Begebenheiten braucht, um uns zu interessiren: so werden wir natürlicher Weise darauf geleitet, daß an der Bearbeitung der Charaktere und der Vorfälle am meisten gelegen ist.
Diejenige Bearbeitung, haben wir gesagt, macht uns die dichterischen Vorstellungen einer Sache interessant, durch welche unsre eignen dun- keln Ideen von derselben getreu wieder erweckt, aber zugleich aufgeklärt oder erweitert werden. Aufgeklärt werden sie, 1) indem wir das, was wir bloß in besondern Fällen zu empfinden wuß- ten, allgemein denken lernen, und die Wahrheit, die in unsern Erfahrungen unter vielem nicht dazu gehörigen Stoffe verborgen lag, rein und abge- sondert unserm Verstande dargestellt sehen; dieß macht das Interesse, welches Sentenzen, und was man überhaupt Philosophie in einem Ge- dichte nennt, am rechten Orte und auf die rechte Weise gebraucht, wirken können; 2) indem das, was wir bloß mit Wörtern und in einem abstrak- ten Satze gefaßt hatten, in einem einzelnen Falle
Einige Gedanken
Begebenheiten braucht, um uns zu intereſſiren: ſo werden wir natuͤrlicher Weiſe darauf geleitet, daß an der Bearbeitung der Charaktere und der Vorfaͤlle am meiſten gelegen iſt.
Diejenige Bearbeitung, haben wir geſagt, macht uns die dichteriſchen Vorſtellungen einer Sache intereſſant, durch welche unſre eignen dun- keln Ideen von derſelben getreu wieder erweckt, aber zugleich aufgeklaͤrt oder erweitert werden. Aufgeklaͤrt werden ſie, 1) indem wir das, was wir bloß in beſondern Faͤllen zu empfinden wuß- ten, allgemein denken lernen, und die Wahrheit, die in unſern Erfahrungen unter vielem nicht dazu gehoͤrigen Stoffe verborgen lag, rein und abge- ſondert unſerm Verſtande dargeſtellt ſehen; dieß macht das Intereſſe, welches Sentenzen, und was man uͤberhaupt Philoſophie in einem Ge- dichte nennt, am rechten Orte und auf die rechte Weiſe gebraucht, wirken koͤnnen; 2) indem das, was wir bloß mit Woͤrtern und in einem abſtrak- ten Satze gefaßt hatten, in einem einzelnen Falle
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Einige Gedanken
Begebenheiten braucht, um uns zu intereſſiren:
ſo werden wir natuͤrlicher Weiſe darauf geleitet,
daß an der Bearbeitung der Charaktere und der
Vorfaͤlle am meiſten gelegen iſt.
Diejenige Bearbeitung, haben wir geſagt,
macht uns die dichteriſchen Vorſtellungen einer
Sache intereſſant, durch welche unſre eignen dun-
keln Ideen von derſelben getreu wieder erweckt,
aber zugleich aufgeklaͤrt oder erweitert werden.
Aufgeklaͤrt werden ſie, 1) indem wir das, was
wir bloß in beſondern Faͤllen zu empfinden wuß-
ten, allgemein denken lernen, und die Wahrheit,
die in unſern Erfahrungen unter vielem nicht dazu
gehoͤrigen Stoffe verborgen lag, rein und abge-
ſondert unſerm Verſtande dargeſtellt ſehen; dieß
macht das Intereſſe, welches Sentenzen, und
was man uͤberhaupt Philoſophie in einem Ge-
dichte nennt, am rechten Orte und auf die rechte
Weiſe gebraucht, wirken koͤnnen; 2) indem das,
was wir bloß mit Woͤrtern und in einem abſtrak-
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/300>, abgerufen am 22.11.2024.
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