Daseyn wieder; und ein tiefer Seufzer ist der ein- zige Ausdruck dieses Gefühls.
Was rührt an diesem Gemälde? Erstlich, es scheint so wahr. Wenn dieß nicht die Empfin- dungen von Sterbenden sind: so sind es doch genau die Empfindungen, die wir Sterbenden zuschreiben. Der Dichter hat genau das Ideal getroffen, das wir von dieser interessanten Scene des menschlichen Lebens mit uns herumtragen, wenn er auch nicht den Gegenstand selbst getrof- fen hätte.
Zweytens, ohne auf die Richtigkeit der Schil- derung zu sehen: was kann rührender seyn, als ein Mensch, der leidet, der schon anfieng in dem Schlummer des Todes das Bewußtseyn seiner selbst und mit demselben seiner Noth und seines Schmerzes zu verlieren, und der nun wieder er- wacht, sich und alles sein Elend wieder fühlt, und das zurückkehrende Leben beseufzt.
Was ist rührender, als dieser Streit der menschlichen Natur zwischen der Furcht vor dem Tode, welche macht, daß der Sterbende das Licht
D d 5
uͤber das Intereſſirende.
Daſeyn wieder; und ein tiefer Seufzer iſt der ein- zige Ausdruck dieſes Gefuͤhls.
Was ruͤhrt an dieſem Gemaͤlde? Erſtlich, es ſcheint ſo wahr. Wenn dieß nicht die Empfin- dungen von Sterbenden ſind: ſo ſind es doch genau die Empfindungen, die wir Sterbenden zuſchreiben. Der Dichter hat genau das Ideal getroffen, das wir von dieſer intereſſanten Scene des menſchlichen Lebens mit uns herumtragen, wenn er auch nicht den Gegenſtand ſelbſt getrof- fen haͤtte.
Zweytens, ohne auf die Richtigkeit der Schil- derung zu ſehen: was kann ruͤhrender ſeyn, als ein Menſch, der leidet, der ſchon anfieng in dem Schlummer des Todes das Bewußtſeyn ſeiner ſelbſt und mit demſelben ſeiner Noth und ſeines Schmerzes zu verlieren, und der nun wieder er- wacht, ſich und alles ſein Elend wieder fuͤhlt, und das zuruͤckkehrende Leben beſeufzt.
Was iſt ruͤhrender, als dieſer Streit der menſchlichen Natur zwiſchen der Furcht vor dem Tode, welche macht, daß der Sterbende das Licht
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uͤber das Intereſſirende.
Daſeyn wieder; und ein tiefer Seufzer iſt der ein-
zige Ausdruck dieſes Gefuͤhls.
Was ruͤhrt an dieſem Gemaͤlde? Erſtlich, es
ſcheint ſo wahr. Wenn dieß nicht die Empfin-
dungen von Sterbenden ſind: ſo ſind es doch
genau die Empfindungen, die wir Sterbenden
zuſchreiben. Der Dichter hat genau das Ideal
getroffen, das wir von dieſer intereſſanten Scene
des menſchlichen Lebens mit uns herumtragen,
wenn er auch nicht den Gegenſtand ſelbſt getrof-
fen haͤtte.
Zweytens, ohne auf die Richtigkeit der Schil-
derung zu ſehen: was kann ruͤhrender ſeyn, als
ein Menſch, der leidet, der ſchon anfieng in dem
Schlummer des Todes das Bewußtſeyn ſeiner
ſelbſt und mit demſelben ſeiner Noth und ſeines
Schmerzes zu verlieren, und der nun wieder er-
wacht, ſich und alles ſein Elend wieder fuͤhlt, und
das zuruͤckkehrende Leben beſeufzt.
Was iſt ruͤhrender, als dieſer Streit der
menſchlichen Natur zwiſchen der Furcht vor dem
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/431>, abgerufen am 22.11.2024.
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