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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798.

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Erfahrungen bey bewegten Körpern eben so, wie bey ruhenden, erfolgen, und daß bey der Schwere insbesondere die Größe der Wirkung sich wie die Masse, und nicht, wie die Oberfläche verhält. Und überhaupt wird ein solcher Stoß auch nur auf Gerathewohl angenommen, ohne einige Erfahrung, die uns von seiner Wirklichkeit belehrte. Da wir nun in der Physik, sobald uns Erfahrung und Induction verlassen, nichts mehr wissen, warum wollen wir uns schämen, diese Unwissenheit zu gestehen? warum wollen wir uns entweder mit leeren Worten täuschen, die nichts erklären, oder mit Erklärungen behelfen, die aus der Luft gegriffen, und durch keine Erfahrung unterstützt sind? Solchen chimärischen Theorien hat die Welt noch bis heut nicht eine einzige nützliche Wahrheit zu verdanken. Ich bin nicht abgeneigt, mit Hrn. Lichtenberg (a. a. O.) zu glauben, daß das Phänomen der Attraction noch allzuzusammengesetzt sey, als daß man es in die Classe der ganz einfachen Phänomene, der Ausdehnung, Undurchdringlichkeit u. s. w. setzen, und alle Bemühungen, es zu erklären, aufgeben sollte. Allein Bemühungen, es zu erklären, sind wohl etwas anders, als der eitle Wahn, es ohne Beyhülfe der Erfahrung erklärt zu haben. Auch werden solche Bemühungen allem Vermuthen nach nie anders, als auf dem Wege der Experimentaluntersuchung gelingen. Aber von Kräften oder Mechanismen reden, die sich durch nichts unsern Sinnen darstellen, diese nach Gesetzen wirken lassen, von denen man auch keine Erfahrung hat, sondern die man nur so annimmt, wie man sie nöthig hat, das heißt, nach Herrn Kästners Ausdruck (Prüfung eines von Hrn. le Sage angegebnen Gesetzes fallender Körper, im deutschen Museum, Jun. 1776. und in der deutschen Uebers. des de Lüc über die Atmosphäre, II. B. S. 660.), nicht erklären, sondern erdichten. Da die Ursache der Attraction kein Gegenstand unserer Sinne mehr zu seyn scheint, so steht es dahin, ob wir je in der gegenwärtigen Welt zu einer zuverläßigen Kenntniß derselben gelangen werden; wenigstens müssen wir vorjetzt unsere gänzliche Unwissenheit hierüber aufrichtig gestehen.


Erfahrungen bey bewegten Koͤrpern eben ſo, wie bey ruhenden, erfolgen, und daß bey der Schwere insbeſondere die Groͤße der Wirkung ſich wie die Maſſe, und nicht, wie die Oberflaͤche verhaͤlt. Und uͤberhaupt wird ein ſolcher Stoß auch nur auf Gerathewohl angenommen, ohne einige Erfahrung, die uns von ſeiner Wirklichkeit belehrte. Da wir nun in der Phyſik, ſobald uns Erfahrung und Induction verlaſſen, nichts mehr wiſſen, warum wollen wir uns ſchaͤmen, dieſe Unwiſſenheit zu geſtehen? warum wollen wir uns entweder mit leeren Worten taͤuſchen, die nichts erklaͤren, oder mit Erklaͤrungen behelfen, die aus der Luft gegriffen, und durch keine Erfahrung unterſtuͤtzt ſind? Solchen chimaͤriſchen Theorien hat die Welt noch bis heut nicht eine einzige nuͤtzliche Wahrheit zu verdanken. Ich bin nicht abgeneigt, mit Hrn. Lichtenberg (a. a. O.) zu glauben, daß das Phaͤnomen der Attraction noch allzuzuſammengeſetzt ſey, als daß man es in die Claſſe der ganz einfachen Phaͤnomene, der Ausdehnung, Undurchdringlichkeit u. ſ. w. ſetzen, und alle Bemuͤhungen, es zu erklaͤren, aufgeben ſollte. Allein Bemuͤhungen, es zu erklaͤren, ſind wohl etwas anders, als der eitle Wahn, es ohne Beyhuͤlfe der Erfahrung erklaͤrt zu haben. Auch werden ſolche Bemuͤhungen allem Vermuthen nach nie anders, als auf dem Wege der Experimentalunterſuchung gelingen. Aber von Kraͤften oder Mechanismen reden, die ſich durch nichts unſern Sinnen darſtellen, dieſe nach Geſetzen wirken laſſen, von denen man auch keine Erfahrung hat, ſondern die man nur ſo annimmt, wie man ſie noͤthig hat, das heißt, nach Herrn Kaͤſtners Ausdruck (Pruͤfung eines von Hrn. le Sage angegebnen Geſetzes fallender Koͤrper, im deutſchen Muſeum, Jun. 1776. und in der deutſchen Ueberſ. des de Luͤc uͤber die Atmoſphaͤre, II. B. S. 660.), nicht erklaͤren, ſondern erdichten. Da die Urſache der Attraction kein Gegenſtand unſerer Sinne mehr zu ſeyn ſcheint, ſo ſteht es dahin, ob wir je in der gegenwaͤrtigen Welt zu einer zuverlaͤßigen Kenntniß derſelben gelangen werden; wenigſtens muͤſſen wir vorjetzt unſere gaͤnzliche Unwiſſenheit hieruͤber aufrichtig geſtehen.

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[170/0184] Erfahrungen bey bewegten Koͤrpern eben ſo, wie bey ruhenden, erfolgen, und daß bey der Schwere insbeſondere die Groͤße der Wirkung ſich wie die Maſſe, und nicht, wie die Oberflaͤche verhaͤlt. Und uͤberhaupt wird ein ſolcher Stoß auch nur auf Gerathewohl angenommen, ohne einige Erfahrung, die uns von ſeiner Wirklichkeit belehrte. Da wir nun in der Phyſik, ſobald uns Erfahrung und Induction verlaſſen, nichts mehr wiſſen, warum wollen wir uns ſchaͤmen, dieſe Unwiſſenheit zu geſtehen? warum wollen wir uns entweder mit leeren Worten taͤuſchen, die nichts erklaͤren, oder mit Erklaͤrungen behelfen, die aus der Luft gegriffen, und durch keine Erfahrung unterſtuͤtzt ſind? Solchen chimaͤriſchen Theorien hat die Welt noch bis heut nicht eine einzige nuͤtzliche Wahrheit zu verdanken. Ich bin nicht abgeneigt, mit Hrn. Lichtenberg (a. a. O.) zu glauben, daß das Phaͤnomen der Attraction noch allzuzuſammengeſetzt ſey, als daß man es in die Claſſe der ganz einfachen Phaͤnomene, der Ausdehnung, Undurchdringlichkeit u. ſ. w. ſetzen, und alle Bemuͤhungen, es zu erklaͤren, aufgeben ſollte. Allein Bemuͤhungen, es zu erklaͤren, ſind wohl etwas anders, als der eitle Wahn, es ohne Beyhuͤlfe der Erfahrung erklaͤrt zu haben. Auch werden ſolche Bemuͤhungen allem Vermuthen nach nie anders, als auf dem Wege der Experimentalunterſuchung gelingen. Aber von Kraͤften oder Mechanismen reden, die ſich durch nichts unſern Sinnen darſtellen, dieſe nach Geſetzen wirken laſſen, von denen man auch keine Erfahrung hat, ſondern die man nur ſo annimmt, wie man ſie noͤthig hat, das heißt, nach Herrn Kaͤſtners Ausdruck (Pruͤfung eines von Hrn. le Sage angegebnen Geſetzes fallender Koͤrper, im deutſchen Muſeum, Jun. 1776. und in der deutſchen Ueberſ. des de Luͤc uͤber die Atmoſphaͤre, II. B. S. 660.), nicht erklaͤren, ſondern erdichten. Da die Urſache der Attraction kein Gegenſtand unſerer Sinne mehr zu ſeyn ſcheint, ſo ſteht es dahin, ob wir je in der gegenwaͤrtigen Welt zu einer zuverlaͤßigen Kenntniß derſelben gelangen werden; wenigſtens muͤſſen wir vorjetzt unſere gaͤnzliche Unwiſſenheit hieruͤber aufrichtig geſtehen.

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/184>, abgerufen am 28.11.2024.