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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

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Anmerkungen über Gellerts Moral,
machte. Er redete mit den Königen ohne Schüch-
ternheit; er fürchtete den Tod weit mehr in seinen
leichtern Zufällen, als in seiner lezten Krankheit.
Aber in dem gewöhnlichen Laufe seines Lebens,
wenn ihn nichts zu einer außerordentlichen An-
strengung aufforderte, beunruhigten ihn auch
kleine Uebel; und er erschrak vor Schwierigkeiten,
zu deren Ueberwindung er nur Entschließung ge-
braucht hätte.

Diese Furchtsamkeit entfernte ihn, auf der
einen Seite, von allen Arten weitläuftiger Un-
ternehmungen, tödtete seinen Ehrgeiz, führte ihn
mehr auf sich selbst zurück, und vermehrte also
seine persönliche Vollkommenheit, indem sie eine
Menge andrer Bestrebungen, die ihn von seiner
Besserung zerstreut haben würden, verhinderte;
auf der andern ließ sie ihn nicht zu dem Grade
der Heiterkeit der Seele und der Fröhlichkeit
kommen, die die Belohnung der Tugend seyn
soll.

Die Aufmerksamkeit auf sich selbst hat, sie
mag auf den Körper oder auf die Seele gerichtet

Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,
machte. Er redete mit den Koͤnigen ohne Schuͤch-
ternheit; er fuͤrchtete den Tod weit mehr in ſeinen
leichtern Zufaͤllen, als in ſeiner lezten Krankheit.
Aber in dem gewoͤhnlichen Laufe ſeines Lebens,
wenn ihn nichts zu einer außerordentlichen An-
ſtrengung aufforderte, beunruhigten ihn auch
kleine Uebel; und er erſchrak vor Schwierigkeiten,
zu deren Ueberwindung er nur Entſchließung ge-
braucht haͤtte.

Dieſe Furchtſamkeit entfernte ihn, auf der
einen Seite, von allen Arten weitlaͤuftiger Un-
ternehmungen, toͤdtete ſeinen Ehrgeiz, fuͤhrte ihn
mehr auf ſich ſelbſt zuruͤck, und vermehrte alſo
ſeine perſoͤnliche Vollkommenheit, indem ſie eine
Menge andrer Beſtrebungen, die ihn von ſeiner
Beſſerung zerſtreut haben wuͤrden, verhinderte;
auf der andern ließ ſie ihn nicht zu dem Grade
der Heiterkeit der Seele und der Froͤhlichkeit
kommen, die die Belohnung der Tugend ſeyn
ſoll.

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mag auf den Koͤrper oder auf die Seele gerichtet

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[242/0248] Anmerkungen uͤber Gellerts Moral, machte. Er redete mit den Koͤnigen ohne Schuͤch- ternheit; er fuͤrchtete den Tod weit mehr in ſeinen leichtern Zufaͤllen, als in ſeiner lezten Krankheit. Aber in dem gewoͤhnlichen Laufe ſeines Lebens, wenn ihn nichts zu einer außerordentlichen An- ſtrengung aufforderte, beunruhigten ihn auch kleine Uebel; und er erſchrak vor Schwierigkeiten, zu deren Ueberwindung er nur Entſchließung ge- braucht haͤtte. Dieſe Furchtſamkeit entfernte ihn, auf der einen Seite, von allen Arten weitlaͤuftiger Un- ternehmungen, toͤdtete ſeinen Ehrgeiz, fuͤhrte ihn mehr auf ſich ſelbſt zuruͤck, und vermehrte alſo ſeine perſoͤnliche Vollkommenheit, indem ſie eine Menge andrer Beſtrebungen, die ihn von ſeiner Beſſerung zerſtreut haben wuͤrden, verhinderte; auf der andern ließ ſie ihn nicht zu dem Grade der Heiterkeit der Seele und der Froͤhlichkeit kommen, die die Belohnung der Tugend ſeyn ſoll. Die Aufmerkſamkeit auf ſich ſelbſt hat, ſie mag auf den Koͤrper oder auf die Seele gerichtet

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Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/248>, abgerufen am 22.11.2024.