Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.Einige Gedanken sein Gemälde nicht treu und also auch nicht lehr-reich seyn, wenn er uns sehr oft fehlerlose Men- schen vorstellen wollte. Ueberdieß wird er, wenn er vollkommne Menschen schildert, oft bloß nach seiner Einbildungskraft, und nach seiner Idee von Tugend schildern müssen; und diese Idee kann falsch oder mangelhaft seyn, dieser Imagi- nation kann es an Uebereinstimmung der Theile und richtiger Zusammensetzung fehlen; wenn er aber fehlerhafte Menschen schildert, so kann er nach der Natur kopiren; und diese wird ihn we- niger irre führen, oder er wird seine Irrthümer leichter einsehen lernen. Eben deswegen mögen vielleicht vollkommne Charaktere weniger abwech- selnd seyn. Nicht, als wenn es nicht in der Voll- kommenheit eine Manunichfaltigkeit geben könnte: sondern weil uns diese Mannichfaltigkeit weniger bekannt ist; da wir hingegen die Abwechselungen der Laster oder der Thorheiten vor uns sehen. Das Bild von Vollkommenheit, auch des Einzel- nen, hat immer einen Hang zu einem bloß allge- meinen generischen Begriffe; wir wissen nicht, daß Einige Gedanken ſein Gemaͤlde nicht treu und alſo auch nicht lehr-reich ſeyn, wenn er uns ſehr oft fehlerloſe Men- ſchen vorſtellen wollte. Ueberdieß wird er, wenn er vollkommne Menſchen ſchildert, oft bloß nach ſeiner Einbildungskraft, und nach ſeiner Idee von Tugend ſchildern muͤſſen; und dieſe Idee kann falſch oder mangelhaft ſeyn, dieſer Imagi- nation kann es an Uebereinſtimmung der Theile und richtiger Zuſammenſetzung fehlen; wenn er aber fehlerhafte Menſchen ſchildert, ſo kann er nach der Natur kopiren; und dieſe wird ihn we- niger irre fuͤhren, oder er wird ſeine Irrthuͤmer leichter einſehen lernen. Eben deswegen moͤgen vielleicht vollkommne Charaktere weniger abwech- ſelnd ſeyn. Nicht, als wenn es nicht in der Voll- kommenheit eine Manunichfaltigkeit geben koͤnnte: ſondern weil uns dieſe Mannichfaltigkeit weniger bekannt iſt; da wir hingegen die Abwechſelungen der Laſter oder der Thorheiten vor uns ſehen. Das Bild von Vollkommenheit, auch des Einzel- nen, hat immer einen Hang zu einem bloß allge- meinen generiſchen Begriffe; wir wiſſen nicht, daß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0380" n="374"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Einige Gedanken</hi></fw><lb/> ſein Gemaͤlde nicht treu und alſo auch nicht lehr-<lb/> reich ſeyn, wenn er uns ſehr oft fehlerloſe Men-<lb/> ſchen vorſtellen wollte. Ueberdieß wird er, wenn<lb/> er vollkommne Menſchen ſchildert, oft bloß nach<lb/> ſeiner Einbildungskraft, und nach ſeiner Idee<lb/> von Tugend ſchildern muͤſſen; und dieſe Idee<lb/> kann falſch oder mangelhaft ſeyn, dieſer Imagi-<lb/> nation kann es an Uebereinſtimmung der Theile<lb/> und richtiger Zuſammenſetzung fehlen; wenn er<lb/> aber fehlerhafte Menſchen ſchildert, ſo kann er<lb/> nach der Natur kopiren; und dieſe wird ihn we-<lb/> niger irre fuͤhren, oder er wird ſeine Irrthuͤmer<lb/> leichter einſehen lernen. Eben deswegen moͤgen<lb/> vielleicht vollkommne Charaktere weniger abwech-<lb/> ſelnd ſeyn. Nicht, als wenn es nicht in der Voll-<lb/> kommenheit eine Manunichfaltigkeit geben koͤnnte:<lb/> ſondern weil uns dieſe Mannichfaltigkeit weniger<lb/> bekannt iſt; da wir hingegen die Abwechſelungen<lb/> der Laſter oder der Thorheiten vor uns ſehen.<lb/> Das Bild von Vollkommenheit, auch des Einzel-<lb/> nen, hat immer einen Hang zu einem bloß allge-<lb/> meinen generiſchen Begriffe; wir wiſſen nicht, daß<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [374/0380]
Einige Gedanken
ſein Gemaͤlde nicht treu und alſo auch nicht lehr-
reich ſeyn, wenn er uns ſehr oft fehlerloſe Men-
ſchen vorſtellen wollte. Ueberdieß wird er, wenn
er vollkommne Menſchen ſchildert, oft bloß nach
ſeiner Einbildungskraft, und nach ſeiner Idee
von Tugend ſchildern muͤſſen; und dieſe Idee
kann falſch oder mangelhaft ſeyn, dieſer Imagi-
nation kann es an Uebereinſtimmung der Theile
und richtiger Zuſammenſetzung fehlen; wenn er
aber fehlerhafte Menſchen ſchildert, ſo kann er
nach der Natur kopiren; und dieſe wird ihn we-
niger irre fuͤhren, oder er wird ſeine Irrthuͤmer
leichter einſehen lernen. Eben deswegen moͤgen
vielleicht vollkommne Charaktere weniger abwech-
ſelnd ſeyn. Nicht, als wenn es nicht in der Voll-
kommenheit eine Manunichfaltigkeit geben koͤnnte:
ſondern weil uns dieſe Mannichfaltigkeit weniger
bekannt iſt; da wir hingegen die Abwechſelungen
der Laſter oder der Thorheiten vor uns ſehen.
Das Bild von Vollkommenheit, auch des Einzel-
nen, hat immer einen Hang zu einem bloß allge-
meinen generiſchen Begriffe; wir wiſſen nicht, daß
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