Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


des stillstehenden Wassers oder auf der Ebne des Horizonts, welche die Erdfläche selbst berührt, lothrecht stehe. Wäre die Erde eine vollkommne Kugel, so müßten alle diese Richtungslinien der Schwere in einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt zusammentreffen. Auch würde nach den Gesetzen der Gravitation die Schwere, als beschleunigende Kraft betrachtet, an allen Stellen der Erdfläche gleich groß seyn müssen, weil sie alle von dem Mittelpunkt gleich weit entfernt wären, vorausgesetzt, daß sich die Erde in einer vollkommnen Ruhe befände.

Wenn sich aber die Erdkugel, wie das copernikanische System annimmt, täglich einmal um ihre Axe drehet, so entsteht hieraus für jeden Punkt der Erdfläche ein Schwung (s. Centralbewegung, Centralkräfte) oder eine Schwungkraft, deren Richtung in dem Halbmesser des von den Körpern beschriebenen Kreises liegt, indem sich diese Körper von dem Mittelpunkte dieses Kreises, vermöge der ihnen mitgetheilten Bewegung, zu entfernen streben. So wird z. B. wenn sich die Kugel (Taf. VIII. Fig. 3.) um die Axe PR drehet, in Q ein Schwung nach q, in E und G nach e und g entstehen. Die Richtung dieser Schwungkräfte ist unter dem Aequator in Q der Richtung der Schwere QC gerade und gänzlich, in E und G aber den Richtungen der Schwere EC und GC wenigstens zum Theil entgegengesetzt. Daher wird ein Theil der Schwere darauf verwendet werden, die Wirkung des Schwunges aufzuheben, und die Körper, welche sonst von der Erde hinwegfliegen würden, auf der Oberfläche derselben zu erhalten. Dieser verwendete Theil der Schwere kan natürlich nichts weiter bewirken; er wird also der Schwere der Erdkörper, in sofern man dieselbe durch ihre übrigen Wirkungen bemerkt, abgehen, d. h. man wird die Schwere vermindert finden. Aus einer doppelten Ursache muß diese Verminderung der Schwere unter dem Aequator AQ am stärksten seyn; einmal, weil der Kreis der täglichen Umdrehung daselbst am größten ist, und die Körper schneller, als in den Kreisen DE und FG, geschwungen werden, und dann, weil hier die Richtung der Schwungkraft Qq der


des ſtillſtehenden Waſſers oder auf der Ebne des Horizonts, welche die Erdflaͤche ſelbſt beruͤhrt, lothrecht ſtehe. Waͤre die Erde eine vollkommne Kugel, ſo muͤßten alle dieſe Richtungslinien der Schwere in einen gemeinſchaftlichen Mittelpunkt zuſammentreffen. Auch wuͤrde nach den Geſetzen der Gravitation die Schwere, als beſchleunigende Kraft betrachtet, an allen Stellen der Erdflaͤche gleich groß ſeyn muͤſſen, weil ſie alle von dem Mittelpunkt gleich weit entfernt waͤren, vorausgeſetzt, daß ſich die Erde in einer vollkommnen Ruhe befaͤnde.

Wenn ſich aber die Erdkugel, wie das copernikaniſche Syſtem annimmt, taͤglich einmal um ihre Axe drehet, ſo entſteht hieraus fuͤr jeden Punkt der Erdflaͤche ein Schwung (ſ. Centralbewegung, Centralkraͤfte) oder eine Schwungkraft, deren Richtung in dem Halbmeſſer des von den Koͤrpern beſchriebenen Kreiſes liegt, indem ſich dieſe Koͤrper von dem Mittelpunkte dieſes Kreiſes, vermoͤge der ihnen mitgetheilten Bewegung, zu entfernen ſtreben. So wird z. B. wenn ſich die Kugel (Taf. VIII. Fig. 3.) um die Axe PR drehet, in Q ein Schwung nach q, in E und G nach e und g entſtehen. Die Richtung dieſer Schwungkraͤfte iſt unter dem Aequator in Q der Richtung der Schwere QC gerade und gaͤnzlich, in E und G aber den Richtungen der Schwere EC und GC wenigſtens zum Theil entgegengeſetzt. Daher wird ein Theil der Schwere darauf verwendet werden, die Wirkung des Schwunges aufzuheben, und die Koͤrper, welche ſonſt von der Erde hinwegfliegen wuͤrden, auf der Oberflaͤche derſelben zu erhalten. Dieſer verwendete Theil der Schwere kan natuͤrlich nichts weiter bewirken; er wird alſo der Schwere der Erdkoͤrper, in ſofern man dieſelbe durch ihre uͤbrigen Wirkungen bemerkt, abgehen, d. h. man wird die Schwere vermindert finden. Aus einer doppelten Urſache muß dieſe Verminderung der Schwere unter dem Aequator AQ am ſtaͤrkſten ſeyn; einmal, weil der Kreis der taͤglichen Umdrehung daſelbſt am groͤßten iſt, und die Koͤrper ſchneller, als in den Kreiſen DE und FG, geſchwungen werden, und dann, weil hier die Richtung der Schwungkraft Qq der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="2">
            <p><pb facs="#f0030" xml:id="P.2.24" n="24"/><lb/>
des &#x017F;till&#x017F;tehenden Wa&#x017F;&#x017F;ers oder auf der Ebne des Horizonts, welche die Erdfla&#x0364;che &#x017F;elb&#x017F;t beru&#x0364;hrt, lothrecht &#x017F;tehe. Wa&#x0364;re die Erde eine vollkommne Kugel, &#x017F;o mu&#x0364;ßten alle die&#x017F;e Richtungslinien der Schwere in einen gemein&#x017F;chaftlichen Mittelpunkt zu&#x017F;ammentreffen. Auch wu&#x0364;rde nach den Ge&#x017F;etzen der Gravitation die Schwere, als be&#x017F;chleunigende Kraft betrachtet, an allen Stellen der Erdfla&#x0364;che gleich groß &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, weil &#x017F;ie alle von dem Mittelpunkt gleich weit entfernt wa&#x0364;ren, vorausge&#x017F;etzt, daß &#x017F;ich die Erde in einer vollkommnen Ruhe befa&#x0364;nde.</p>
            <p>Wenn &#x017F;ich aber die Erdkugel, wie das copernikani&#x017F;che Sy&#x017F;tem annimmt, ta&#x0364;glich einmal um ihre Axe drehet, &#x017F;o ent&#x017F;teht hieraus fu&#x0364;r jeden Punkt der Erdfla&#x0364;che ein <hi rendition="#b">Schwung (&#x017F;. Centralbewegung, Centralkra&#x0364;fte)</hi> oder eine <hi rendition="#b">Schwungkraft,</hi> deren Richtung in dem Halbme&#x017F;&#x017F;er des von den Ko&#x0364;rpern be&#x017F;chriebenen Krei&#x017F;es liegt, indem &#x017F;ich die&#x017F;e Ko&#x0364;rper von dem Mittelpunkte die&#x017F;es Krei&#x017F;es, vermo&#x0364;ge der ihnen mitgetheilten Bewegung, zu entfernen &#x017F;treben. So wird z. B. wenn &#x017F;ich die Kugel (Taf. <hi rendition="#aq">VIII.</hi> Fig. 3.) um die Axe <hi rendition="#aq">PR</hi> drehet, in <hi rendition="#aq">Q</hi> ein Schwung nach <hi rendition="#aq">q,</hi> in <hi rendition="#aq">E</hi> und <hi rendition="#aq">G</hi> nach <hi rendition="#aq">e</hi> und <hi rendition="#aq">g</hi> ent&#x017F;tehen. Die Richtung die&#x017F;er Schwungkra&#x0364;fte i&#x017F;t unter dem Aequator in <hi rendition="#aq">Q</hi> der Richtung der Schwere <hi rendition="#aq">QC</hi> gerade und ga&#x0364;nzlich, in <hi rendition="#aq">E</hi> und <hi rendition="#aq">G</hi> aber den Richtungen der Schwere <hi rendition="#aq">EC</hi> und <hi rendition="#aq">GC</hi> wenig&#x017F;tens zum Theil entgegenge&#x017F;etzt. Daher wird ein Theil der Schwere darauf verwendet werden, die Wirkung des Schwunges aufzuheben, und die Ko&#x0364;rper, welche &#x017F;on&#x017F;t von der Erde hinwegfliegen wu&#x0364;rden, auf der Oberfla&#x0364;che der&#x017F;elben zu erhalten. Die&#x017F;er verwendete Theil der Schwere kan natu&#x0364;rlich nichts weiter bewirken; er wird al&#x017F;o der Schwere der Erdko&#x0364;rper, in &#x017F;ofern man die&#x017F;elbe durch ihre u&#x0364;brigen Wirkungen bemerkt, abgehen, d. h. man wird die Schwere vermindert finden. Aus einer doppelten Ur&#x017F;ache muß die&#x017F;e Verminderung der Schwere unter dem Aequator <hi rendition="#aq">AQ</hi> am &#x017F;ta&#x0364;rk&#x017F;ten &#x017F;eyn; einmal, weil der Kreis der ta&#x0364;glichen Umdrehung da&#x017F;elb&#x017F;t am gro&#x0364;ßten i&#x017F;t, und die Ko&#x0364;rper &#x017F;chneller, als in den Krei&#x017F;en <hi rendition="#aq">DE</hi> und <hi rendition="#aq">FG,</hi> ge&#x017F;chwungen werden, und dann, weil hier die Richtung der Schwungkraft <hi rendition="#aq">Qq</hi> der<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0030] des ſtillſtehenden Waſſers oder auf der Ebne des Horizonts, welche die Erdflaͤche ſelbſt beruͤhrt, lothrecht ſtehe. Waͤre die Erde eine vollkommne Kugel, ſo muͤßten alle dieſe Richtungslinien der Schwere in einen gemeinſchaftlichen Mittelpunkt zuſammentreffen. Auch wuͤrde nach den Geſetzen der Gravitation die Schwere, als beſchleunigende Kraft betrachtet, an allen Stellen der Erdflaͤche gleich groß ſeyn muͤſſen, weil ſie alle von dem Mittelpunkt gleich weit entfernt waͤren, vorausgeſetzt, daß ſich die Erde in einer vollkommnen Ruhe befaͤnde. Wenn ſich aber die Erdkugel, wie das copernikaniſche Syſtem annimmt, taͤglich einmal um ihre Axe drehet, ſo entſteht hieraus fuͤr jeden Punkt der Erdflaͤche ein Schwung (ſ. Centralbewegung, Centralkraͤfte) oder eine Schwungkraft, deren Richtung in dem Halbmeſſer des von den Koͤrpern beſchriebenen Kreiſes liegt, indem ſich dieſe Koͤrper von dem Mittelpunkte dieſes Kreiſes, vermoͤge der ihnen mitgetheilten Bewegung, zu entfernen ſtreben. So wird z. B. wenn ſich die Kugel (Taf. VIII. Fig. 3.) um die Axe PR drehet, in Q ein Schwung nach q, in E und G nach e und g entſtehen. Die Richtung dieſer Schwungkraͤfte iſt unter dem Aequator in Q der Richtung der Schwere QC gerade und gaͤnzlich, in E und G aber den Richtungen der Schwere EC und GC wenigſtens zum Theil entgegengeſetzt. Daher wird ein Theil der Schwere darauf verwendet werden, die Wirkung des Schwunges aufzuheben, und die Koͤrper, welche ſonſt von der Erde hinwegfliegen wuͤrden, auf der Oberflaͤche derſelben zu erhalten. Dieſer verwendete Theil der Schwere kan natuͤrlich nichts weiter bewirken; er wird alſo der Schwere der Erdkoͤrper, in ſofern man dieſelbe durch ihre uͤbrigen Wirkungen bemerkt, abgehen, d. h. man wird die Schwere vermindert finden. Aus einer doppelten Urſache muß dieſe Verminderung der Schwere unter dem Aequator AQ am ſtaͤrkſten ſeyn; einmal, weil der Kreis der taͤglichen Umdrehung daſelbſt am groͤßten iſt, und die Koͤrper ſchneller, als in den Kreiſen DE und FG, geſchwungen werden, und dann, weil hier die Richtung der Schwungkraft Qq der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/30
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/30>, abgerufen am 19.04.2024.