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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798.

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Die Phänomene der Entstehung und Zerschmelzung des Eises und die Eigenschaften desselben hat Herr von Mairan (Diss. sur la glace, a Paris 1735. 8, und stark vermehrt 1749. 8. Des Hrn. v. Mairan Abhandlung von dem Eise, aus d. Französ. Leipzig 1752. 8.) mit der grösten Aufmerksamkeit untersucht und beschrieben. Ich werde hier aus diesem Werke zuerst die Phänomene der Entstehung, dann die Eigenschaften des vollkommen gebildeten Eises, drittens die Erscheinungen des Zerschmelzens, und viertens die Entstehung und Eigenschaften des durch Salze bereiteten künstlichen Eises anführen.

Um die Entstehung des Eises genau zu beobachten, muß man Wasser in großen Gefäßen von dünnem Glase einer zur Gefrierung hinreichenden Kälte aussetzen. Diese Kälte aber muß auch nicht allzuheftig seyn, damit das Gefrieren nicht zu plötzlich geschehe, und man die Phänomene genauer beobachten könne.

Man bemerkt hiebey anfänglich ein sehr dünnes Eisblättchen auf der die Luft berührenden Oberfläche des Wassers. Hierauf bilden sich Eisfäden, welche aus den Wänden des Gefäßes hervorzugehen scheinen, und mit diesen Wänden verschiedene spitzige und stumpfe, sehr selten rechte Winkel machen. An diese ersten Fäden hängen sich andere unter eben so verschiedenen Winkeln, an diese wieder neue u. s. f. Alle diese Fäden vervielfältigen sich, und bilden endlich Eisblätter, welche an Anzahl und Stärke zunehmen, und zuletzt durch ihre Verbindung eine einzige feste Masse ausmachen. Dies alles erfolgt desto schneller und plötzlicher, je stärker die Kälte ist.

Während der Entstehung des Eises gehen Luftblasen in sehr großer Menge aus den Zwischenräumen des Wassers hervor; sie sind desto kleiner und zahlreicher, je langsamer das Wasser gefriert. Diese kleinen Luftblasen sammlen sich nach der Seite zu, wo das Gefrieren später erfolgt, weil sie daselbst weniger Zusammendrückung leiden, und bilden oft große Blasen, die bisweilen 2--3 Linien im Durchmesser haben. Sie sind gewöhnlich viel größer in der Mitte und an der Axe des Gefäßes, als am Rande und an


Die Phaͤnomene der Entſtehung und Zerſchmelzung des Eiſes und die Eigenſchaften deſſelben hat Herr von Mairan (Diſſ. ſur la glace, à Paris 1735. 8, und ſtark vermehrt 1749. 8. Des Hrn. v. Mairan Abhandlung von dem Eiſe, aus d. Franzoͤſ. Leipzig 1752. 8.) mit der groͤſten Aufmerkſamkeit unterſucht und beſchrieben. Ich werde hier aus dieſem Werke zuerſt die Phaͤnomene der Entſtehung, dann die Eigenſchaften des vollkommen gebildeten Eiſes, drittens die Erſcheinungen des Zerſchmelzens, und viertens die Entſtehung und Eigenſchaften des durch Salze bereiteten kuͤnſtlichen Eiſes anfuͤhren.

Um die Entſtehung des Eiſes genau zu beobachten, muß man Waſſer in großen Gefaͤßen von duͤnnem Glaſe einer zur Gefrierung hinreichenden Kaͤlte ausſetzen. Dieſe Kaͤlte aber muß auch nicht allzuheftig ſeyn, damit das Gefrieren nicht zu ploͤtzlich geſchehe, und man die Phaͤnomene genauer beobachten koͤnne.

Man bemerkt hiebey anfaͤnglich ein ſehr duͤnnes Eisblaͤttchen auf der die Luft beruͤhrenden Oberflaͤche des Waſſers. Hierauf bilden ſich Eisfaͤden, welche aus den Waͤnden des Gefaͤßes hervorzugehen ſcheinen, und mit dieſen Waͤnden verſchiedene ſpitzige und ſtumpfe, ſehr ſelten rechte Winkel machen. An dieſe erſten Faͤden haͤngen ſich andere unter eben ſo verſchiedenen Winkeln, an dieſe wieder neue u. ſ. f. Alle dieſe Faͤden vervielfaͤltigen ſich, und bilden endlich Eisblaͤtter, welche an Anzahl und Staͤrke zunehmen, und zuletzt durch ihre Verbindung eine einzige feſte Maſſe ausmachen. Dies alles erfolgt deſto ſchneller und ploͤtzlicher, je ſtaͤrker die Kaͤlte iſt.

Waͤhrend der Entſtehung des Eiſes gehen Luftblaſen in ſehr großer Menge aus den Zwiſchenraͤumen des Waſſers hervor; ſie ſind deſto kleiner und zahlreicher, je langſamer das Waſſer gefriert. Dieſe kleinen Luftblaſen ſammlen ſich nach der Seite zu, wo das Gefrieren ſpaͤter erfolgt, weil ſie daſelbſt weniger Zuſammendruͤckung leiden, und bilden oft große Blaſen, die bisweilen 2—3 Linien im Durchmeſſer haben. Sie ſind gewoͤhnlich viel groͤßer in der Mitte und an der Axe des Gefaͤßes, als am Rande und an

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[672/0686] Die Phaͤnomene der Entſtehung und Zerſchmelzung des Eiſes und die Eigenſchaften deſſelben hat Herr von Mairan (Diſſ. ſur la glace, à Paris 1735. 8, und ſtark vermehrt 1749. 8. Des Hrn. v. Mairan Abhandlung von dem Eiſe, aus d. Franzoͤſ. Leipzig 1752. 8.) mit der groͤſten Aufmerkſamkeit unterſucht und beſchrieben. Ich werde hier aus dieſem Werke zuerſt die Phaͤnomene der Entſtehung, dann die Eigenſchaften des vollkommen gebildeten Eiſes, drittens die Erſcheinungen des Zerſchmelzens, und viertens die Entſtehung und Eigenſchaften des durch Salze bereiteten kuͤnſtlichen Eiſes anfuͤhren. Um die Entſtehung des Eiſes genau zu beobachten, muß man Waſſer in großen Gefaͤßen von duͤnnem Glaſe einer zur Gefrierung hinreichenden Kaͤlte ausſetzen. Dieſe Kaͤlte aber muß auch nicht allzuheftig ſeyn, damit das Gefrieren nicht zu ploͤtzlich geſchehe, und man die Phaͤnomene genauer beobachten koͤnne. Man bemerkt hiebey anfaͤnglich ein ſehr duͤnnes Eisblaͤttchen auf der die Luft beruͤhrenden Oberflaͤche des Waſſers. Hierauf bilden ſich Eisfaͤden, welche aus den Waͤnden des Gefaͤßes hervorzugehen ſcheinen, und mit dieſen Waͤnden verſchiedene ſpitzige und ſtumpfe, ſehr ſelten rechte Winkel machen. An dieſe erſten Faͤden haͤngen ſich andere unter eben ſo verſchiedenen Winkeln, an dieſe wieder neue u. ſ. f. Alle dieſe Faͤden vervielfaͤltigen ſich, und bilden endlich Eisblaͤtter, welche an Anzahl und Staͤrke zunehmen, und zuletzt durch ihre Verbindung eine einzige feſte Maſſe ausmachen. Dies alles erfolgt deſto ſchneller und ploͤtzlicher, je ſtaͤrker die Kaͤlte iſt. Waͤhrend der Entſtehung des Eiſes gehen Luftblaſen in ſehr großer Menge aus den Zwiſchenraͤumen des Waſſers hervor; ſie ſind deſto kleiner und zahlreicher, je langſamer das Waſſer gefriert. Dieſe kleinen Luftblaſen ſammlen ſich nach der Seite zu, wo das Gefrieren ſpaͤter erfolgt, weil ſie daſelbſt weniger Zuſammendruͤckung leiden, und bilden oft große Blaſen, die bisweilen 2—3 Linien im Durchmeſſer haben. Sie ſind gewoͤhnlich viel groͤßer in der Mitte und an der Axe des Gefaͤßes, als am Rande und an

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 672. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/686>, abgerufen am 19.05.2024.