Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


Wege mehr zu leisten vermocht hätten, den Trieben der Gewinnsucht, zogen ihre Untersuchungen gänzlich auf den engen Punkt des Goldmachens zusammen, versteckten sich bey ihren fehlgeschlagnen Erwartungen hinter dem Schleyer einer geheimnißvollen und räthselhaften Sprache, oder täuschten auch wohl leichtgläubige Menschen durch kühne Betrügereyen. Um ihrer eitlen Kunst Ansehen zu verschaffen, schrieben sie ihr ein hohes Alter zu, und suchten sie in den Lehren des Hermes und in der Weisheit der alten Egyptier zu finden. Leider hat die Geschichte der Chymie bis ins sechszehnte Jahrhundert keine andern als alchymistische Schriften aufzuweisen, in welchen durch eine Menge von unverständlichen Worten und seltsamen Ideen nur hin und wieder eine oder die andere nützliche Wahrheit durchschimmert. Theophrastus Paracelsus Bombast von Hohenheim, ein berüchtigter Alchymist des sechszehnten Jahrhunderts und ein Mann von ausschweifender Lebhaftigkeit, setzte zu den vorigen Thorheiten noch die vorgebliche Erfindung einer Universalmedicin hinzu, verbrannte in einem Anfalle von Raserey die Bücher der alten Aerzte, und ward, ob er gleich im acht und vierzigsten Jahre starb, dennoch der Stifter einer Secte, welche durch einen und ebendenselben Prozeß sich Gold und Unsterblichkeit zu verschaffen suchte. Diejenigen unter seinen Nachfolgern, welche sich ihren Endzweck erreicht zu haben rühmten, nannten sich Adepten, und das Mittel, welches ihnen die Erfüllung ihrer Wünsche verschaffen sollte, den Stein der Weisen, so wie sie auch sich selbst den Namen der Feuerphilosophen (Philosophi per ignem) beylegten. So nannten sich in ältern Zeiten die Sterndeuter Mathematiker, wie Sertus Empirikus sagt, magnifico nomine artis vanitatem exornaturi.

Inzwischen ist doch unsere neuere, durch Bemühungen verdienstvoller Männer so sehr aufgeklärte, Chymie eine Tochter dieser übelberüchtigten Mutter, obgleich beyde mit einander nichts mehr, als den Namen und einige im Gebrauch gebliebene Kunstworte und Bezeichnungen, gemein haben. Schon im sechszehnten Jahrhunderte, und


Wege mehr zu leiſten vermocht haͤtten, den Trieben der Gewinnſucht, zogen ihre Unterſuchungen gaͤnzlich auf den engen Punkt des Goldmachens zuſammen, verſteckten ſich bey ihren fehlgeſchlagnen Erwartungen hinter dem Schleyer einer geheimnißvollen und raͤthſelhaften Sprache, oder taͤuſchten auch wohl leichtglaͤubige Menſchen durch kuͤhne Betruͤgereyen. Um ihrer eitlen Kunſt Anſehen zu verſchaffen, ſchrieben ſie ihr ein hohes Alter zu, und ſuchten ſie in den Lehren des Hermes und in der Weisheit der alten Egyptier zu finden. Leider hat die Geſchichte der Chymie bis ins ſechszehnte Jahrhundert keine andern als alchymiſtiſche Schriften aufzuweiſen, in welchen durch eine Menge von unverſtaͤndlichen Worten und ſeltſamen Ideen nur hin und wieder eine oder die andere nuͤtzliche Wahrheit durchſchimmert. Theophraſtus Paracelſus Bombaſt von Hohenheim, ein beruͤchtigter Alchymiſt des ſechszehnten Jahrhunderts und ein Mann von ausſchweifender Lebhaftigkeit, ſetzte zu den vorigen Thorheiten noch die vorgebliche Erfindung einer Univerſalmedicin hinzu, verbrannte in einem Anfalle von Raſerey die Buͤcher der alten Aerzte, und ward, ob er gleich im acht und vierzigſten Jahre ſtarb, dennoch der Stifter einer Secte, welche durch einen und ebendenſelben Prozeß ſich Gold und Unſterblichkeit zu verſchaffen ſuchte. Diejenigen unter ſeinen Nachfolgern, welche ſich ihren Endzweck erreicht zu haben ruͤhmten, nannten ſich Adepten, und das Mittel, welches ihnen die Erfuͤllung ihrer Wuͤnſche verſchaffen ſollte, den Stein der Weiſen, ſo wie ſie auch ſich ſelbſt den Namen der Feuerphiloſophen (Philoſophi per ignem) beylegten. So nannten ſich in aͤltern Zeiten die Sterndeuter Mathematiker, wie Sertus Empirikus ſagt, magnifico nomine artis vanitatem exornaturi.

Inzwiſchen iſt doch unſere neuere, durch Bemuͤhungen verdienſtvoller Maͤnner ſo ſehr aufgeklaͤrte, Chymie eine Tochter dieſer uͤbelberuͤchtigten Mutter, obgleich beyde mit einander nichts mehr, als den Namen und einige im Gebrauch gebliebene Kunſtworte und Bezeichnungen, gemein haben. Schon im ſechszehnten Jahrhunderte, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0106" xml:id="P.1.92" n="92"/><lb/>
Wege mehr zu lei&#x017F;ten vermocht ha&#x0364;tten, den Trieben der Gewinn&#x017F;ucht, zogen ihre Unter&#x017F;uchungen ga&#x0364;nzlich auf den engen Punkt des Goldmachens zu&#x017F;ammen, ver&#x017F;teckten &#x017F;ich bey ihren fehlge&#x017F;chlagnen Erwartungen hinter dem Schleyer einer geheimnißvollen und ra&#x0364;th&#x017F;elhaften Sprache, oder ta&#x0364;u&#x017F;chten auch wohl leichtgla&#x0364;ubige Men&#x017F;chen durch ku&#x0364;hne Betru&#x0364;gereyen. Um ihrer eitlen Kun&#x017F;t An&#x017F;ehen zu ver&#x017F;chaffen, &#x017F;chrieben &#x017F;ie ihr ein hohes Alter zu, und &#x017F;uchten &#x017F;ie in den Lehren des <hi rendition="#b">Hermes</hi> und in der Weisheit der alten Egyptier zu finden. Leider hat die Ge&#x017F;chichte der Chymie bis ins &#x017F;echszehnte Jahrhundert keine andern als alchymi&#x017F;ti&#x017F;che Schriften aufzuwei&#x017F;en, in welchen durch eine Menge von unver&#x017F;ta&#x0364;ndlichen Worten und &#x017F;elt&#x017F;amen Ideen nur hin und wieder eine oder die andere nu&#x0364;tzliche Wahrheit durch&#x017F;chimmert. <hi rendition="#b">Theophra&#x017F;tus Paracel&#x017F;us Bomba&#x017F;t von Hohenheim,</hi> ein beru&#x0364;chtigter Alchymi&#x017F;t des &#x017F;echszehnten Jahrhunderts und ein Mann von aus&#x017F;chweifender Lebhaftigkeit, &#x017F;etzte zu den vorigen Thorheiten noch die vorgebliche Erfindung einer Univer&#x017F;almedicin hinzu, verbrannte in einem Anfalle von Ra&#x017F;erey die Bu&#x0364;cher der alten Aerzte, und ward, ob er gleich im acht und vierzig&#x017F;ten Jahre &#x017F;tarb, dennoch der Stifter einer Secte, welche durch einen und ebenden&#x017F;elben Prozeß &#x017F;ich Gold und Un&#x017F;terblichkeit zu ver&#x017F;chaffen &#x017F;uchte. Diejenigen unter &#x017F;einen Nachfolgern, welche &#x017F;ich ihren Endzweck erreicht zu haben ru&#x0364;hmten, nannten &#x017F;ich <hi rendition="#b">Adepten,</hi> und das Mittel, welches ihnen die Erfu&#x0364;llung ihrer Wu&#x0364;n&#x017F;che ver&#x017F;chaffen &#x017F;ollte, den <hi rendition="#b">Stein der Wei&#x017F;en,</hi> &#x017F;o wie &#x017F;ie auch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t den Namen der Feuerphilo&#x017F;ophen <hi rendition="#aq">(Philo&#x017F;ophi per ignem)</hi> beylegten. So nannten &#x017F;ich in a&#x0364;ltern Zeiten die Sterndeuter Mathematiker, wie Sertus Empirikus &#x017F;agt, <hi rendition="#aq">magnifico nomine artis vanitatem exornaturi.</hi></p>
          <p>Inzwi&#x017F;chen i&#x017F;t doch un&#x017F;ere neuere, durch Bemu&#x0364;hungen verdien&#x017F;tvoller Ma&#x0364;nner &#x017F;o &#x017F;ehr aufgekla&#x0364;rte, Chymie eine Tochter die&#x017F;er u&#x0364;belberu&#x0364;chtigten Mutter, obgleich beyde mit einander nichts mehr, als den Namen und einige im Gebrauch gebliebene Kun&#x017F;tworte und Bezeichnungen, gemein haben. Schon im &#x017F;echszehnten Jahrhunderte, und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92/0106] Wege mehr zu leiſten vermocht haͤtten, den Trieben der Gewinnſucht, zogen ihre Unterſuchungen gaͤnzlich auf den engen Punkt des Goldmachens zuſammen, verſteckten ſich bey ihren fehlgeſchlagnen Erwartungen hinter dem Schleyer einer geheimnißvollen und raͤthſelhaften Sprache, oder taͤuſchten auch wohl leichtglaͤubige Menſchen durch kuͤhne Betruͤgereyen. Um ihrer eitlen Kunſt Anſehen zu verſchaffen, ſchrieben ſie ihr ein hohes Alter zu, und ſuchten ſie in den Lehren des Hermes und in der Weisheit der alten Egyptier zu finden. Leider hat die Geſchichte der Chymie bis ins ſechszehnte Jahrhundert keine andern als alchymiſtiſche Schriften aufzuweiſen, in welchen durch eine Menge von unverſtaͤndlichen Worten und ſeltſamen Ideen nur hin und wieder eine oder die andere nuͤtzliche Wahrheit durchſchimmert. Theophraſtus Paracelſus Bombaſt von Hohenheim, ein beruͤchtigter Alchymiſt des ſechszehnten Jahrhunderts und ein Mann von ausſchweifender Lebhaftigkeit, ſetzte zu den vorigen Thorheiten noch die vorgebliche Erfindung einer Univerſalmedicin hinzu, verbrannte in einem Anfalle von Raſerey die Buͤcher der alten Aerzte, und ward, ob er gleich im acht und vierzigſten Jahre ſtarb, dennoch der Stifter einer Secte, welche durch einen und ebendenſelben Prozeß ſich Gold und Unſterblichkeit zu verſchaffen ſuchte. Diejenigen unter ſeinen Nachfolgern, welche ſich ihren Endzweck erreicht zu haben ruͤhmten, nannten ſich Adepten, und das Mittel, welches ihnen die Erfuͤllung ihrer Wuͤnſche verſchaffen ſollte, den Stein der Weiſen, ſo wie ſie auch ſich ſelbſt den Namen der Feuerphiloſophen (Philoſophi per ignem) beylegten. So nannten ſich in aͤltern Zeiten die Sterndeuter Mathematiker, wie Sertus Empirikus ſagt, magnifico nomine artis vanitatem exornaturi. Inzwiſchen iſt doch unſere neuere, durch Bemuͤhungen verdienſtvoller Maͤnner ſo ſehr aufgeklaͤrte, Chymie eine Tochter dieſer uͤbelberuͤchtigten Mutter, obgleich beyde mit einander nichts mehr, als den Namen und einige im Gebrauch gebliebene Kunſtworte und Bezeichnungen, gemein haben. Schon im ſechszehnten Jahrhunderte, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/106
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/106>, abgerufen am 02.05.2024.