Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


Weise verbinden, neue Materien erzeugen und beträchtliche Veränderungen hervorbringen können.

Die Theorie der Ausdünstung hat die Physiker von jeher beschäftiget. Es ist die Frage davon, auf welche Art die Körper so getheilt werden können, daß sie in der Luft, als einer leichtern Materie, aufsteigen, und eine längere oder kürzere Zeit schwebend erhalten werden können. Man hat hierüber seit den ältesten Zeiten mancherley Hypothesen ausgedacht, deren Fehler vornehmlich darinn bestehen, daß jeder Raturforscher den Grund aller Phänomene der Dünste in einer einzigen Ursache gefunden zu haben glaubte, da sich doch hiebey gewiß mehrere Ursachen mit einander vereinigen. Da die Wärme oder das Feuer in die Ausdünstung einen so merklichen Einfluß hat, so hat schon Aristoteles (Meteorologic. L. I. c. 9.) die Entstehung der Dünste der Wirkung oder dem Stoße des Feuers zugeschrieben. Einige neuere sind ihm hierinn gefolgt. 's Gravesande (Elem. Phys. §. 2543.) glaubt, der Stoß allein reiche zwar nicht hin, aber die Wassertheilchen würden durch die Wirkung der Wärme verdünnt, und specifisch leichter gemacht, so daß sie den hydrostatischen Gesetzen gemäß so hoch aufstiegen, bis sie eine Luftschicht von gleicher specifischen Leichtigkeit anträfen. Wenn man bedenkt, daß das Wasser im gewöhnlichen Zustande auf 800mal schwerer, als die Luft, ist, und daß dennoch das Eis sehr stark, selbst stärker als Wasser, ausdünstet, so wird diese Erklärung unwahrscheinlich, da ein sehr geringer Grad der Wärme eine 800mal größere specifische Leichtigkeit bewirken müste. Muschenbroek aber (Elementa phys. Lugd. 1734. 8.) sucht diesem Einwurfe durch folgende Rechnung zu begegnen. "Die Dämpfe des ko"chenden Wassers, sagter, sind 14000mal dünner, als "das Wasser selbst; die Hitze, welche diese Verdünnung "bewirkt, ist nach Fahrenheits Thermometer 212 Grad; "daher kan eine Sommerwärme von 90 Graden noch im"mer eine 5943fache, und die Temperatur des Eispunkts "von 32 Graden eine 2113fache Verdünnung bewirken, "mithin Dämpfe erzeugen, welche weit leichter, als die


Weiſe verbinden, neue Materien erzeugen und betraͤchtliche Veraͤnderungen hervorbringen koͤnnen.

Die Theorie der Ausduͤnſtung hat die Phyſiker von jeher beſchaͤftiget. Es iſt die Frage davon, auf welche Art die Koͤrper ſo getheilt werden koͤnnen, daß ſie in der Luft, als einer leichtern Materie, aufſteigen, und eine laͤngere oder kuͤrzere Zeit ſchwebend erhalten werden koͤnnen. Man hat hieruͤber ſeit den aͤlteſten Zeiten mancherley Hypotheſen ausgedacht, deren Fehler vornehmlich darinn beſtehen, daß jeder Raturforſcher den Grund aller Phaͤnomene der Duͤnſte in einer einzigen Urſache gefunden zu haben glaubte, da ſich doch hiebey gewiß mehrere Urſachen mit einander vereinigen. Da die Waͤrme oder das Feuer in die Ausduͤnſtung einen ſo merklichen Einfluß hat, ſo hat ſchon Ariſtoteles (Meteorologic. L. I. c. 9.) die Entſtehung der Duͤnſte der Wirkung oder dem Stoße des Feuers zugeſchrieben. Einige neuere ſind ihm hierinn gefolgt. 's Graveſande (Elem. Phyſ. §. 2543.) glaubt, der Stoß allein reiche zwar nicht hin, aber die Waſſertheilchen wuͤrden durch die Wirkung der Waͤrme verduͤnnt, und ſpecifiſch leichter gemacht, ſo daß ſie den hydroſtatiſchen Geſetzen gemaͤß ſo hoch aufſtiegen, bis ſie eine Luftſchicht von gleicher ſpecifiſchen Leichtigkeit antraͤfen. Wenn man bedenkt, daß das Waſſer im gewoͤhnlichen Zuſtande auf 800mal ſchwerer, als die Luft, iſt, und daß dennoch das Eis ſehr ſtark, ſelbſt ſtaͤrker als Waſſer, ausduͤnſtet, ſo wird dieſe Erklaͤrung unwahrſcheinlich, da ein ſehr geringer Grad der Waͤrme eine 800mal groͤßere ſpecifiſche Leichtigkeit bewirken muͤſte. Muſchenbroek aber (Elementa phyſ. Lugd. 1734. 8.) ſucht dieſem Einwurfe durch folgende Rechnung zu begegnen. ”Die Daͤmpfe des ko”chenden Waſſers, ſagter, ſind 14000mal duͤnner, als ”das Waſſer ſelbſt; die Hitze, welche dieſe Verduͤnnung ”bewirkt, iſt nach Fahrenheits Thermometer 212 Grad; ”daher kan eine Sommerwaͤrme von 90 Graden noch im”mer eine 5943fache, und die Temperatur des Eispunkts ”von 32 Graden eine 2113fache Verduͤnnung bewirken, ”mithin Daͤmpfe erzeugen, welche weit leichter, als die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0221" xml:id="P.1.207" n="207"/><lb/>
Wei&#x017F;e verbinden, neue Materien erzeugen und betra&#x0364;chtliche Vera&#x0364;nderungen hervorbringen ko&#x0364;nnen.</p>
          <p>Die Theorie der Ausdu&#x0364;n&#x017F;tung hat die Phy&#x017F;iker von jeher be&#x017F;cha&#x0364;ftiget. Es i&#x017F;t die Frage davon, auf welche Art die Ko&#x0364;rper &#x017F;o getheilt werden ko&#x0364;nnen, daß &#x017F;ie in der Luft, als einer leichtern Materie, auf&#x017F;teigen, und eine la&#x0364;ngere oder ku&#x0364;rzere Zeit &#x017F;chwebend erhalten werden ko&#x0364;nnen. Man hat hieru&#x0364;ber &#x017F;eit den a&#x0364;lte&#x017F;ten Zeiten mancherley Hypothe&#x017F;en ausgedacht, deren Fehler vornehmlich darinn be&#x017F;tehen, daß jeder Raturfor&#x017F;cher den Grund aller Pha&#x0364;nomene der Du&#x0364;n&#x017F;te in einer einzigen Ur&#x017F;ache gefunden zu haben glaubte, da &#x017F;ich doch hiebey gewiß mehrere Ur&#x017F;achen mit einander vereinigen. Da die <hi rendition="#b">Wa&#x0364;rme</hi> oder das Feuer in die Ausdu&#x0364;n&#x017F;tung einen &#x017F;o merklichen Einfluß hat, &#x017F;o hat &#x017F;chon <hi rendition="#b">Ari&#x017F;toteles</hi> <hi rendition="#aq">(Meteorologic. L. I. c. 9.)</hi> die Ent&#x017F;tehung der Du&#x0364;n&#x017F;te der Wirkung oder dem Stoße des Feuers zuge&#x017F;chrieben. Einige neuere &#x017F;ind ihm hierinn gefolgt. <hi rendition="#b">'s Grave&#x017F;ande</hi> <hi rendition="#aq">(Elem. Phy&#x017F;. §. 2543.)</hi> glaubt, der Stoß allein reiche zwar nicht hin, aber die Wa&#x017F;&#x017F;ertheilchen wu&#x0364;rden durch die Wirkung der Wa&#x0364;rme verdu&#x0364;nnt, und &#x017F;pecifi&#x017F;ch leichter gemacht, &#x017F;o daß &#x017F;ie den hydro&#x017F;tati&#x017F;chen Ge&#x017F;etzen gema&#x0364;ß &#x017F;o hoch auf&#x017F;tiegen, bis &#x017F;ie eine Luft&#x017F;chicht von gleicher &#x017F;pecifi&#x017F;chen Leichtigkeit antra&#x0364;fen. Wenn man bedenkt, daß das Wa&#x017F;&#x017F;er im gewo&#x0364;hnlichen Zu&#x017F;tande auf 800mal &#x017F;chwerer, als die Luft, i&#x017F;t, und daß dennoch das Eis &#x017F;ehr &#x017F;tark, &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ta&#x0364;rker als Wa&#x017F;&#x017F;er, ausdu&#x0364;n&#x017F;tet, &#x017F;o wird die&#x017F;e Erkla&#x0364;rung unwahr&#x017F;cheinlich, da ein &#x017F;ehr geringer Grad der Wa&#x0364;rme eine 800mal gro&#x0364;ßere &#x017F;pecifi&#x017F;che Leichtigkeit bewirken mu&#x0364;&#x017F;te. <hi rendition="#b">Mu&#x017F;chenbroek</hi> aber <hi rendition="#aq">(Elementa phy&#x017F;. Lugd. 1734. 8.)</hi> &#x017F;ucht die&#x017F;em Einwurfe durch folgende Rechnung zu begegnen. &#x201D;Die Da&#x0364;mpfe des ko&#x201D;chenden Wa&#x017F;&#x017F;ers, &#x017F;agter, &#x017F;ind 14000mal du&#x0364;nner, als &#x201D;das Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;elb&#x017F;t; die Hitze, welche die&#x017F;e Verdu&#x0364;nnung &#x201D;bewirkt, i&#x017F;t nach Fahrenheits Thermometer 212 Grad; &#x201D;daher kan eine Sommerwa&#x0364;rme von 90 Graden noch im&#x201D;mer eine 5943fache, und die Temperatur des Eispunkts &#x201D;von 32 Graden eine 2113fache Verdu&#x0364;nnung bewirken, &#x201D;mithin Da&#x0364;mpfe erzeugen, welche weit leichter, als die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[207/0221] Weiſe verbinden, neue Materien erzeugen und betraͤchtliche Veraͤnderungen hervorbringen koͤnnen. Die Theorie der Ausduͤnſtung hat die Phyſiker von jeher beſchaͤftiget. Es iſt die Frage davon, auf welche Art die Koͤrper ſo getheilt werden koͤnnen, daß ſie in der Luft, als einer leichtern Materie, aufſteigen, und eine laͤngere oder kuͤrzere Zeit ſchwebend erhalten werden koͤnnen. Man hat hieruͤber ſeit den aͤlteſten Zeiten mancherley Hypotheſen ausgedacht, deren Fehler vornehmlich darinn beſtehen, daß jeder Raturforſcher den Grund aller Phaͤnomene der Duͤnſte in einer einzigen Urſache gefunden zu haben glaubte, da ſich doch hiebey gewiß mehrere Urſachen mit einander vereinigen. Da die Waͤrme oder das Feuer in die Ausduͤnſtung einen ſo merklichen Einfluß hat, ſo hat ſchon Ariſtoteles (Meteorologic. L. I. c. 9.) die Entſtehung der Duͤnſte der Wirkung oder dem Stoße des Feuers zugeſchrieben. Einige neuere ſind ihm hierinn gefolgt. 's Graveſande (Elem. Phyſ. §. 2543.) glaubt, der Stoß allein reiche zwar nicht hin, aber die Waſſertheilchen wuͤrden durch die Wirkung der Waͤrme verduͤnnt, und ſpecifiſch leichter gemacht, ſo daß ſie den hydroſtatiſchen Geſetzen gemaͤß ſo hoch aufſtiegen, bis ſie eine Luftſchicht von gleicher ſpecifiſchen Leichtigkeit antraͤfen. Wenn man bedenkt, daß das Waſſer im gewoͤhnlichen Zuſtande auf 800mal ſchwerer, als die Luft, iſt, und daß dennoch das Eis ſehr ſtark, ſelbſt ſtaͤrker als Waſſer, ausduͤnſtet, ſo wird dieſe Erklaͤrung unwahrſcheinlich, da ein ſehr geringer Grad der Waͤrme eine 800mal groͤßere ſpecifiſche Leichtigkeit bewirken muͤſte. Muſchenbroek aber (Elementa phyſ. Lugd. 1734. 8.) ſucht dieſem Einwurfe durch folgende Rechnung zu begegnen. ”Die Daͤmpfe des ko”chenden Waſſers, ſagter, ſind 14000mal duͤnner, als ”das Waſſer ſelbſt; die Hitze, welche dieſe Verduͤnnung ”bewirkt, iſt nach Fahrenheits Thermometer 212 Grad; ”daher kan eine Sommerwaͤrme von 90 Graden noch im”mer eine 5943fache, und die Temperatur des Eispunkts ”von 32 Graden eine 2113fache Verduͤnnung bewirken, ”mithin Daͤmpfe erzeugen, welche weit leichter, als die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/221
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/221>, abgerufen am 02.05.2024.