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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

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über das Interessirende.
Stoff ihres Gemäldes: unsre Dichter hingegen
schildern mehr den Roman vor der Ehe, die
Zärtlichkeit des Liebhabers, oder die Eifersucht
der Braut.

Und so bringen es die Sitten der Griechen
und die unsrigen mit sich. Bey den Griechen
gab es keinen solchen Roman. Ihre Töchter
blieben in dem innersten Theile des Hauses, den
Augen aller Mannspersonen, selbst ihres Lieb-
habers verborgen, bis er ihnen als Gemahl zu-
geführt wurde. Eher trat das weibliche Ge-
schlecht nicht auf dem Theater der Welt auf, als
bis es verheurathet war; und auch dann waren
die Besten, die Tugendhaftesten, am wenigsten
sichtbar.

Was also in der menschlichen Natur liegt,
daß die Liebe eine allgemeine und poetische Leiden-
schaft ist, daß sie am Elende und Glückseligkeit
der Menschen und der Familien sehr vielen Theil
hat: das hat Griechen und Franzosen und Deut-
sche auf gleiche Weise dahin gebracht, die Liebe
in ihre Stücke zu bringen, es sey als eine un-

Y

uͤber das Intereſſirende.
Stoff ihres Gemaͤldes: unſre Dichter hingegen
ſchildern mehr den Roman vor der Ehe, die
Zaͤrtlichkeit des Liebhabers, oder die Eiferſucht
der Braut.

Und ſo bringen es die Sitten der Griechen
und die unſrigen mit ſich. Bey den Griechen
gab es keinen ſolchen Roman. Ihre Toͤchter
blieben in dem innerſten Theile des Hauſes, den
Augen aller Mannsperſonen, ſelbſt ihres Lieb-
habers verborgen, bis er ihnen als Gemahl zu-
gefuͤhrt wurde. Eher trat das weibliche Ge-
ſchlecht nicht auf dem Theater der Welt auf, als
bis es verheurathet war; und auch dann waren
die Beſten, die Tugendhafteſten, am wenigſten
ſichtbar.

Was alſo in der menſchlichen Natur liegt,
daß die Liebe eine allgemeine und poetiſche Leiden-
ſchaft iſt, daß ſie am Elende und Gluͤckſeligkeit
der Menſchen und der Familien ſehr vielen Theil
hat: das hat Griechen und Franzoſen und Deut-
ſche auf gleiche Weiſe dahin gebracht, die Liebe
in ihre Stuͤcke zu bringen, es ſey als eine un-

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[337/0343] uͤber das Intereſſirende. Stoff ihres Gemaͤldes: unſre Dichter hingegen ſchildern mehr den Roman vor der Ehe, die Zaͤrtlichkeit des Liebhabers, oder die Eiferſucht der Braut. Und ſo bringen es die Sitten der Griechen und die unſrigen mit ſich. Bey den Griechen gab es keinen ſolchen Roman. Ihre Toͤchter blieben in dem innerſten Theile des Hauſes, den Augen aller Mannsperſonen, ſelbſt ihres Lieb- habers verborgen, bis er ihnen als Gemahl zu- gefuͤhrt wurde. Eher trat das weibliche Ge- ſchlecht nicht auf dem Theater der Welt auf, als bis es verheurathet war; und auch dann waren die Beſten, die Tugendhafteſten, am wenigſten ſichtbar. Was alſo in der menſchlichen Natur liegt, daß die Liebe eine allgemeine und poetiſche Leiden- ſchaft iſt, daß ſie am Elende und Gluͤckſeligkeit der Menſchen und der Familien ſehr vielen Theil hat: das hat Griechen und Franzoſen und Deut- ſche auf gleiche Weiſe dahin gebracht, die Liebe in ihre Stuͤcke zu bringen, es ſey als eine un- Y

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Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/343>, abgerufen am 22.11.2024.