Was die moralische Sympathie betrift, so richtet sich diese nach zwo Sachen; nach dem Charakter der Person, und nach dem Charakter der Leidenschaft, an welcher wir Theil nehmen sollen. Die Person müssen wir lieben oder hoch- achten; die Leidenschaft müssen wir in gewissem Grade billigen. 1) Liebe und Hochachtung gründen sich auf moralische Vollkommenheit, die wir einem Menschen zuschreiben. Aber Hoch- achtung geht auf die moralische Vollkommenheit bloß an sich betrachtet, Liebe auf dieselbe als eine Quelle des Vergnügens oder des Nutzens für uns. Alle Umstände einer Person, gegen welche wir eine dieser beyden Gesinnungen ha- ben, rühren uns mehr, alle ihre Empfindungen nehmen wir leichter an; einmal, weil wir diese Umstände mehr mit den unsrigen verbinden, zum andern, weil wir diese Empfindungen für etwas vollkommners und nachahmungswürdigers hal- ten.
2. Besonders müssen wir die Leidenschaft, welche Sympathie erregen soll, für erlaubt oder
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uͤber das Intereſſirende.
Was die moraliſche Sympathie betrift, ſo richtet ſich dieſe nach zwo Sachen; nach dem Charakter der Perſon, und nach dem Charakter der Leidenſchaft, an welcher wir Theil nehmen ſollen. Die Perſon muͤſſen wir lieben oder hoch- achten; die Leidenſchaft muͤſſen wir in gewiſſem Grade billigen. 1) Liebe und Hochachtung gruͤnden ſich auf moraliſche Vollkommenheit, die wir einem Menſchen zuſchreiben. Aber Hoch- achtung geht auf die moraliſche Vollkommenheit bloß an ſich betrachtet, Liebe auf dieſelbe als eine Quelle des Vergnuͤgens oder des Nutzens fuͤr uns. Alle Umſtaͤnde einer Perſon, gegen welche wir eine dieſer beyden Geſinnungen ha- ben, ruͤhren uns mehr, alle ihre Empfindungen nehmen wir leichter an; einmal, weil wir dieſe Umſtaͤnde mehr mit den unſrigen verbinden, zum andern, weil wir dieſe Empfindungen fuͤr etwas vollkommners und nachahmungswuͤrdigers hal- ten.
2. Beſonders muͤſſen wir die Leidenſchaft, welche Sympathie erregen ſoll, fuͤr erlaubt oder
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uͤber das Intereſſirende.
Was die moraliſche Sympathie betrift, ſo
richtet ſich dieſe nach zwo Sachen; nach dem
Charakter der Perſon, und nach dem Charakter
der Leidenſchaft, an welcher wir Theil nehmen
ſollen. Die Perſon muͤſſen wir lieben oder hoch-
achten; die Leidenſchaft muͤſſen wir in gewiſſem
Grade billigen. 1) Liebe und Hochachtung
gruͤnden ſich auf moraliſche Vollkommenheit, die
wir einem Menſchen zuſchreiben. Aber Hoch-
achtung geht auf die moraliſche Vollkommenheit
bloß an ſich betrachtet, Liebe auf dieſelbe als
eine Quelle des Vergnuͤgens oder des Nutzens
fuͤr uns. Alle Umſtaͤnde einer Perſon, gegen
welche wir eine dieſer beyden Geſinnungen ha-
ben, ruͤhren uns mehr, alle ihre Empfindungen
nehmen wir leichter an; einmal, weil wir dieſe
Umſtaͤnde mehr mit den unſrigen verbinden, zum
andern, weil wir dieſe Empfindungen fuͤr etwas
vollkommners und nachahmungswuͤrdigers hal-
ten.
2. Beſonders muͤſſen wir die Leidenſchaft,
welche Sympathie erregen ſoll, fuͤr erlaubt oder
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/335>, abgerufen am 22.11.2024.
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