Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

über das Interessirende.
henden Wissenschaften und der verfeinerten Sit-
ten bekömmt er mehr Leben, mehr Umständlich-
keit: aber er bleibt noch bescheiden, und concis;
in dem dritten Zeitraum wird er kühn und über-
trieben. Die Erscheinungen der Leidenschaft
werden zu weitläuftig ausgemahlt, werden mit
zu hellen Farben erleuchtet. Homer, Virgil,
Lukan, können die drey Muster von diesen Zeit-
altern seyn. Es ist der Erfahrung gemäß, daß
das stärkste Interesse nur da statt findet, wo
Wahrheit und Mäßigung sich mit einander verei-
nigen. Die dunkle Dämmerung des Morgens,
oder eines trüben Tages, kann die Gegenstände
richtig zeigen, aber es erhellt und belebt sie nicht
genug, das Gemüth bleibt träge, indem es sie
ansieht, und bekömmt also weder klare Vorstel-
lungen, noch merkliches Vergnügen. Das helle
Licht des Mittags im Sommer macht die Ge-
genstände glänzend: aber es blendet, es ermattet;
es macht, daß wir die Augen von den Dingen
abkehren. Aber das sanfte Licht des Abends
oder eines schönen Herbsttages macht eigentlich

B b 2

uͤber das Intereſſirende.
henden Wiſſenſchaften und der verfeinerten Sit-
ten bekoͤmmt er mehr Leben, mehr Umſtaͤndlich-
keit: aber er bleibt noch beſcheiden, und concis;
in dem dritten Zeitraum wird er kuͤhn und uͤber-
trieben. Die Erſcheinungen der Leidenſchaft
werden zu weitlaͤuftig ausgemahlt, werden mit
zu hellen Farben erleuchtet. Homer, Virgil,
Lukan, koͤnnen die drey Muſter von dieſen Zeit-
altern ſeyn. Es iſt der Erfahrung gemaͤß, daß
das ſtaͤrkſte Intereſſe nur da ſtatt findet, wo
Wahrheit und Maͤßigung ſich mit einander verei-
nigen. Die dunkle Daͤmmerung des Morgens,
oder eines truͤben Tages, kann die Gegenſtaͤnde
richtig zeigen, aber es erhellt und belebt ſie nicht
genug, das Gemuͤth bleibt traͤge, indem es ſie
anſieht, und bekoͤmmt alſo weder klare Vorſtel-
lungen, noch merkliches Vergnuͤgen. Das helle
Licht des Mittags im Sommer macht die Ge-
genſtaͤnde glaͤnzend: aber es blendet, es ermattet;
es macht, daß wir die Augen von den Dingen
abkehren. Aber das ſanfte Licht des Abends
oder eines ſchoͤnen Herbſttages macht eigentlich

B b 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0393" n="387"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">u&#x0364;ber das Intere&#x017F;&#x017F;irende.</hi></fw><lb/>
henden Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften und der verfeinerten Sit-<lb/>
ten beko&#x0364;mmt er mehr Leben, mehr Um&#x017F;ta&#x0364;ndlich-<lb/>
keit: aber er bleibt noch be&#x017F;cheiden, und concis;<lb/>
in dem dritten Zeitraum wird er ku&#x0364;hn und u&#x0364;ber-<lb/>
trieben. Die Er&#x017F;cheinungen der Leiden&#x017F;chaft<lb/>
werden zu weitla&#x0364;uftig ausgemahlt, werden mit<lb/>
zu hellen Farben erleuchtet. Homer, Virgil,<lb/>
Lukan, ko&#x0364;nnen die drey Mu&#x017F;ter von die&#x017F;en Zeit-<lb/>
altern &#x017F;eyn. Es i&#x017F;t der Erfahrung gema&#x0364;ß, daß<lb/>
das &#x017F;ta&#x0364;rk&#x017F;te Intere&#x017F;&#x017F;e nur da &#x017F;tatt findet, wo<lb/>
Wahrheit und Ma&#x0364;ßigung &#x017F;ich mit einander verei-<lb/>
nigen. Die dunkle Da&#x0364;mmerung des Morgens,<lb/>
oder eines tru&#x0364;ben Tages, kann die Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde<lb/>
richtig zeigen, aber es erhellt und belebt &#x017F;ie nicht<lb/>
genug, das Gemu&#x0364;th bleibt tra&#x0364;ge, indem es &#x017F;ie<lb/>
an&#x017F;ieht, und beko&#x0364;mmt al&#x017F;o weder klare Vor&#x017F;tel-<lb/>
lungen, noch merkliches Vergnu&#x0364;gen. Das helle<lb/>
Licht des Mittags im Sommer macht die Ge-<lb/>
gen&#x017F;ta&#x0364;nde gla&#x0364;nzend: aber es blendet, es ermattet;<lb/>
es macht, daß wir die Augen von den Dingen<lb/>
abkehren. Aber das &#x017F;anfte Licht des Abends<lb/>
oder eines &#x017F;cho&#x0364;nen Herb&#x017F;ttages macht eigentlich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B b 2</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[387/0393] uͤber das Intereſſirende. henden Wiſſenſchaften und der verfeinerten Sit- ten bekoͤmmt er mehr Leben, mehr Umſtaͤndlich- keit: aber er bleibt noch beſcheiden, und concis; in dem dritten Zeitraum wird er kuͤhn und uͤber- trieben. Die Erſcheinungen der Leidenſchaft werden zu weitlaͤuftig ausgemahlt, werden mit zu hellen Farben erleuchtet. Homer, Virgil, Lukan, koͤnnen die drey Muſter von dieſen Zeit- altern ſeyn. Es iſt der Erfahrung gemaͤß, daß das ſtaͤrkſte Intereſſe nur da ſtatt findet, wo Wahrheit und Maͤßigung ſich mit einander verei- nigen. Die dunkle Daͤmmerung des Morgens, oder eines truͤben Tages, kann die Gegenſtaͤnde richtig zeigen, aber es erhellt und belebt ſie nicht genug, das Gemuͤth bleibt traͤge, indem es ſie anſieht, und bekoͤmmt alſo weder klare Vorſtel- lungen, noch merkliches Vergnuͤgen. Das helle Licht des Mittags im Sommer macht die Ge- genſtaͤnde glaͤnzend: aber es blendet, es ermattet; es macht, daß wir die Augen von den Dingen abkehren. Aber das ſanfte Licht des Abends oder eines ſchoͤnen Herbſttages macht eigentlich B b 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/393
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/393>, abgerufen am 22.11.2024.