Liebe einer heftigen und gegen ihren Gemahl wü- tenden Frau thun wird; das sind wir höchst be- gierig zu wissen, und sind sehr zweifelhaft, es vor- aus zu sagen.
Dieser Streit der Leidenschaften ist auf mehr als eine Art möglich.
Der erste ist zwischen einer alten eingewur- zelten Neigung, und einer neuentstehenden Leiden- schaft, durch welche sie besiegt werden soll. Dieß ist der Fall bey der Eifersucht. Diese Art des Streites ist zu einer Schilderung, zu einer Ent- wickelung der Leidenschaft am vortheilhaftesten. Die Entstehung ist es, welche uns die Natur der Leidenschaft am besten erklärt. Und wo können wir dieser Entstehung zusehen, als wo der Zeit- punkt, wo sie anfängt, merklich ist; und wo kann er merklich seyn, als wo er von dem vorhergehen- den Zustande der Seele sehr absticht? Ueberdieß findet sich der Vortheil, den der Streit der Leiden- schaften dem Dichter leistet, daß er die stummen beredt macht, bey keinem Streite mehr, als wo eine einmal feste Ueberzeugung bestritten, und eine
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uͤber das Intereſſirende.
Liebe einer heftigen und gegen ihren Gemahl wuͤ- tenden Frau thun wird; das ſind wir hoͤchſt be- gierig zu wiſſen, und ſind ſehr zweifelhaft, es vor- aus zu ſagen.
Dieſer Streit der Leidenſchaften iſt auf mehr als eine Art moͤglich.
Der erſte iſt zwiſchen einer alten eingewur- zelten Neigung, und einer neuentſtehenden Leiden- ſchaft, durch welche ſie beſiegt werden ſoll. Dieß iſt der Fall bey der Eiferſucht. Dieſe Art des Streites iſt zu einer Schilderung, zu einer Ent- wickelung der Leidenſchaft am vortheilhafteſten. Die Entſtehung iſt es, welche uns die Natur der Leidenſchaft am beſten erklaͤrt. Und wo koͤnnen wir dieſer Entſtehung zuſehen, als wo der Zeit- punkt, wo ſie anfaͤngt, merklich iſt; und wo kann er merklich ſeyn, als wo er von dem vorhergehen- den Zuſtande der Seele ſehr abſticht? Ueberdieß findet ſich der Vortheil, den der Streit der Leiden- ſchaften dem Dichter leiſtet, daß er die ſtummen beredt macht, bey keinem Streite mehr, als wo eine einmal feſte Ueberzeugung beſtritten, und eine
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uͤber das Intereſſirende.
Liebe einer heftigen und gegen ihren Gemahl wuͤ-
tenden Frau thun wird; das ſind wir hoͤchſt be-
gierig zu wiſſen, und ſind ſehr zweifelhaft, es vor-
aus zu ſagen.
Dieſer Streit der Leidenſchaften iſt auf mehr
als eine Art moͤglich.
Der erſte iſt zwiſchen einer alten eingewur-
zelten Neigung, und einer neuentſtehenden Leiden-
ſchaft, durch welche ſie beſiegt werden ſoll. Dieß
iſt der Fall bey der Eiferſucht. Dieſe Art des
Streites iſt zu einer Schilderung, zu einer Ent-
wickelung der Leidenſchaft am vortheilhafteſten.
Die Entſtehung iſt es, welche uns die Natur der
Leidenſchaft am beſten erklaͤrt. Und wo koͤnnen
wir dieſer Entſtehung zuſehen, als wo der Zeit-
punkt, wo ſie anfaͤngt, merklich iſt; und wo kann
er merklich ſeyn, als wo er von dem vorhergehen-
den Zuſtande der Seele ſehr abſticht? Ueberdieß
findet ſich der Vortheil, den der Streit der Leiden-
ſchaften dem Dichter leiſtet, daß er die ſtummen
beredt macht, bey keinem Streite mehr, als wo
eine einmal feſte Ueberzeugung beſtritten, und eine
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/349>, abgerufen am 22.11.2024.
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