Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.Das falsche Sehen (Pseudoblepsis), welches die letzte Classe der Gesichtsfehler ausmacht, zeigt entweder Dinge, die gar nicht vorhanden sind (Pseudoblepsis imaginaria), oder vorhandene Dinge anders, als gewöhnlich (Pseudoblepsis mutans). Zur ersten Art gehören die Erscheinungen von Fliegen, Netzen, Funken u. dgl. die vor dem Auge schweben; zur zweyten das Nichtsehen der Farben, die Erscheinung falscher Farben, falscher Gestalten, Lagen und Größen, das Halbsehen und das Doppeltsehen. Viele Personen sehen vor ihren Augen dunkle Flecken oder Punkte wie kleine Mücken, wellenförmig gewundene Fäden, Netze, Spinnweben, helle Punkte oder Funken u. dgl. Diese Flecken steigen in die Höhe auf, wenn das Auge schnell gegen den Himmel erhoben wird; wenn man aber scharf auf einen Gegenstand sieht, sinken sie langsam herab und verschwinden, bis das Auge wieder bewegt wird. Sie erscheinen am deutlichsten, wenn sie vor der Mitte des Auges vorbeygehen, und dasselbe auf einen hellen Gegenstand, vorzüglich gegen Schnee oder Nebel, gerichtet ist. Manche Augen sehen sie in fast unzählbarer Menge, und einige darunter scheinen schwerer zu seyn und sinken schneller zu Boden, als die andern. Wenn man den Kopf niedersenkt, so sammeln sie sich um die Mitte des Auges; legt man sich aber auf den Rücken, und senkt den Kopf hinterwärts, so gehen sie nach der Stirn zu, welche alsdann am niedrigsten liegt. Sie folgen also offenbar der Schwere so, wie Körper, die in einer flüßigen Materie schwimmen. Die meisten Aerzte haben sie mit Willis (Anat. cerebri, cap. 21.) aus der Unempfindlichkeit gewisser Stellen der Netzhaut durch ausgetretenes Blut oder Ver- <*>lechtung der Gefäße erklärt, wodurch aber ihre Bewegung nicht begreiflich wird; de la Hire und Le Roi (Mem. de Paris, 1760.) setzen sie in die wässerichte Feuchtigkeit, und Morgagni (Adversar. anatom. VI. Animadvers. 75.) leitet sie von Streifen der eingetrockneten Thränenfeuchtigkeit auf der Hornhaut her. Maitre-Jan (Traite des maladies de l' oeil, 12mo p. 281.) vermuthet, daß diese Erscheinung, weil sie ost vor dem grauen Das falſche Sehen (Pſeudoblepſis), welches die letzte Claſſe der Geſichtsfehler ausmacht, zeigt entweder Dinge, die gar nicht vorhanden ſind (Pſeudoblepſis imaginaria), oder vorhandene Dinge anders, als gewoͤhnlich (Pſeudoblepſis mutans). Zur erſten Art gehoͤren die Erſcheinungen von Fliegen, Netzen, Funken u. dgl. die vor dem Auge ſchweben; zur zweyten das Nichtſehen der Farben, die Erſcheinung falſcher Farben, falſcher Geſtalten, Lagen und Groͤßen, das Halbſehen und das Doppeltſehen. Viele Perſonen ſehen vor ihren Augen dunkle Flecken oder Punkte wie kleine Muͤcken, wellenfoͤrmig gewundene Faͤden, Netze, Spinnweben, helle Punkte oder Funken u. dgl. Dieſe Flecken ſteigen in die Hoͤhe auf, wenn das Auge ſchnell gegen den Himmel erhoben wird; wenn man aber ſcharf auf einen Gegenſtand ſieht, ſinken ſie langſam herab und verſchwinden, bis das Auge wieder bewegt wird. Sie erſcheinen am deutlichſten, wenn ſie vor der Mitte des Auges vorbeygehen, und daſſelbe auf einen hellen Gegenſtand, vorzuͤglich gegen Schnee oder Nebel, gerichtet iſt. Manche Augen ſehen ſie in faſt unzaͤhlbarer Menge, und einige darunter ſcheinen ſchwerer zu ſeyn und ſinken ſchneller zu Boden, als die andern. Wenn man den Kopf niederſenkt, ſo ſammeln ſie ſich um die Mitte des Auges; legt man ſich aber auf den Ruͤcken, und ſenkt den Kopf hinterwaͤrts, ſo gehen ſie nach der Stirn zu, welche alsdann am niedrigſten liegt. Sie folgen alſo offenbar der Schwere ſo, wie Koͤrper, die in einer fluͤßigen Materie ſchwimmen. Die meiſten Aerzte haben ſie mit Willis (Anat. cerebri, cap. 21.) aus der Unempfindlichkeit gewiſſer Stellen der Netzhaut durch ausgetretenes Blut oder Ver- <*>lechtung der Gefaͤße erklaͤrt, wodurch aber ihre Bewegung nicht begreiflich wird; de la Hire und Le Roi (Mém. de Paris, 1760.) ſetzen ſie in die waͤſſerichte Feuchtigkeit, und Morgagni (Adverſar. anatom. VI. Animadverſ. 75.) leitet ſie von Streifen der eingetrockneten Thraͤnenfeuchtigkeit auf der Hornhaut her. 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Viele Perſonen ſehen vor ihren Augen dunkle Flecken oder Punkte wie kleine Muͤcken, wellenfoͤrmig gewundene Faͤden, Netze, Spinnweben, helle Punkte oder Funken u. dgl. Dieſe Flecken ſteigen in die Hoͤhe auf, wenn das Auge ſchnell gegen den Himmel erhoben wird; wenn man aber ſcharf auf einen Gegenſtand ſieht, ſinken ſie langſam herab und verſchwinden, bis das Auge wieder bewegt wird. Sie erſcheinen am deutlichſten, wenn ſie vor der Mitte des Auges vorbeygehen, und daſſelbe auf einen hellen Gegenſtand, vorzuͤglich gegen Schnee oder Nebel, gerichtet iſt. Manche Augen ſehen ſie in faſt unzaͤhlbarer Menge, und einige darunter ſcheinen ſchwerer zu ſeyn und ſinken ſchneller zu Boden, als die andern. Wenn man den Kopf niederſenkt, ſo ſammeln ſie ſich um die Mitte des Auges; legt man ſich aber auf den Ruͤcken, und ſenkt den Kopf hinterwaͤrts, ſo gehen ſie nach der Stirn zu, welche alsdann am niedrigſten liegt. Sie folgen alſo offenbar der Schwere ſo, wie Koͤrper, die in einer fluͤßigen Materie ſchwimmen. Die meiſten Aerzte haben ſie mit Willis (Anat. cerebri, cap. 21.) aus der Unempfindlichkeit gewiſſer Stellen der Netzhaut durch ausgetretenes Blut oder Ver- <*>lechtung der Gefaͤße erklaͤrt, wodurch aber ihre Bewegung nicht begreiflich wird; de la Hire und Le Roi (Mém. de Paris, 1760.) ſetzen ſie in die waͤſſerichte Feuchtigkeit, und Morgagni (Adverſar. anatom. VI. Animadverſ. 75.) leitet ſie von Streifen der eingetrockneten Thraͤnenfeuchtigkeit auf der Hornhaut her. Maitre-Jan (Traité des maladies de l' oeil, 12mo p. 281.) vermuthet, daß dieſe Erſcheinung, weil ſie oſt vor dem grauen
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