Hauptwerk ihm so unendlich wichtig war, keine Aenderung wollte gemacht wissen. Der beschei- dene Gebrauch seiner Vernunft machte, daß er die Nachforschungen entweder nicht dahin zu trei- ben sich erlaubte, wo die Schwierigkeiten anfan- gen; oder daß er die einmal empfundene Gewiß- heit mehr bey sich gelten ließ, als alle nachfolgen- de Zweifel.
Was aber noch mehr werth ist, als der bloße Glaube an gewisse Lehren: Gellert machte aus der Religion die vornehmste Triebfeder seiner Thätigkeit. Seine Betrachtungen in der Ein- samkeit, seine Gespräche in der Gesellschaft, sein Unterricht in seinen Lehrstunden, seine Schriften, seine Briefe, seine Arbeiten und seine Erholungen, alles war mit dem Geiste dieser Religion erfüllt, alles hatte die Absicht, ihre Kraft bey ihm selbst zu verstärken, oder ihren Einfluß bey andern aus- zubreiten. Nur in einer nicht gemeinen Seele kann irgend ein allgemeines Principium so herr- schend werden, daß es auf alle Umstände und Zei- ten des Lebens einen Einfluß habe; und nur bey
Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,
Hauptwerk ihm ſo unendlich wichtig war, keine Aenderung wollte gemacht wiſſen. Der beſchei- dene Gebrauch ſeiner Vernunft machte, daß er die Nachforſchungen entweder nicht dahin zu trei- ben ſich erlaubte, wo die Schwierigkeiten anfan- gen; oder daß er die einmal empfundene Gewiß- heit mehr bey ſich gelten ließ, als alle nachfolgen- de Zweifel.
Was aber noch mehr werth iſt, als der bloße Glaube an gewiſſe Lehren: Gellert machte aus der Religion die vornehmſte Triebfeder ſeiner Thaͤtigkeit. Seine Betrachtungen in der Ein- ſamkeit, ſeine Geſpraͤche in der Geſellſchaft, ſein Unterricht in ſeinen Lehrſtunden, ſeine Schriften, ſeine Briefe, ſeine Arbeiten und ſeine Erholungen, alles war mit dem Geiſte dieſer Religion erfuͤllt, alles hatte die Abſicht, ihre Kraft bey ihm ſelbſt zu verſtaͤrken, oder ihren Einfluß bey andern aus- zubreiten. Nur in einer nicht gemeinen Seele kann irgend ein allgemeines Principium ſo herr- ſchend werden, daß es auf alle Umſtaͤnde und Zei- ten des Lebens einen Einfluß habe; und nur bey
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Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,
Hauptwerk ihm ſo unendlich wichtig war, keine
Aenderung wollte gemacht wiſſen. Der beſchei-
dene Gebrauch ſeiner Vernunft machte, daß er
die Nachforſchungen entweder nicht dahin zu trei-
ben ſich erlaubte, wo die Schwierigkeiten anfan-
gen; oder daß er die einmal empfundene Gewiß-
heit mehr bey ſich gelten ließ, als alle nachfolgen-
de Zweifel.
Was aber noch mehr werth iſt, als der bloße
Glaube an gewiſſe Lehren: Gellert machte aus
der Religion die vornehmſte Triebfeder ſeiner
Thaͤtigkeit. Seine Betrachtungen in der Ein-
ſamkeit, ſeine Geſpraͤche in der Geſellſchaft, ſein
Unterricht in ſeinen Lehrſtunden, ſeine Schriften,
ſeine Briefe, ſeine Arbeiten und ſeine Erholungen,
alles war mit dem Geiſte dieſer Religion erfuͤllt,
alles hatte die Abſicht, ihre Kraft bey ihm ſelbſt
zu verſtaͤrken, oder ihren Einfluß bey andern aus-
zubreiten. Nur in einer nicht gemeinen Seele
kann irgend ein allgemeines Principium ſo herr-
ſchend werden, daß es auf alle Umſtaͤnde und Zei-
ten des Lebens einen Einfluß habe; und nur bey
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/246>, abgerufen am 22.11.2024.
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