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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.

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Der Erste nemlich stellt sich das dunkle Gesichtsfeld, an welchem er die helle Scheibe sieht,entfernter,der letztere näher vor.

Sonne und Mond scheinen uns am Horizonte weit größer, als in einiger Höhe über demselben, weil wir den Himmel am Horizonte für entfernter, in höhern Gegenden für näher halten. Der optische Winkel, unter dem diese Körper gesehen werden, mit astronomischen Werkzeugen gemessen, bleibt dabey immer einerley. Eben so scheinen uns die Distanzen der Fixsterne von einander am Horizonte größer, als in der Höhe, und wenn man nach dem Augenmaaße von Höhen über dem Horizonte urtheilen, z. B. den Punkt bestimmen will, der eine Höhe von 45° hat, so setzt man ihn gewiß zu niedrig, und findet einen Punkt, der kaum 23° Höhe hat, weil uns die Helfte des Himmels am Horizonte entfernter, also auch weit größer scheint, als die Helste gegen das Zenith, s. Himmel.

Auch irdische Gegenstände, Menschen, Thiere u. dgl. scheinen aus der Höhe oder Tiefe betrachtet, näher und also kleiner, als wenn man sie auf der Pläne hin siehet, s. Gesichtsbetrüge.

Es kömmt daher bey dem Urtheile von der scheinbaren Größe auf alle die Umstände an, die das Urtheil über die Entfernung bestimmen, und vielleicht vereinigen sich damit noch mehrere. Sehen wir etwas in einem Verhältnisse, das uns andere ähnliche Erfahrungen ins Gedächtniß bringt, so helfen auch diese das Urtheil von der Größe bestimmen. Haben wir eine Sache, z. B. ein Dintenfaß, ein Trinkglas, lang gebraucht, und nehmen hernach ein größeres Stück dieser Art, so scheint dieses Anfangs sehr groß, mit der Zeit aber allmählig kleiner. Kindern kommen entfernte Sachen kleiner vor, als Erwachsenen, u. s. w. Die Größe des Bildes auf der Netzhaut ist nur ein einzelner Umstand beym Sehen; was er sagen wolle, erklären wir uns, wie bey vieldeutigen Worten, aus dem Zusammenhange.

Man kan daher von der scheinbaren Größe nie bestimmt sprechen, wenn man nicht bey der ersten Bedeutung des Worts,


Der Erſte nemlich ſtellt ſich das dunkle Geſichtsfeld, an welchem er die helle Scheibe ſieht,entfernter,der letztere naͤher vor.

Sonne und Mond ſcheinen uns am Horizonte weit groͤßer, als in einiger Hoͤhe uͤber demſelben, weil wir den Himmel am Horizonte fuͤr entfernter, in hoͤhern Gegenden fuͤr naͤher halten. Der optiſche Winkel, unter dem dieſe Koͤrper geſehen werden, mit aſtronomiſchen Werkzeugen gemeſſen, bleibt dabey immer einerley. Eben ſo ſcheinen uns die Diſtanzen der Fixſterne von einander am Horizonte groͤßer, als in der Hoͤhe, und wenn man nach dem Augenmaaße von Hoͤhen uͤber dem Horizonte urtheilen, z. B. den Punkt beſtimmen will, der eine Hoͤhe von 45° hat, ſo ſetzt man ihn gewiß zu niedrig, und findet einen Punkt, der kaum 23° Hoͤhe hat, weil uns die Helfte des Himmels am Horizonte entfernter, alſo auch weit groͤßer ſcheint, als die Helſte gegen das Zenith, ſ. Himmel.

Auch irdiſche Gegenſtaͤnde, Menſchen, Thiere u. dgl. ſcheinen aus der Hoͤhe oder Tiefe betrachtet, naͤher und alſo kleiner, als wenn man ſie auf der Plaͤne hin ſiehet, ſ. Geſichtsbetruͤge.

Es koͤmmt daher bey dem Urtheile von der ſcheinbaren Groͤße auf alle die Umſtaͤnde an, die das Urtheil uͤber die Entfernung beſtimmen, und vielleicht vereinigen ſich damit noch mehrere. Sehen wir etwas in einem Verhaͤltniſſe, das uns andere aͤhnliche Erfahrungen ins Gedaͤchtniß bringt, ſo helfen auch dieſe das Urtheil von der Groͤße beſtimmen. Haben wir eine Sache, z. B. ein Dintenfaß, ein Trinkglas, lang gebraucht, und nehmen hernach ein groͤßeres Stuͤck dieſer Art, ſo ſcheint dieſes Anfangs ſehr groß, mit der Zeit aber allmaͤhlig kleiner. Kindern kommen entfernte Sachen kleiner vor, als Erwachſenen, u. ſ. w. Die Groͤße des Bildes auf der Netzhaut iſt nur ein einzelner Umſtand beym Sehen; was er ſagen wolle, erklaͤren wir uns, wie bey vieldeutigen Worten, aus dem Zuſammenhange.

Man kan daher von der ſcheinbaren Groͤße nie beſtimmt ſprechen, wenn man nicht bey der erſten Bedeutung des Worts,

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[541/0547] Der Erſte nemlich ſtellt ſich das dunkle Geſichtsfeld, an welchem er die helle Scheibe ſieht,entfernter,der letztere naͤher vor. Sonne und Mond ſcheinen uns am Horizonte weit groͤßer, als in einiger Hoͤhe uͤber demſelben, weil wir den Himmel am Horizonte fuͤr entfernter, in hoͤhern Gegenden fuͤr naͤher halten. Der optiſche Winkel, unter dem dieſe Koͤrper geſehen werden, mit aſtronomiſchen Werkzeugen gemeſſen, bleibt dabey immer einerley. Eben ſo ſcheinen uns die Diſtanzen der Fixſterne von einander am Horizonte groͤßer, als in der Hoͤhe, und wenn man nach dem Augenmaaße von Hoͤhen uͤber dem Horizonte urtheilen, z. B. den Punkt beſtimmen will, der eine Hoͤhe von 45° hat, ſo ſetzt man ihn gewiß zu niedrig, und findet einen Punkt, der kaum 23° Hoͤhe hat, weil uns die Helfte des Himmels am Horizonte entfernter, alſo auch weit groͤßer ſcheint, als die Helſte gegen das Zenith, ſ. Himmel. Auch irdiſche Gegenſtaͤnde, Menſchen, Thiere u. dgl. ſcheinen aus der Hoͤhe oder Tiefe betrachtet, naͤher und alſo kleiner, als wenn man ſie auf der Plaͤne hin ſiehet, ſ. Geſichtsbetruͤge. Es koͤmmt daher bey dem Urtheile von der ſcheinbaren Groͤße auf alle die Umſtaͤnde an, die das Urtheil uͤber die Entfernung beſtimmen, und vielleicht vereinigen ſich damit noch mehrere. Sehen wir etwas in einem Verhaͤltniſſe, das uns andere aͤhnliche Erfahrungen ins Gedaͤchtniß bringt, ſo helfen auch dieſe das Urtheil von der Groͤße beſtimmen. Haben wir eine Sache, z. B. ein Dintenfaß, ein Trinkglas, lang gebraucht, und nehmen hernach ein groͤßeres Stuͤck dieſer Art, ſo ſcheint dieſes Anfangs ſehr groß, mit der Zeit aber allmaͤhlig kleiner. Kindern kommen entfernte Sachen kleiner vor, als Erwachſenen, u. ſ. w. Die Groͤße des Bildes auf der Netzhaut iſt nur ein einzelner Umſtand beym Sehen; was er ſagen wolle, erklaͤren wir uns, wie bey vieldeutigen Worten, aus dem Zuſammenhange. Man kan daher von der ſcheinbaren Groͤße nie beſtimmt ſprechen, wenn man nicht bey der erſten Bedeutung des Worts,

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/547>, abgerufen am 20.05.2024.