Man hat aber nicht so wohl ihn kennen zu lernen, als die Fehler, zu denen er verleiten kann. Die falsche Anwendung von Scharfsinn ist Spitzfin- digkeit, und besteht in der Entdeckung nichtswür- diger oder falscher Unterschiede.
Das frühzeitigste und beynahe das sicherste Zeichen des Scharfsinns ist ein richtiger Gebrauch der Sprache. Jede Sprache hat eine Menge Wörter und Ausdrücke, die im Hauptbegriffe übereinkommen, aber sich doch durch so bestimmte und ausgemachte Nebenbegriffe unterscheiden, daß es wenig Fälle giebt, wo der Gebrauch der- selben ganz gleichgültig wäre. Diesen Unterschied genau zu bemerken, und aus der Natur und der Verbindung der übrigen Begriffe zu beurtheilen, welcher von diesen Unterschieden hier nothwendig oder wenigstens schicklich sey, das kann nur der Scharfsinn; und eben dieses ist es, was die Ge- nauigkeit im Ausdrucke ausmacht. Leute, die selbst den Werth jedes Worts und den Gedanken jeder Rede genau wissen, werden leicht an jungen Leuten diese Verschiedenheit bemerken. Einige sa-
der Faͤhigkeiten.
Man hat aber nicht ſo wohl ihn kennen zu lernen, als die Fehler, zu denen er verleiten kann. Die falſche Anwendung von Scharfſinn iſt Spitzfin- digkeit, und beſteht in der Entdeckung nichtswuͤr- diger oder falſcher Unterſchiede.
Das fruͤhzeitigſte und beynahe das ſicherſte Zeichen des Scharfſinns iſt ein richtiger Gebrauch der Sprache. Jede Sprache hat eine Menge Woͤrter und Ausdruͤcke, die im Hauptbegriffe uͤbereinkommen, aber ſich doch durch ſo beſtimmte und ausgemachte Nebenbegriffe unterſcheiden, daß es wenig Faͤlle giebt, wo der Gebrauch der- ſelben ganz gleichguͤltig waͤre. Dieſen Unterſchied genau zu bemerken, und aus der Natur und der Verbindung der uͤbrigen Begriffe zu beurtheilen, welcher von dieſen Unterſchieden hier nothwendig oder wenigſtens ſchicklich ſey, das kann nur der Scharfſinn; und eben dieſes iſt es, was die Ge- nauigkeit im Ausdrucke ausmacht. Leute, die ſelbſt den Werth jedes Worts und den Gedanken jeder Rede genau wiſſen, werden leicht an jungen Leuten dieſe Verſchiedenheit bemerken. Einige ſa-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0101"n="95"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">der Faͤhigkeiten.</hi></fw><lb/>
Man hat aber nicht ſo wohl ihn kennen zu lernen,<lb/>
als die Fehler, zu denen er verleiten kann. Die<lb/>
falſche Anwendung von Scharfſinn iſt Spitzfin-<lb/>
digkeit, und beſteht in der Entdeckung nichtswuͤr-<lb/>
diger oder falſcher Unterſchiede.</p><lb/><p>Das fruͤhzeitigſte und beynahe das ſicherſte<lb/>
Zeichen des Scharfſinns iſt ein richtiger Gebrauch<lb/>
der Sprache. Jede Sprache hat eine Menge<lb/>
Woͤrter und Ausdruͤcke, die im Hauptbegriffe<lb/>
uͤbereinkommen, aber ſich doch durch ſo beſtimmte<lb/>
und ausgemachte Nebenbegriffe unterſcheiden,<lb/>
daß es wenig Faͤlle giebt, wo der Gebrauch der-<lb/>ſelben ganz gleichguͤltig waͤre. Dieſen Unterſchied<lb/>
genau zu bemerken, und aus der Natur und der<lb/>
Verbindung der uͤbrigen Begriffe zu beurtheilen,<lb/>
welcher von dieſen Unterſchieden hier nothwendig<lb/>
oder wenigſtens ſchicklich ſey, das kann nur der<lb/>
Scharfſinn; und eben dieſes iſt es, was die Ge-<lb/>
nauigkeit im Ausdrucke ausmacht. Leute, die<lb/>ſelbſt den Werth jedes Worts und den Gedanken<lb/>
jeder Rede genau wiſſen, werden leicht an jungen<lb/>
Leuten dieſe Verſchiedenheit bemerken. Einige ſa-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[95/0101]
der Faͤhigkeiten.
Man hat aber nicht ſo wohl ihn kennen zu lernen,
als die Fehler, zu denen er verleiten kann. Die
falſche Anwendung von Scharfſinn iſt Spitzfin-
digkeit, und beſteht in der Entdeckung nichtswuͤr-
diger oder falſcher Unterſchiede.
Das fruͤhzeitigſte und beynahe das ſicherſte
Zeichen des Scharfſinns iſt ein richtiger Gebrauch
der Sprache. Jede Sprache hat eine Menge
Woͤrter und Ausdruͤcke, die im Hauptbegriffe
uͤbereinkommen, aber ſich doch durch ſo beſtimmte
und ausgemachte Nebenbegriffe unterſcheiden,
daß es wenig Faͤlle giebt, wo der Gebrauch der-
ſelben ganz gleichguͤltig waͤre. Dieſen Unterſchied
genau zu bemerken, und aus der Natur und der
Verbindung der uͤbrigen Begriffe zu beurtheilen,
welcher von dieſen Unterſchieden hier nothwendig
oder wenigſtens ſchicklich ſey, das kann nur der
Scharfſinn; und eben dieſes iſt es, was die Ge-
nauigkeit im Ausdrucke ausmacht. Leute, die
ſelbſt den Werth jedes Worts und den Gedanken
jeder Rede genau wiſſen, werden leicht an jungen
Leuten dieſe Verſchiedenheit bemerken. Einige ſa-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/101>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.