ständig, und für ihn, zum besten Gebrauche sei- ner Talente, hinreichend. Er war, besonders in den letzten Jahren seines Lebens, einer strengen und anhaltenden Aufmerksamkeit nicht fähig. Ue- berdieß schränkten sich seine Absichten immer mehr auf seine moralische Vollkommenheit ein. Selbst die Beschaffenheit seines Geistes machte, daß nur wenig Bücher von ihm mit großer Begierde gele- sen werden konnten. Dem Geiste, der selbst thä- tig seyn kann, wird es immer schwer, sich bloß von Andern beschäfstigen zu lassen. Das Genie bringt lieber Ideen hervor, als daß es sich die- selben mittheilen läßt. Ueberdieß giebt die Leb- haftigkeit der Einbildungskraft und der Empfin- dung dem Menschen eine gewisse Unruhe, die sich mit dem stillsitzenden Fleiße des unermüdeten Bü- cherlesens wenig verträgt. Wenn aber Gelehr- samkeit so viel heißt, als ein aufgeklärter und be- reicherter Geist; so hatte sie Gellert in dem vor- züglichsten Grade.
In seinen Schriften herrschet noch außer allen diesen Fähigkeiten eine so einnehmende Munterkeit,
Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,
ſtaͤndig, und fuͤr ihn, zum beſten Gebrauche ſei- ner Talente, hinreichend. Er war, beſonders in den letzten Jahren ſeines Lebens, einer ſtrengen und anhaltenden Aufmerkſamkeit nicht faͤhig. Ue- berdieß ſchraͤnkten ſich ſeine Abſichten immer mehr auf ſeine moraliſche Vollkommenheit ein. Selbſt die Beſchaffenheit ſeines Geiſtes machte, daß nur wenig Buͤcher von ihm mit großer Begierde gele- ſen werden konnten. Dem Geiſte, der ſelbſt thaͤ- tig ſeyn kann, wird es immer ſchwer, ſich bloß von Andern beſchaͤfſtigen zu laſſen. Das Genie bringt lieber Ideen hervor, als daß es ſich die- ſelben mittheilen laͤßt. Ueberdieß giebt die Leb- haftigkeit der Einbildungskraft und der Empfin- dung dem Menſchen eine gewiſſe Unruhe, die ſich mit dem ſtillſitzenden Fleiße des unermuͤdeten Buͤ- cherleſens wenig vertraͤgt. Wenn aber Gelehr- ſamkeit ſo viel heißt, als ein aufgeklaͤrter und be- reicherter Geiſt; ſo hatte ſie Gellert in dem vor- zuͤglichſten Grade.
In ſeinen Schriften herrſchet noch außer allen dieſen Faͤhigkeiten eine ſo einnehmende Munterkeit,
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Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,
ſtaͤndig, und fuͤr ihn, zum beſten Gebrauche ſei-
ner Talente, hinreichend. Er war, beſonders in
den letzten Jahren ſeines Lebens, einer ſtrengen
und anhaltenden Aufmerkſamkeit nicht faͤhig. Ue-
berdieß ſchraͤnkten ſich ſeine Abſichten immer mehr
auf ſeine moraliſche Vollkommenheit ein. Selbſt
die Beſchaffenheit ſeines Geiſtes machte, daß nur
wenig Buͤcher von ihm mit großer Begierde gele-
ſen werden konnten. Dem Geiſte, der ſelbſt thaͤ-
tig ſeyn kann, wird es immer ſchwer, ſich bloß
von Andern beſchaͤfſtigen zu laſſen. Das Genie
bringt lieber Ideen hervor, als daß es ſich die-
ſelben mittheilen laͤßt. Ueberdieß giebt die Leb-
haftigkeit der Einbildungskraft und der Empfin-
dung dem Menſchen eine gewiſſe Unruhe, die ſich
mit dem ſtillſitzenden Fleiße des unermuͤdeten Buͤ-
cherleſens wenig vertraͤgt. Wenn aber Gelehr-
ſamkeit ſo viel heißt, als ein aufgeklaͤrter und be-
reicherter Geiſt; ſo hatte ſie Gellert in dem vor-
zuͤglichſten Grade.
In ſeinen Schriften herrſchet noch außer allen
dieſen Faͤhigkeiten eine ſo einnehmende Munterkeit,
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/238>, abgerufen am 16.02.2025.
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