Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


Syene, an den Grenzen Egyptens und Aethiopiens, mit Alexandrien unter einerley Mittagskreise liege, wiewohl diese Voraussetzung falsch ist, und Syene nach dem Prolemäus (Geogr. L. IV. c. 5.) um 1°53' ostwärts von Alexandrien gelegen hat. Nun war es bey den Alten bekannt, daß in Syene am Mittage des längsten Tages die Sonne im Scheitelpunkte stehe, und die Körper auf keine Seite einen Schatten würfen, daher auch Lucan (Pharial. II. v. 586) von der

-- umbras nusquam flectente Syene redet. Zu Alexandrien aber beobachtete Eratosthenes den Schatten der Mittagssonne am längsten Tage mit Hülfe des Taf. VIII. Fig. 5. vorgestellten Werkzeugs (Scapha, Scaphium). Es war dies eine hohle Halbkugel AFB, mit einem getheilten Halbkreise, von deren Grunde F der senkrechte Stift FC (gnomon) aufgerichtet war. Stellte man dies an die Sonne, und richtete den Stift FC nach dem Zenith Z, so gab die Länge seines Schattens Fs in Theilen des Kreises ausgedrückt, das Maaß des Winkels FCs =ZCS, d. i. den Abstand der Sonne vom Scheitel, an. So fand Eratosthenes diesen Abstand am Mittage des längsten Tages =(1/50) des Kreises (nach dem bey uns gewöhnlichen Ausdrucke = 7° 12'). Er schloß hieraus, daß Alexandrien von Syene, wo in eben dem Augenblicke die Sonne im Scheitel selbst stehe, um (1/50) des ganzen Umkreises der Erde entfernt sey, und setzte daher diesen Umkreis, da beyde Städte nach den Berichten der Reisenden 5000 Stadien weit aus einander lagen, auf 50X5000=250000 Stadien, wiewohl Plinius (Hist. nat. II. 108.) angiebt, er habe 252000 Stadien gefunden. Es ist aber sehr streitig, was für ein Maaß dieses Stadium gewesen sey. Rechnet man es mit Lulofs (Einleitung zur mathemat. und physikal. Kenntniß der Erdkugel, S. 67.) zu 570 pariser Fuß, so giebt diese Messung den Umkreis der Erde bey weitem zu groß. Uebrigens soll sie hundert Jahre nachher von Hipparchus berichtiget worden seyn, obgleich Plinius und Strabo (lib. II.) in ihren Nachrichten von dieser Verbesserung sich sehr widersprechen.


Syene, an den Grenzen Egyptens und Aethiopiens, mit Alexandrien unter einerley Mittagskreiſe liege, wiewohl dieſe Vorausſetzung falſch iſt, und Syene nach dem Prolemaͤus (Geogr. L. IV. c. 5.) um 1°53′ oſtwaͤrts von Alexandrien gelegen hat. Nun war es bey den Alten bekannt, daß in Syene am Mittage des laͤngſten Tages die Sonne im Scheitelpunkte ſtehe, und die Koͤrper auf keine Seite einen Schatten wuͤrfen, daher auch Lucan (Pharial. II. v. 586) von der

umbras nusquam flectente Syene redet. Zu Alexandrien aber beobachtete Eratoſthenes den Schatten der Mittagsſonne am laͤngſten Tage mit Huͤlfe des Taf. VIII. Fig. 5. vorgeſtellten Werkzeugs (Scapha, Scaphium). Es war dies eine hohle Halbkugel AFB, mit einem getheilten Halbkreiſe, von deren Grunde F der ſenkrechte Stift FC (gnomon) aufgerichtet war. Stellte man dies an die Sonne, und richtete den Stift FC nach dem Zenith Z, ſo gab die Laͤnge ſeines Schattens Fs in Theilen des Kreiſes ausgedruͤckt, das Maaß des Winkels FCs =ZCS, d. i. den Abſtand der Sonne vom Scheitel, an. So fand Eratoſthenes dieſen Abſtand am Mittage des laͤngſten Tages =(1/50) des Kreiſes (nach dem bey uns gewoͤhnlichen Ausdrucke = 7° 12′). Er ſchloß hieraus, daß Alexandrien von Syene, wo in eben dem Augenblicke die Sonne im Scheitel ſelbſt ſtehe, um (1/50) des ganzen Umkreiſes der Erde entfernt ſey, und ſetzte daher dieſen Umkreis, da beyde Staͤdte nach den Berichten der Reiſenden 5000 Stadien weit aus einander lagen, auf 50X5000=250000 Stadien, wiewohl Plinius (Hiſt. nat. II. 108.) angiebt, er habe 252000 Stadien gefunden. Es iſt aber ſehr ſtreitig, was fuͤr ein Maaß dieſes Stadium geweſen ſey. Rechnet man es mit Lulofs (Einleitung zur mathemat. und phyſikal. Kenntniß der Erdkugel, S. 67.) zu 570 pariſer Fuß, ſo giebt dieſe Meſſung den Umkreis der Erde bey weitem zu groß. Uebrigens ſoll ſie hundert Jahre nachher von Hipparchus berichtiget worden ſeyn, obgleich Plinius und Strabo (lib. II.) in ihren Nachrichten von dieſer Verbeſſerung ſich ſehr widerſprechen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="2">
            <p><pb facs="#f0040" xml:id="P.2.34" n="34"/><lb/><hi rendition="#b">Syene,</hi> an den Grenzen Egyptens und Aethiopiens, mit <hi rendition="#b">Alexandrien</hi> unter einerley Mittagskrei&#x017F;e liege, wiewohl die&#x017F;e Voraus&#x017F;etzung fal&#x017F;ch i&#x017F;t, und Syene nach dem <hi rendition="#b">Prolema&#x0364;us</hi> (<hi rendition="#aq">Geogr. L. IV. c. 5.</hi>) um 1°53&#x2032; o&#x017F;twa&#x0364;rts von Alexandrien gelegen hat. Nun war es bey den Alten bekannt, daß in Syene am Mittage des la&#x0364;ng&#x017F;ten Tages die Sonne im Scheitelpunkte &#x017F;tehe, und die Ko&#x0364;rper auf keine Seite einen Schatten wu&#x0364;rfen, daher auch <hi rendition="#b">Lucan</hi> (<hi rendition="#aq">Pharial. II. v. 586</hi>) von der</p>
            <p>&#x2014; <hi rendition="#aq">umbras nusquam flectente Syene</hi> redet. Zu Alexandrien aber beobachtete Erato&#x017F;thenes den Schatten der Mittags&#x017F;onne am la&#x0364;ng&#x017F;ten Tage mit Hu&#x0364;lfe des Taf. <hi rendition="#aq">VIII.</hi> Fig. 5. vorge&#x017F;tellten Werkzeugs (<hi rendition="#aq">Scapha, Scaphium</hi>). Es war dies eine hohle Halbkugel <hi rendition="#aq">AFB,</hi> mit einem getheilten Halbkrei&#x017F;e, von deren Grunde <hi rendition="#aq">F</hi> der &#x017F;enkrechte Stift <hi rendition="#aq">FC (gnomon)</hi> aufgerichtet war. Stellte man dies an die Sonne, und richtete den Stift <hi rendition="#aq">FC</hi> nach dem Zenith <hi rendition="#aq">Z,</hi> &#x017F;o gab die La&#x0364;nge &#x017F;eines Schattens <hi rendition="#aq">Fs</hi> in Theilen des Krei&#x017F;es ausgedru&#x0364;ckt, das Maaß des Winkels <hi rendition="#aq">FCs =ZCS,</hi> d. i. den Ab&#x017F;tand der Sonne vom Scheitel, an. So fand Erato&#x017F;thenes die&#x017F;en Ab&#x017F;tand am Mittage des la&#x0364;ng&#x017F;ten Tages =(1/50) des Krei&#x017F;es (nach dem bey uns gewo&#x0364;hnlichen Ausdrucke = 7° 12&#x2032;). Er &#x017F;chloß hieraus, daß Alexandrien von Syene, wo in eben dem Augenblicke die Sonne im Scheitel &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;tehe, um (1/50) des ganzen Umkrei&#x017F;es der Erde entfernt &#x017F;ey, und &#x017F;etzte daher die&#x017F;en Umkreis, da beyde Sta&#x0364;dte nach den Berichten der Rei&#x017F;enden 5000 Stadien weit aus einander lagen, auf 50X5000=250000 Stadien, wiewohl <hi rendition="#b">Plinius</hi> (<hi rendition="#aq">Hi&#x017F;t. nat. II. 108.</hi>) angiebt, er habe 252000 Stadien gefunden. Es i&#x017F;t aber &#x017F;ehr &#x017F;treitig, was fu&#x0364;r ein Maaß die&#x017F;es Stadium gewe&#x017F;en &#x017F;ey. Rechnet man es mit <hi rendition="#b">Lulofs</hi> (Einleitung zur mathemat. und phy&#x017F;ikal. Kenntniß der Erdkugel, S. 67.) zu 570 pari&#x017F;er Fuß, &#x017F;o giebt die&#x017F;e Me&#x017F;&#x017F;ung den Umkreis der Erde bey weitem zu groß. Uebrigens &#x017F;oll &#x017F;ie hundert Jahre nachher von <hi rendition="#b">Hipparchus</hi> berichtiget worden &#x017F;eyn, obgleich <hi rendition="#b">Plinius</hi> und <hi rendition="#b">Strabo</hi> (<hi rendition="#aq">lib. II.</hi>) in ihren Nachrichten von die&#x017F;er Verbe&#x017F;&#x017F;erung &#x017F;ich &#x017F;ehr wider&#x017F;prechen.<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0040] Syene, an den Grenzen Egyptens und Aethiopiens, mit Alexandrien unter einerley Mittagskreiſe liege, wiewohl dieſe Vorausſetzung falſch iſt, und Syene nach dem Prolemaͤus (Geogr. L. IV. c. 5.) um 1°53′ oſtwaͤrts von Alexandrien gelegen hat. Nun war es bey den Alten bekannt, daß in Syene am Mittage des laͤngſten Tages die Sonne im Scheitelpunkte ſtehe, und die Koͤrper auf keine Seite einen Schatten wuͤrfen, daher auch Lucan (Pharial. II. v. 586) von der — umbras nusquam flectente Syene redet. Zu Alexandrien aber beobachtete Eratoſthenes den Schatten der Mittagsſonne am laͤngſten Tage mit Huͤlfe des Taf. VIII. Fig. 5. vorgeſtellten Werkzeugs (Scapha, Scaphium). Es war dies eine hohle Halbkugel AFB, mit einem getheilten Halbkreiſe, von deren Grunde F der ſenkrechte Stift FC (gnomon) aufgerichtet war. Stellte man dies an die Sonne, und richtete den Stift FC nach dem Zenith Z, ſo gab die Laͤnge ſeines Schattens Fs in Theilen des Kreiſes ausgedruͤckt, das Maaß des Winkels FCs =ZCS, d. i. den Abſtand der Sonne vom Scheitel, an. So fand Eratoſthenes dieſen Abſtand am Mittage des laͤngſten Tages =(1/50) des Kreiſes (nach dem bey uns gewoͤhnlichen Ausdrucke = 7° 12′). Er ſchloß hieraus, daß Alexandrien von Syene, wo in eben dem Augenblicke die Sonne im Scheitel ſelbſt ſtehe, um (1/50) des ganzen Umkreiſes der Erde entfernt ſey, und ſetzte daher dieſen Umkreis, da beyde Staͤdte nach den Berichten der Reiſenden 5000 Stadien weit aus einander lagen, auf 50X5000=250000 Stadien, wiewohl Plinius (Hiſt. nat. II. 108.) angiebt, er habe 252000 Stadien gefunden. Es iſt aber ſehr ſtreitig, was fuͤr ein Maaß dieſes Stadium geweſen ſey. Rechnet man es mit Lulofs (Einleitung zur mathemat. und phyſikal. Kenntniß der Erdkugel, S. 67.) zu 570 pariſer Fuß, ſo giebt dieſe Meſſung den Umkreis der Erde bey weitem zu groß. Uebrigens ſoll ſie hundert Jahre nachher von Hipparchus berichtiget worden ſeyn, obgleich Plinius und Strabo (lib. II.) in ihren Nachrichten von dieſer Verbeſſerung ſich ſehr widerſprechen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/40
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/40>, abgerufen am 25.04.2024.