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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798.

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auszudrücken; alle aber gestehen, daß vornehmlich die Herrlichkeit der Aussicht und die in der Atmosphäre herrschende majestätische Stille ein unbeschreiblich angenehmes Gefühl errege.

Welche Gattung von Aerostaten vorzüglicher sey, läßt sich noch nicht entscheiden. Die mit verdünnter Luft sind wohlfeiler und leichter zu verfertigen; die mit brennbarer hingegen sicherer, kleiner und dauerhafter.

Die Bewegung des Aerostaten in der Luft läßt sich, wie alle Bewegungen, in eine vertikale und eine horizontale zerlegen. Was die vertikale Bewegung betrifft, so steigt der Aerostat, der in den obern Regionen leichtere Luft antrifft, nur so lange, bis er sich in derjenigen Luftschicht befindet, welche mit ihm selbst eine gleiche specifische Schwere hat; oder er geht vielmehr wegen seiner schon vorher erlangten Geschwindigkeit noch ein wenig über diese Luftschicht hinaus, sinkt wieder, und bleibt endlich nach verschiedenen Oscillationen stehen. Die nähere Untersuchung dieser Bewegung macht ein sehr schönes Problem der höhern Mechanik aus, über welches der große Leonhard Euler wenige Tage vor seinem Tode seine letzten Rechnungen anstellte, und wovon Meusnier (Schreiben über den Ball im Champ de Mars, in dem am Ende angeführten Werke des Faujas) und Kramp (Geschichte der Aerostatik, Strasburg 1784. 8. Th. I. 11--15 Abschnitt) Auflösungen zu geben versucht haben. Diese Rechnungen gelten jedoch nur für Fälle, in welchen der Zustand des Aerostaten selbst, während des Aufsteigens, ungeändert bleibt. Wenn Menschen auf Aerostaten mit verdünnter Luft aufsteigen, so wirken sie durch Verstärkung und Verminderung des Feuers sehr verschiedentlich auf den Zustand der darinn enthaltenen Luft; Verstärkung des Feuers treibt den Ball schneller in die Höhe, Verminderung desselben hält ihn zurück, oder senkt ihn wieder herab, und man sieht leicht, daß so willkührliche Veränderungen sich keiner Rechnung unterwerfen lassen. Einige Luftfahrer, besonders der unglückliche Pilatre de Rozier, brachten es sehr weit in der Geschicklichkeit, das Feuer zu behandeln,


auszudruͤcken; alle aber geſtehen, daß vornehmlich die Herrlichkeit der Ausſicht und die in der Atmoſphaͤre herrſchende majeſtaͤtiſche Stille ein unbeſchreiblich angenehmes Gefuͤhl errege.

Welche Gattung von Aeroſtaten vorzuͤglicher ſey, laͤßt ſich noch nicht entſcheiden. Die mit verduͤnnter Luft ſind wohlfeiler und leichter zu verfertigen; die mit brennbarer hingegen ſicherer, kleiner und dauerhafter.

Die Bewegung des Aeroſtaten in der Luft laͤßt ſich, wie alle Bewegungen, in eine vertikale und eine horizontale zerlegen. Was die vertikale Bewegung betrifft, ſo ſteigt der Aeroſtat, der in den obern Regionen leichtere Luft antrifft, nur ſo lange, bis er ſich in derjenigen Luftſchicht befindet, welche mit ihm ſelbſt eine gleiche ſpecifiſche Schwere hat; oder er geht vielmehr wegen ſeiner ſchon vorher erlangten Geſchwindigkeit noch ein wenig uͤber dieſe Luftſchicht hinaus, ſinkt wieder, und bleibt endlich nach verſchiedenen Oſcillationen ſtehen. Die naͤhere Unterſuchung dieſer Bewegung macht ein ſehr ſchoͤnes Problem der hoͤhern Mechanik aus, uͤber welches der große Leonhard Euler wenige Tage vor ſeinem Tode ſeine letzten Rechnungen anſtellte, und wovon Meuſnier (Schreiben uͤber den Ball im Champ de Mars, in dem am Ende angefuͤhrten Werke des Faujas) und Kramp (Geſchichte der Aeroſtatik, Strasburg 1784. 8. Th. I. 11—15 Abſchnitt) Aufloͤſungen zu geben verſucht haben. Dieſe Rechnungen gelten jedoch nur fuͤr Faͤlle, in welchen der Zuſtand des Aeroſtaten ſelbſt, waͤhrend des Aufſteigens, ungeaͤndert bleibt. Wenn Menſchen auf Aeroſtaten mit verduͤnnter Luft aufſteigen, ſo wirken ſie durch Verſtaͤrkung und Verminderung des Feuers ſehr verſchiedentlich auf den Zuſtand der darinn enthaltenen Luft; Verſtaͤrkung des Feuers treibt den Ball ſchneller in die Hoͤhe, Verminderung deſſelben haͤlt ihn zuruͤck, oder ſenkt ihn wieder herab, und man ſieht leicht, daß ſo willkuͤhrliche Veraͤnderungen ſich keiner Rechnung unterwerfen laſſen. Einige Luftfahrer, beſonders der ungluͤckliche Pilatre de Rozier, brachten es ſehr weit in der Geſchicklichkeit, das Feuer zu behandeln,

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[75/0089] auszudruͤcken; alle aber geſtehen, daß vornehmlich die Herrlichkeit der Ausſicht und die in der Atmoſphaͤre herrſchende majeſtaͤtiſche Stille ein unbeſchreiblich angenehmes Gefuͤhl errege. Welche Gattung von Aeroſtaten vorzuͤglicher ſey, laͤßt ſich noch nicht entſcheiden. Die mit verduͤnnter Luft ſind wohlfeiler und leichter zu verfertigen; die mit brennbarer hingegen ſicherer, kleiner und dauerhafter. Die Bewegung des Aeroſtaten in der Luft laͤßt ſich, wie alle Bewegungen, in eine vertikale und eine horizontale zerlegen. Was die vertikale Bewegung betrifft, ſo ſteigt der Aeroſtat, der in den obern Regionen leichtere Luft antrifft, nur ſo lange, bis er ſich in derjenigen Luftſchicht befindet, welche mit ihm ſelbſt eine gleiche ſpecifiſche Schwere hat; oder er geht vielmehr wegen ſeiner ſchon vorher erlangten Geſchwindigkeit noch ein wenig uͤber dieſe Luftſchicht hinaus, ſinkt wieder, und bleibt endlich nach verſchiedenen Oſcillationen ſtehen. Die naͤhere Unterſuchung dieſer Bewegung macht ein ſehr ſchoͤnes Problem der hoͤhern Mechanik aus, uͤber welches der große Leonhard Euler wenige Tage vor ſeinem Tode ſeine letzten Rechnungen anſtellte, und wovon Meuſnier (Schreiben uͤber den Ball im Champ de Mars, in dem am Ende angefuͤhrten Werke des Faujas) und Kramp (Geſchichte der Aeroſtatik, Strasburg 1784. 8. Th. I. 11—15 Abſchnitt) Aufloͤſungen zu geben verſucht haben. Dieſe Rechnungen gelten jedoch nur fuͤr Faͤlle, in welchen der Zuſtand des Aeroſtaten ſelbſt, waͤhrend des Aufſteigens, ungeaͤndert bleibt. Wenn Menſchen auf Aeroſtaten mit verduͤnnter Luft aufſteigen, ſo wirken ſie durch Verſtaͤrkung und Verminderung des Feuers ſehr verſchiedentlich auf den Zuſtand der darinn enthaltenen Luft; Verſtaͤrkung des Feuers treibt den Ball ſchneller in die Hoͤhe, Verminderung deſſelben haͤlt ihn zuruͤck, oder ſenkt ihn wieder herab, und man ſieht leicht, daß ſo willkuͤhrliche Veraͤnderungen ſich keiner Rechnung unterwerfen laſſen. Einige Luftfahrer, beſonders der ungluͤckliche Pilatre de Rozier, brachten es ſehr weit in der Geſchicklichkeit, das Feuer zu behandeln,

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/89>, abgerufen am 28.04.2024.