Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

dessen Schriften und Charakter.
Denn, sich ein Vergnügen zu versagen, das man
sich jetzt eben nach allen verschönernden Umstän-
den vorstellt; oder eine Beschwerde zu überneh-
men, deren finsteres Gemälde jetzt eben die Ein-
bildungskraft einnimmt: das steht nicht in des
Menschen Macht. Die Regel sagt also: Wer über
seine Leidenschaften herrschen will, muß erst über
seine Einbildungskraft Herr werden; er muß den-
ken können, was er will; muß durch den königli-
chen Befehl seiner Vernunft seine Aufmerksamkeit
auf diejenige Sache und auf denjenigen Theil
und Umstand der Sache richten können, der sei-
ner Absicht gemäß ist. Das wird wieder andere
Hülfsmittel voraussetzen, und unter diesen fallen
die beiden folgenden am meisten in die Augen:
1) Man muß seinen Verstand und seine Einbil-
dungskraft mit so viel wichtigen und einnehmen-
den Begriffen und Bildern anzufüllen suchen, als
man kann. Man muß denken lernen. Nur als-
dann kann die Aufmerksamkeit von einem Gegen-
stande abgezogen werden, wenn man einen an-
dern gleich bey der Hand hat, der sie eben so stark

O 3

deſſen Schriften und Charakter.
Denn, ſich ein Vergnuͤgen zu verſagen, das man
ſich jetzt eben nach allen verſchoͤnernden Umſtaͤn-
den vorſtellt; oder eine Beſchwerde zu uͤberneh-
men, deren finſteres Gemaͤlde jetzt eben die Ein-
bildungskraft einnimmt: das ſteht nicht in des
Menſchen Macht. Die Regel ſagt alſo: Wer uͤber
ſeine Leidenſchaften herrſchen will, muß erſt uͤber
ſeine Einbildungskraft Herr werden; er muß den-
ken koͤnnen, was er will; muß durch den koͤnigli-
chen Befehl ſeiner Vernunft ſeine Aufmerkſamkeit
auf diejenige Sache und auf denjenigen Theil
und Umſtand der Sache richten koͤnnen, der ſei-
ner Abſicht gemaͤß iſt. Das wird wieder andere
Huͤlfsmittel vorausſetzen, und unter dieſen fallen
die beiden folgenden am meiſten in die Augen:
1) Man muß ſeinen Verſtand und ſeine Einbil-
dungskraft mit ſo viel wichtigen und einnehmen-
den Begriffen und Bildern anzufuͤllen ſuchen, als
man kann. Man muß denken lernen. Nur als-
dann kann die Aufmerkſamkeit von einem Gegen-
ſtande abgezogen werden, wenn man einen an-
dern gleich bey der Hand hat, der ſie eben ſo ſtark

O 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0219" n="213"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">de&#x017F;&#x017F;en Schriften und Charakter.</hi></fw><lb/>
Denn, &#x017F;ich ein Vergnu&#x0364;gen zu ver&#x017F;agen, das man<lb/>
&#x017F;ich jetzt eben nach allen ver&#x017F;cho&#x0364;nernden Um&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
den vor&#x017F;tellt; oder eine Be&#x017F;chwerde zu u&#x0364;berneh-<lb/>
men, deren fin&#x017F;teres Gema&#x0364;lde jetzt eben die Ein-<lb/>
bildungskraft einnimmt: das &#x017F;teht nicht in des<lb/>
Men&#x017F;chen Macht. Die Regel &#x017F;agt al&#x017F;o: Wer u&#x0364;ber<lb/>
&#x017F;eine Leiden&#x017F;chaften herr&#x017F;chen will, muß er&#x017F;t u&#x0364;ber<lb/>
&#x017F;eine Einbildungskraft Herr werden; er muß den-<lb/>
ken ko&#x0364;nnen, was er will; muß durch den ko&#x0364;nigli-<lb/>
chen Befehl &#x017F;einer Vernunft &#x017F;eine Aufmerk&#x017F;amkeit<lb/>
auf diejenige Sache und auf denjenigen Theil<lb/>
und Um&#x017F;tand der Sache richten ko&#x0364;nnen, der &#x017F;ei-<lb/>
ner Ab&#x017F;icht gema&#x0364;ß i&#x017F;t. Das wird wieder andere<lb/>
Hu&#x0364;lfsmittel voraus&#x017F;etzen, und unter die&#x017F;en fallen<lb/>
die beiden folgenden am mei&#x017F;ten in die Augen:<lb/>
1) Man muß &#x017F;einen Ver&#x017F;tand und &#x017F;eine Einbil-<lb/>
dungskraft mit &#x017F;o viel wichtigen und einnehmen-<lb/>
den Begriffen und Bildern anzufu&#x0364;llen &#x017F;uchen, als<lb/>
man kann. Man muß denken lernen. Nur als-<lb/>
dann kann die Aufmerk&#x017F;amkeit von einem Gegen-<lb/>
&#x017F;tande abgezogen werden, wenn man einen an-<lb/>
dern gleich bey der Hand hat, der &#x017F;ie eben &#x017F;o &#x017F;tark<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O 3</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0219] deſſen Schriften und Charakter. Denn, ſich ein Vergnuͤgen zu verſagen, das man ſich jetzt eben nach allen verſchoͤnernden Umſtaͤn- den vorſtellt; oder eine Beſchwerde zu uͤberneh- men, deren finſteres Gemaͤlde jetzt eben die Ein- bildungskraft einnimmt: das ſteht nicht in des Menſchen Macht. Die Regel ſagt alſo: Wer uͤber ſeine Leidenſchaften herrſchen will, muß erſt uͤber ſeine Einbildungskraft Herr werden; er muß den- ken koͤnnen, was er will; muß durch den koͤnigli- chen Befehl ſeiner Vernunft ſeine Aufmerkſamkeit auf diejenige Sache und auf denjenigen Theil und Umſtand der Sache richten koͤnnen, der ſei- ner Abſicht gemaͤß iſt. Das wird wieder andere Huͤlfsmittel vorausſetzen, und unter dieſen fallen die beiden folgenden am meiſten in die Augen: 1) Man muß ſeinen Verſtand und ſeine Einbil- dungskraft mit ſo viel wichtigen und einnehmen- den Begriffen und Bildern anzufuͤllen ſuchen, als man kann. Man muß denken lernen. Nur als- dann kann die Aufmerkſamkeit von einem Gegen- ſtande abgezogen werden, wenn man einen an- dern gleich bey der Hand hat, der ſie eben ſo ſtark O 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/219
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/219>, abgerufen am 22.11.2024.