Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


Aerostat nicht in dem Falle des segelnden Schiffes befindet, welches von dem Widerstande des Wassers alle Augenblicke zurückgehalten wird, und nie eine dem Winde gleiche Geschwindigkeit erlangt, daß er vielmehr in dem Falle einer Kugel ist, welche eben so geschwind vor der Hand herrollet, als diese nachfolgt, in welche also die Hand nicht wirken kan, s. Kraft, relative. Daher können hier auch die Steuerruder keine Wirkung thun, welche man schief gegen den Wind zu richten vorgeschlagen hat.

Besser sind die Vorschläge von Rudern oder Flügeln, welche von den Luftfahrern ihrer Absicht gemäß gegen die Luft, wie Ruder gegen das Wasser, bewegt werden. Die damit angestellten Proben sind noch bisher am glücklichsten ausgefallen, und die Brüder Robert behaupten, am 19 Sept. 1784 damit 2 Grad Abweichung vom Winde erreicht zu haben. Es ist am besten, solche Ruder ganz einfach zu machen; alle mechanische Künsteleyen würden mehr hinderlich seyn. So haben die Roberts, Blanchard u. a. ganz einfache runde oder viereckichte Flächen von Seide oder Leinwand in einen Rahmen gefaßt, und mit dem Stiele, wenn sie nach der Richtung des Windes schlugen, die Fläche, wenn sie das Ruder gegen den Wind zurückzogen, die Schärfe nach dem Winde gekehrt. Lunardi setzte seine Ruder aus seidnen Klappen zusammen, welche sich, nach dem Winde bewegt, zuschlugen, gegen ihn geführt, öfneten, daß also das Umwenden nicht nöthig war. Zambeccari richtete die seinigen so ein, daß sie sich von selbst umwendeten. Die glücklichste Wirkung sollen die Ruder der Herren Vallet und Alban bey ihrem Versuche vom 29 August 1785 gethan haben.

Der Vorschlag, durch eine kleine Oefnung an der Seite des Aerostats eine Störung des Gleichgewichts zu bewirken, und dadurch eine Bewegung der Kugel selbst in Windstillen zu veranlassen, gehört dem einen Montgolfier selbst zu; Andere haben durch den Stoß der Luft aus einer Aeolipile oder durch Abbrennung von Racketen gegen den Wind zu wirken angerathen. Noch Andere glauben, da in den verschiedenen Regionen der Atmosphäre ganz verschiedene


Aeroſtat nicht in dem Falle des ſegelnden Schiffes befindet, welches von dem Widerſtande des Waſſers alle Augenblicke zuruͤckgehalten wird, und nie eine dem Winde gleiche Geſchwindigkeit erlangt, daß er vielmehr in dem Falle einer Kugel iſt, welche eben ſo geſchwind vor der Hand herrollet, als dieſe nachfolgt, in welche alſo die Hand nicht wirken kan, ſ. Kraft, relative. Daher koͤnnen hier auch die Steuerruder keine Wirkung thun, welche man ſchief gegen den Wind zu richten vorgeſchlagen hat.

Beſſer ſind die Vorſchlaͤge von Rudern oder Fluͤgeln, welche von den Luftfahrern ihrer Abſicht gemaͤß gegen die Luft, wie Ruder gegen das Waſſer, bewegt werden. Die damit angeſtellten Proben ſind noch bisher am gluͤcklichſten ausgefallen, und die Bruͤder Robert behaupten, am 19 Sept. 1784 damit 2 Grad Abweichung vom Winde erreicht zu haben. Es iſt am beſten, ſolche Ruder ganz einfach zu machen; alle mechaniſche Kuͤnſteleyen wuͤrden mehr hinderlich ſeyn. So haben die Roberts, Blanchard u. a. ganz einfache runde oder viereckichte Flaͤchen von Seide oder Leinwand in einen Rahmen gefaßt, und mit dem Stiele, wenn ſie nach der Richtung des Windes ſchlugen, die Flaͤche, wenn ſie das Ruder gegen den Wind zuruͤckzogen, die Schaͤrfe nach dem Winde gekehrt. Lunardi ſetzte ſeine Ruder aus ſeidnen Klappen zuſammen, welche ſich, nach dem Winde bewegt, zuſchlugen, gegen ihn gefuͤhrt, oͤfneten, daß alſo das Umwenden nicht noͤthig war. Zambeccari richtete die ſeinigen ſo ein, daß ſie ſich von ſelbſt umwendeten. Die gluͤcklichſte Wirkung ſollen die Ruder der Herren Vallet und Alban bey ihrem Verſuche vom 29 Auguſt 1785 gethan haben.

Der Vorſchlag, durch eine kleine Oefnung an der Seite des Aeroſtats eine Stoͤrung des Gleichgewichts zu bewirken, und dadurch eine Bewegung der Kugel ſelbſt in Windſtillen zu veranlaſſen, gehoͤrt dem einen Montgolfier ſelbſt zu; Andere haben durch den Stoß der Luft aus einer Aeolipile oder durch Abbrennung von Racketen gegen den Wind zu wirken angerathen. Noch Andere glauben, da in den verſchiedenen Regionen der Atmoſphaͤre ganz verſchiedene

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0093" xml:id="P.1.79" n="79"/><lb/>
Aero&#x017F;tat nicht in dem Falle des &#x017F;egelnden Schiffes befindet, welches von dem Wider&#x017F;tande des Wa&#x017F;&#x017F;ers alle Augenblicke zuru&#x0364;ckgehalten wird, und nie eine dem Winde gleiche Ge&#x017F;chwindigkeit erlangt, daß er vielmehr in dem Falle einer Kugel i&#x017F;t, welche eben &#x017F;o ge&#x017F;chwind vor der Hand herrollet, als die&#x017F;e nachfolgt, in welche al&#x017F;o die Hand nicht wirken kan, <hi rendition="#b">&#x017F;. Kraft, relative.</hi> Daher ko&#x0364;nnen hier auch die <hi rendition="#b">Steuerruder</hi> keine Wirkung thun, welche man &#x017F;chief gegen den Wind zu richten vorge&#x017F;chlagen hat.</p>
          <p>Be&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ind die Vor&#x017F;chla&#x0364;ge von <hi rendition="#b">Rudern</hi> oder <hi rendition="#b">Flu&#x0364;geln,</hi> welche von den Luftfahrern ihrer Ab&#x017F;icht gema&#x0364;ß gegen die Luft, wie Ruder gegen das Wa&#x017F;&#x017F;er, <hi rendition="#b">bewegt</hi> werden. Die damit ange&#x017F;tellten Proben &#x017F;ind noch bisher am glu&#x0364;cklich&#x017F;ten ausgefallen, und die Bru&#x0364;der <hi rendition="#b">Robert</hi> behaupten, am 19 Sept. 1784 damit 2 Grad Abweichung vom Winde erreicht zu haben. Es i&#x017F;t am be&#x017F;ten, &#x017F;olche Ruder ganz einfach zu machen; alle mechani&#x017F;che Ku&#x0364;n&#x017F;teleyen wu&#x0364;rden mehr hinderlich &#x017F;eyn. So haben die <hi rendition="#b">Roberts, Blanchard</hi> u. a. ganz einfache runde oder viereckichte Fla&#x0364;chen von Seide oder Leinwand in einen Rahmen gefaßt, und mit dem Stiele, wenn &#x017F;ie nach der Richtung des Windes &#x017F;chlugen, die Fla&#x0364;che, wenn &#x017F;ie das Ruder gegen den Wind zuru&#x0364;ckzogen, die Scha&#x0364;rfe nach dem Winde gekehrt. <hi rendition="#b">Lunardi</hi> &#x017F;etzte &#x017F;eine Ruder aus &#x017F;eidnen Klappen zu&#x017F;ammen, welche &#x017F;ich, nach dem Winde bewegt, zu&#x017F;chlugen, gegen ihn gefu&#x0364;hrt, o&#x0364;fneten, daß al&#x017F;o das Umwenden nicht no&#x0364;thig war. <hi rendition="#b">Zambeccari</hi> richtete die &#x017F;einigen &#x017F;o ein, daß &#x017F;ie &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t umwendeten. Die glu&#x0364;cklich&#x017F;te Wirkung &#x017F;ollen die Ruder der Herren <hi rendition="#b">Vallet</hi> und <hi rendition="#b">Alban</hi> bey ihrem Ver&#x017F;uche vom 29 Augu&#x017F;t 1785 gethan haben.</p>
          <p>Der Vor&#x017F;chlag, durch eine kleine Oefnung an der Seite des Aero&#x017F;tats eine Sto&#x0364;rung des Gleichgewichts zu bewirken, und dadurch eine Bewegung der Kugel &#x017F;elb&#x017F;t in Wind&#x017F;tillen zu veranla&#x017F;&#x017F;en, geho&#x0364;rt dem einen <hi rendition="#b">Montgolfier</hi> &#x017F;elb&#x017F;t zu; Andere haben durch den Stoß der Luft aus einer Aeolipile oder durch Abbrennung von Racketen gegen den Wind zu wirken angerathen. Noch Andere glauben, da in den ver&#x017F;chiedenen Regionen der Atmo&#x017F;pha&#x0364;re ganz ver&#x017F;chiedene<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0093] Aeroſtat nicht in dem Falle des ſegelnden Schiffes befindet, welches von dem Widerſtande des Waſſers alle Augenblicke zuruͤckgehalten wird, und nie eine dem Winde gleiche Geſchwindigkeit erlangt, daß er vielmehr in dem Falle einer Kugel iſt, welche eben ſo geſchwind vor der Hand herrollet, als dieſe nachfolgt, in welche alſo die Hand nicht wirken kan, ſ. Kraft, relative. Daher koͤnnen hier auch die Steuerruder keine Wirkung thun, welche man ſchief gegen den Wind zu richten vorgeſchlagen hat. Beſſer ſind die Vorſchlaͤge von Rudern oder Fluͤgeln, welche von den Luftfahrern ihrer Abſicht gemaͤß gegen die Luft, wie Ruder gegen das Waſſer, bewegt werden. Die damit angeſtellten Proben ſind noch bisher am gluͤcklichſten ausgefallen, und die Bruͤder Robert behaupten, am 19 Sept. 1784 damit 2 Grad Abweichung vom Winde erreicht zu haben. Es iſt am beſten, ſolche Ruder ganz einfach zu machen; alle mechaniſche Kuͤnſteleyen wuͤrden mehr hinderlich ſeyn. So haben die Roberts, Blanchard u. a. ganz einfache runde oder viereckichte Flaͤchen von Seide oder Leinwand in einen Rahmen gefaßt, und mit dem Stiele, wenn ſie nach der Richtung des Windes ſchlugen, die Flaͤche, wenn ſie das Ruder gegen den Wind zuruͤckzogen, die Schaͤrfe nach dem Winde gekehrt. Lunardi ſetzte ſeine Ruder aus ſeidnen Klappen zuſammen, welche ſich, nach dem Winde bewegt, zuſchlugen, gegen ihn gefuͤhrt, oͤfneten, daß alſo das Umwenden nicht noͤthig war. Zambeccari richtete die ſeinigen ſo ein, daß ſie ſich von ſelbſt umwendeten. Die gluͤcklichſte Wirkung ſollen die Ruder der Herren Vallet und Alban bey ihrem Verſuche vom 29 Auguſt 1785 gethan haben. Der Vorſchlag, durch eine kleine Oefnung an der Seite des Aeroſtats eine Stoͤrung des Gleichgewichts zu bewirken, und dadurch eine Bewegung der Kugel ſelbſt in Windſtillen zu veranlaſſen, gehoͤrt dem einen Montgolfier ſelbſt zu; Andere haben durch den Stoß der Luft aus einer Aeolipile oder durch Abbrennung von Racketen gegen den Wind zu wirken angerathen. Noch Andere glauben, da in den verſchiedenen Regionen der Atmoſphaͤre ganz verſchiedene

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/93
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/93>, abgerufen am 28.04.2024.