwar giebt vor, der Wider&#x017F;tand werde durch die Zertrennung in feine Theile vermindert, und die &#x017F;ubtile Materie &#x017F;ey &#x017F;o fein zertheilt, daß &#x017F;ie gar nicht mehr wider&#x017F;tehe. Newton hingegen zeigt <hi rendition="#aq">(prop. 38 et 40.),</hi> daß &#x017F;elb&#x017F;t die fein&#x017F;te Zertheilung der Materie den Wider&#x017F;tand nicht merklich a&#x0364;ndere, welcher &#x017F;ich immer &#x017F;ehr nahe, wie die Dichtigkeit des wider&#x017F;tehenden Mittels verha&#x0364;lt; daher diejenigen Mittel, in welchen Ko&#x0364;rper ohne merkliche Retardation weit fortgehen, allezeit ungemein viel <hi rendition="#b">du&#x0364;nner</hi> &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, als die Ko&#x0364;rper, welche in ihnen bewegt werden. Die&#x017F;en Grund&#x017F;a&#x0364;tzen gema&#x0364;ß wu&#x0364;rde eine Kugel, die &#x017F;ich in einem carte&#x017F;iani&#x017F;chen vollkommen dichten Mittel bewegte, bey aller Feinheit und Flu&#x0364;ßigkeit de&#x017F;&#x017F;elben dennoch mehr als die Helfte ihrer Bewegung verlieren, ehe &#x017F;ie noch die dreyfache La&#x0364;nge ihres Durchme&#x017F;&#x017F;ers durchlaufen ha&#x0364;tte. So wu&#x0364;rde es nicht<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[869/0875] ”zwiſchen ihnen, und dieſer Abſtand ſey doch Nichts; denn ”aller Abſtand iſt eine Art der Ausdehnung, und kan ”alſo nicht vorhanden ſeyn ohne ausgedehnte Subſtanz.“ (P. II. §. 18.). Dies noͤthigt ihn nun, die verſchiedene Dichte bloß fuͤr ein Phaͤnomen auszugeben, das aus der verſchiedenen Menge der in den Zwiſchenraͤumen enthaltenen ſubtilen Materie entſpringe, alle Bewegung aber fuͤr kreisfoͤrmig, d. i. ſo zu erklaͤren, daß ein Koͤrper den zweyten, dieſer den dritten u.ſ.w. im Kreiſe fort gerechnet aus der Stelle treibe, der letzte aber an die Stelle des erſten wieder eintrete. In der That verſtatten auch ſeine loca omnia corporibus plena keine andere Moͤglichkeit, Bewegungen zu gedenken, wozu noch uͤberdies die Materie ohne Ende theilbar ſeyn und unendlich verſchiedene Geſtalten haben muß, die ohne alle Luͤcken in einander paſſen. Darauf beruhen ſeine Wirbel, und ſeine ganze der Erfahrung oft ſo ſehr widerſprechende Mechanik. Newton hingegen, welcher die Lehre vom Widerſtande der Mittel (Princip. L. II.) ſo vortreflich abgehandelt hat, zieht aus derſelben Folgerungen, welche dem carteſianiſchen vollen Raume geradezu widerſprechen. Alle Bewegungen muͤßten in dieſer compacten Maſſe von materiellen Theilen einen unendlichen Widerſtand finden. Descartes zwar giebt vor, der Widerſtand werde durch die Zertrennung in feine Theile vermindert, und die ſubtile Materie ſey ſo fein zertheilt, daß ſie gar nicht mehr widerſtehe. Newton hingegen zeigt (prop. 38 et 40.), daß ſelbſt die feinſte Zertheilung der Materie den Widerſtand nicht merklich aͤndere, welcher ſich immer ſehr nahe, wie die Dichtigkeit des widerſtehenden Mittels verhaͤlt; daher diejenigen Mittel, in welchen Koͤrper ohne merkliche Retardation weit fortgehen, allezeit ungemein viel duͤnner ſeyn muͤſſen, als die Koͤrper, welche in ihnen bewegt werden. Dieſen Grundſaͤtzen gemaͤß wuͤrde eine Kugel, die ſich in einem carteſianiſchen vollkommen dichten Mittel bewegte, bey aller Feinheit und Fluͤßigkeit deſſelben dennoch mehr als die Helfte ihrer Bewegung verlieren, ehe ſie noch die dreyfache Laͤnge ihres Durchmeſſers durchlaufen haͤtte. So wuͤrde es nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/875
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 869. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/875>, abgerufen am 25.11.2024.