Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

der Fähigkeiten.
aus einem entgegenstehenden Grunde zogen.
Diese Fähigkeit muß sich viel später entwickeln,
weil zu der ersten nur Empfindung und Erinne-
rung, zu dieser eine wiederholte Vergleichung und
eine langsame Sammlung der Aehnlichkeiten ge-
hört. Ein Kind von dieser Art kann also in den
ersten Jahren sehr leicht ein Dummkopf zu seyn
scheinen. Abstraktionen hat es noch nicht Zeit
genug gehabt zu machen, und die Einbildungs-
kraft ersetzet bey ihm diesen Mangel nicht durch
die Erinnerung der Fälle. Um eben dieses Be-
dürfnisses willen verlangt es Erklärungen; weil
es sonst bey dem Worte nichts als einen leeren
Schall hört. Die Seele ist also in dieser Zeit be-
ständig wirksam, aber ihre Arbeit ist noch unvoll-
endet; und erst der Erfolg kann entscheiden, ob
ihre Kraft sich nur deswegen verbarg, weil sie in-
nerlich geschäftig war, oder weil sie durch ihre
Schwäche eingeschränkt wurde.

In allen Sachen, wo es keine Abstraction
durch Worte giebt, ist der Fortgang eines solchen
Kopfs langsam. Alle diese Begriffe, die die Seele

der Faͤhigkeiten.
aus einem entgegenſtehenden Grunde zogen.
Dieſe Faͤhigkeit muß ſich viel ſpaͤter entwickeln,
weil zu der erſten nur Empfindung und Erinne-
rung, zu dieſer eine wiederholte Vergleichung und
eine langſame Sammlung der Aehnlichkeiten ge-
hoͤrt. Ein Kind von dieſer Art kann alſo in den
erſten Jahren ſehr leicht ein Dummkopf zu ſeyn
ſcheinen. Abſtraktionen hat es noch nicht Zeit
genug gehabt zu machen, und die Einbildungs-
kraft erſetzet bey ihm dieſen Mangel nicht durch
die Erinnerung der Faͤlle. Um eben dieſes Be-
duͤrfniſſes willen verlangt es Erklaͤrungen; weil
es ſonſt bey dem Worte nichts als einen leeren
Schall hoͤrt. Die Seele iſt alſo in dieſer Zeit be-
ſtaͤndig wirkſam, aber ihre Arbeit iſt noch unvoll-
endet; und erſt der Erfolg kann entſcheiden, ob
ihre Kraft ſich nur deswegen verbarg, weil ſie in-
nerlich geſchaͤftig war, oder weil ſie durch ihre
Schwaͤche eingeſchraͤnkt wurde.

In allen Sachen, wo es keine Abſtraction
durch Worte giebt, iſt der Fortgang eines ſolchen
Kopfs langſam. Alle dieſe Begriffe, die die Seele

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0067" n="61"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der Fa&#x0364;higkeiten.</hi></fw><lb/>
aus einem entgegen&#x017F;tehenden Grunde zogen.<lb/>
Die&#x017F;e Fa&#x0364;higkeit muß &#x017F;ich viel &#x017F;pa&#x0364;ter entwickeln,<lb/>
weil zu der er&#x017F;ten nur Empfindung und Erinne-<lb/>
rung, zu die&#x017F;er eine wiederholte Vergleichung und<lb/>
eine lang&#x017F;ame Sammlung der Aehnlichkeiten ge-<lb/>
ho&#x0364;rt. Ein Kind von die&#x017F;er Art kann al&#x017F;o in den<lb/>
er&#x017F;ten Jahren &#x017F;ehr leicht ein Dummkopf zu &#x017F;eyn<lb/>
&#x017F;cheinen. Ab&#x017F;traktionen hat es noch nicht Zeit<lb/>
genug gehabt zu machen, und die Einbildungs-<lb/>
kraft er&#x017F;etzet bey ihm die&#x017F;en Mangel nicht durch<lb/>
die Erinnerung der Fa&#x0364;lle. Um eben die&#x017F;es Be-<lb/>
du&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;es willen verlangt es Erkla&#x0364;rungen; weil<lb/>
es &#x017F;on&#x017F;t bey dem Worte nichts als einen leeren<lb/>
Schall ho&#x0364;rt. Die Seele i&#x017F;t al&#x017F;o in die&#x017F;er Zeit be-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndig wirk&#x017F;am, aber ihre Arbeit i&#x017F;t noch unvoll-<lb/>
endet; und er&#x017F;t der Erfolg kann ent&#x017F;cheiden, ob<lb/>
ihre Kraft &#x017F;ich nur deswegen verbarg, weil &#x017F;ie in-<lb/>
nerlich ge&#x017F;cha&#x0364;ftig war, oder weil &#x017F;ie durch ihre<lb/>
Schwa&#x0364;che einge&#x017F;chra&#x0364;nkt wurde.</p><lb/>
        <p>In allen Sachen, wo es keine Ab&#x017F;traction<lb/>
durch Worte giebt, i&#x017F;t der Fortgang eines &#x017F;olchen<lb/>
Kopfs lang&#x017F;am. Alle die&#x017F;e Begriffe, die die Seele<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0067] der Faͤhigkeiten. aus einem entgegenſtehenden Grunde zogen. Dieſe Faͤhigkeit muß ſich viel ſpaͤter entwickeln, weil zu der erſten nur Empfindung und Erinne- rung, zu dieſer eine wiederholte Vergleichung und eine langſame Sammlung der Aehnlichkeiten ge- hoͤrt. Ein Kind von dieſer Art kann alſo in den erſten Jahren ſehr leicht ein Dummkopf zu ſeyn ſcheinen. Abſtraktionen hat es noch nicht Zeit genug gehabt zu machen, und die Einbildungs- kraft erſetzet bey ihm dieſen Mangel nicht durch die Erinnerung der Faͤlle. Um eben dieſes Be- duͤrfniſſes willen verlangt es Erklaͤrungen; weil es ſonſt bey dem Worte nichts als einen leeren Schall hoͤrt. Die Seele iſt alſo in dieſer Zeit be- ſtaͤndig wirkſam, aber ihre Arbeit iſt noch unvoll- endet; und erſt der Erfolg kann entſcheiden, ob ihre Kraft ſich nur deswegen verbarg, weil ſie in- nerlich geſchaͤftig war, oder weil ſie durch ihre Schwaͤche eingeſchraͤnkt wurde. In allen Sachen, wo es keine Abſtraction durch Worte giebt, iſt der Fortgang eines ſolchen Kopfs langſam. Alle dieſe Begriffe, die die Seele

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/67
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/67>, abgerufen am 05.05.2024.