uns unsre wesentlichen Vollkommenheiten auf- klären.
Diese Fähigkeit hat noch das Eigne, daß sich bey ihr vorzüglich die Bestimmung der Seele und die Art von Gegenständen zeiget, für die sie ge- macht ist. Die Empfindungen, die die stärksten waren, lassen auch die stärksten Eindrücke zurück, und die Verbindungen werden also auch am leich- testen und besten. Durch diesen Weg zeigt zu- weilen die Natur von selbst die Absicht mit ihrem Geschöpfe. Der künftige Bildhauer macht Men- schen aus Leim, der junge Tonkünstler singt rich- tigere und künstlichere Melodien.
Diese Werke der jugendlichen Einbildungs- kraft sind leicht zu erkennen, wo sie wirklich kör- perliche Theile zu einem Ganzen verbindet. Man darf nur darauf Achtung geben, in welcher Gat- tung das Kind die größte Erfindsamkeit, den rich- tigsten Geschmack und die beste Anordnung hat. Aber die Einbildungskraft, die bloße Bilder zu- sammensetzet, zeigt sich später und läßt sich leich- ter verkennen, und auf dieser beruht doch eigent-
Ueber die Pruͤfung
uns unſre weſentlichen Vollkommenheiten auf- klaͤren.
Dieſe Faͤhigkeit hat noch das Eigne, daß ſich bey ihr vorzuͤglich die Beſtimmung der Seele und die Art von Gegenſtaͤnden zeiget, fuͤr die ſie ge- macht iſt. Die Empfindungen, die die ſtaͤrkſten waren, laſſen auch die ſtaͤrkſten Eindruͤcke zuruͤck, und die Verbindungen werden alſo auch am leich- teſten und beſten. Durch dieſen Weg zeigt zu- weilen die Natur von ſelbſt die Abſicht mit ihrem Geſchoͤpfe. Der kuͤnftige Bildhauer macht Men- ſchen aus Leim, der junge Tonkuͤnſtler ſingt rich- tigere und kuͤnſtlichere Melodien.
Dieſe Werke der jugendlichen Einbildungs- kraft ſind leicht zu erkennen, wo ſie wirklich koͤr- perliche Theile zu einem Ganzen verbindet. Man darf nur darauf Achtung geben, in welcher Gat- tung das Kind die groͤßte Erfindſamkeit, den rich- tigſten Geſchmack und die beſte Anordnung hat. Aber die Einbildungskraft, die bloße Bilder zu- ſammenſetzet, zeigt ſich ſpaͤter und laͤßt ſich leich- ter verkennen, und auf dieſer beruht doch eigent-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0040"n="34"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Ueber die Pruͤfung</hi></fw><lb/>
uns unſre weſentlichen Vollkommenheiten auf-<lb/>
klaͤren.</p><lb/><p>Dieſe Faͤhigkeit hat noch das Eigne, daß ſich<lb/>
bey ihr vorzuͤglich die Beſtimmung der Seele und<lb/>
die Art von Gegenſtaͤnden zeiget, fuͤr die ſie ge-<lb/>
macht iſt. Die Empfindungen, die die ſtaͤrkſten<lb/>
waren, laſſen auch die ſtaͤrkſten Eindruͤcke zuruͤck,<lb/>
und die Verbindungen werden alſo auch am leich-<lb/>
teſten und beſten. Durch dieſen Weg zeigt zu-<lb/>
weilen die Natur von ſelbſt die Abſicht mit ihrem<lb/>
Geſchoͤpfe. Der kuͤnftige Bildhauer macht Men-<lb/>ſchen aus Leim, der junge Tonkuͤnſtler ſingt rich-<lb/>
tigere und kuͤnſtlichere Melodien.</p><lb/><p>Dieſe Werke der jugendlichen Einbildungs-<lb/>
kraft ſind leicht zu erkennen, wo ſie wirklich koͤr-<lb/>
perliche Theile zu einem Ganzen verbindet. Man<lb/>
darf nur darauf Achtung geben, in welcher Gat-<lb/>
tung das Kind die groͤßte Erfindſamkeit, den rich-<lb/>
tigſten Geſchmack und die beſte Anordnung hat.<lb/>
Aber die Einbildungskraft, die bloße Bilder zu-<lb/>ſammenſetzet, zeigt ſich ſpaͤter und laͤßt ſich leich-<lb/>
ter verkennen, und auf dieſer beruht doch eigent-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[34/0040]
Ueber die Pruͤfung
uns unſre weſentlichen Vollkommenheiten auf-
klaͤren.
Dieſe Faͤhigkeit hat noch das Eigne, daß ſich
bey ihr vorzuͤglich die Beſtimmung der Seele und
die Art von Gegenſtaͤnden zeiget, fuͤr die ſie ge-
macht iſt. Die Empfindungen, die die ſtaͤrkſten
waren, laſſen auch die ſtaͤrkſten Eindruͤcke zuruͤck,
und die Verbindungen werden alſo auch am leich-
teſten und beſten. Durch dieſen Weg zeigt zu-
weilen die Natur von ſelbſt die Abſicht mit ihrem
Geſchoͤpfe. Der kuͤnftige Bildhauer macht Men-
ſchen aus Leim, der junge Tonkuͤnſtler ſingt rich-
tigere und kuͤnſtlichere Melodien.
Dieſe Werke der jugendlichen Einbildungs-
kraft ſind leicht zu erkennen, wo ſie wirklich koͤr-
perliche Theile zu einem Ganzen verbindet. Man
darf nur darauf Achtung geben, in welcher Gat-
tung das Kind die groͤßte Erfindſamkeit, den rich-
tigſten Geſchmack und die beſte Anordnung hat.
Aber die Einbildungskraft, die bloße Bilder zu-
ſammenſetzet, zeigt ſich ſpaͤter und laͤßt ſich leich-
ter verkennen, und auf dieſer beruht doch eigent-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/40>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.