einmal zug[ - 1 Zeichen fehlt]troffne Hypothese alle Erscheinungen der Welt erklären; die eingeschränkten Kunstrich- ter, die die freye Wahl des ersten Genies in eine Regel für alle künftige verwandeln, und dem Ver- gnügen verbieten, aus andern Quellen zu fließen, als aus denen sie es schon gekostet haben; die ein- seitigen Moralisten, die immer die menschliche Na- tur und die ihrige vermischen, und alle Erfahrun- gen unter das Joch der Grundsätze bringen, die gar nicht mit Hülfe dieser Erfahrungen waren ge- macht worden.
Ein andrer Abweg dieser Köpfe ist das Sub- tilisiren. Sobald der Zergliederer Körper theilen will, die entweder zu dicht sind und zu fest zusam- menhängen, um sich trennen zu lassen, oder zu klein, um gefaßt zu werden; so ist seine Kunst ver- geblich. Und wenn der Philosoph Begriffe auflö- sen will, die entweder zu verwickelt und zu indi- viduell sind, um einer andern Erklärung als des Vorzeigens fähig zu seyn; oder zu einfach und schon zu weit zergliedert, um noch eine neue Auf- lösung zuzulassen; so ist seine Arbeit nicht bloß
Ueber die Pruͤfung
einmal zug[ – 1 Zeichen fehlt]troffne Hypotheſe alle Erſcheinungen der Welt erklaͤren; die eingeſchraͤnkten Kunſtrich- ter, die die freye Wahl des erſten Genies in eine Regel fuͤr alle kuͤnftige verwandeln, und dem Ver- gnuͤgen verbieten, aus andern Quellen zu fließen, als aus denen ſie es ſchon gekoſtet haben; die ein- ſeitigen Moraliſten, die immer die menſchliche Na- tur und die ihrige vermiſchen, und alle Erfahrun- gen unter das Joch der Grundſaͤtze bringen, die gar nicht mit Huͤlfe dieſer Erfahrungen waren ge- macht worden.
Ein andrer Abweg dieſer Koͤpfe iſt das Sub- tiliſiren. Sobald der Zergliederer Koͤrper theilen will, die entweder zu dicht ſind und zu feſt zuſam- menhaͤngen, um ſich trennen zu laſſen, oder zu klein, um gefaßt zu werden; ſo iſt ſeine Kunſt ver- geblich. Und wenn der Philoſoph Begriffe aufloͤ- ſen will, die entweder zu verwickelt und zu indi- viduell ſind, um einer andern Erklaͤrung als des Vorzeigens faͤhig zu ſeyn; oder zu einfach und ſchon zu weit zergliedert, um noch eine neue Auf- loͤſung zuzulaſſen; ſo iſt ſeine Arbeit nicht bloß
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Ueber die Pruͤfung
einmal zug_troffne Hypotheſe alle Erſcheinungen
der Welt erklaͤren; die eingeſchraͤnkten Kunſtrich-
ter, die die freye Wahl des erſten Genies in eine
Regel fuͤr alle kuͤnftige verwandeln, und dem Ver-
gnuͤgen verbieten, aus andern Quellen zu fließen,
als aus denen ſie es ſchon gekoſtet haben; die ein-
ſeitigen Moraliſten, die immer die menſchliche Na-
tur und die ihrige vermiſchen, und alle Erfahrun-
gen unter das Joch der Grundſaͤtze bringen, die
gar nicht mit Huͤlfe dieſer Erfahrungen waren ge-
macht worden.
Ein andrer Abweg dieſer Koͤpfe iſt das Sub-
tiliſiren. Sobald der Zergliederer Koͤrper theilen
will, die entweder zu dicht ſind und zu feſt zuſam-
menhaͤngen, um ſich trennen zu laſſen, oder zu
klein, um gefaßt zu werden; ſo iſt ſeine Kunſt ver-
geblich. Und wenn der Philoſoph Begriffe aufloͤ-
ſen will, die entweder zu verwickelt und zu indi-
viduell ſind, um einer andern Erklaͤrung als des
Vorzeigens faͤhig zu ſeyn; oder zu einfach und
ſchon zu weit zergliedert, um noch eine neue Auf-
loͤſung zuzulaſſen; ſo iſt ſeine Arbeit nicht bloß
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/76>, abgerufen am 23.11.2024.
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