stimmte mir den Tag ihres Todes acht Tage zum vor- aus, obschon ich ihr noch sechs Wochen Frist versprach. Zu Ende des achten Tages berstete ihr ein Eiterbeutel, an dem sie erstickte. Nach langem Forschen gestand mir ihre Mutter, daß der Beichtvater auf ihr drin- gendes Bitten, ihr die acht Tage vorgesagt habe. Ob nun dieser Mann eine genauere Kenntniß von der Ge- fahr hatte, als ich; ob die angstvolle Erwartung das Bersten des Eiterbeutels befördert habe; oder ob er blos zufällig geborsten sey, ist nun gleichgültig. Ein Bischen Hang zum Wunderbaren hätte Stoff genug ge- habt, diese Geschichte als ein Beyspiel einer Vorher- sehung aufzustellen. Die Frau, deren Krankengeschich- te im 2 Kap. erzählt wird, verharrte, vom ersten Tag ihrer Krankheit bis den zwölften, darauf, daß sie den eilften sterben müsse. -- Sie kam dennoch davon.
Wie entschuldigt man aber die Seele, wenn sie unmögliche, ungereimte Dinge vorsieht? -- Franz Jestel, ein 36 jähriger Mann, der schon einigemal Blutspeyen hatte, und überhaupt zur Lungensucht ge- baut war, bekam im Jänner 1791 nach lang anhal- tendem naßkaltem Wetter allerley Unpäßlichkeiten, und sein gewöhnliches Blutspeyen, weßwegen er sich zur Ader ließ, aber schlimmer wurde. Den sechsten Tag sah ich ihn zum erstenmal, und fand außer einem aus- setzenden Pulse und einer schmächtigen Leibesbeschaf- fenheit eigentlich nichts bedenkliches, als daß er un- gewöhnlich matt war. Den achten Tag auf die Nacht verfiel er in eine ihm unbeschreibliche Verlegenheit. Er war sich ganz gegenwärtig, konnte sich des Ver-
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ſtimmte mir den Tag ihres Todes acht Tage zum vor- aus, obſchon ich ihr noch ſechs Wochen Friſt verſprach. Zu Ende des achten Tages berſtete ihr ein Eiterbeutel, an dem ſie erſtickte. Nach langem Forſchen geſtand mir ihre Mutter, daß der Beichtvater auf ihr drin- gendes Bitten, ihr die acht Tage vorgeſagt habe. Ob nun dieſer Mann eine genauere Kenntniß von der Ge- fahr hatte, als ich; ob die angſtvolle Erwartung das Berſten des Eiterbeutels befoͤrdert habe; oder ob er blos zufaͤllig geborſten ſey, iſt nun gleichguͤltig. Ein Bischen Hang zum Wunderbaren haͤtte Stoff genug ge- habt, dieſe Geſchichte als ein Beyſpiel einer Vorher- ſehung aufzuſtellen. Die Frau, deren Krankengeſchich- te im 2 Kap. erzaͤhlt wird, verharrte, vom erſten Tag ihrer Krankheit bis den zwoͤlften, darauf, daß ſie den eilften ſterben muͤſſe. — Sie kam dennoch davon.
Wie entſchuldigt man aber die Seele, wenn ſie unmoͤgliche, ungereimte Dinge vorſieht? — Franz Jeſtel, ein 36 jaͤhriger Mann, der ſchon einigemal Blutſpeyen hatte, und uͤberhaupt zur Lungenſucht ge- baut war, bekam im Jaͤnner 1791 nach lang anhal- tendem naßkaltem Wetter allerley Unpaͤßlichkeiten, und ſein gewoͤhnliches Blutſpeyen, weßwegen er ſich zur Ader ließ, aber ſchlimmer wurde. Den ſechſten Tag ſah ich ihn zum erſtenmal, und fand außer einem aus- ſetzenden Pulſe und einer ſchmaͤchtigen Leibesbeſchaf- fenheit eigentlich nichts bedenkliches, als daß er un- gewoͤhnlich matt war. Den achten Tag auf die Nacht verfiel er in eine ihm unbeſchreibliche Verlegenheit. Er war ſich ganz gegenwaͤrtig, konnte ſich des Ver-
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ſtimmte mir den Tag ihres Todes acht Tage zum vor-
aus, obſchon ich ihr noch ſechs Wochen Friſt verſprach.
Zu Ende des achten Tages berſtete ihr ein Eiterbeutel,
an dem ſie erſtickte. Nach langem Forſchen geſtand
mir ihre Mutter, daß der Beichtvater auf ihr drin-
gendes Bitten, ihr die acht Tage vorgeſagt habe. Ob
nun dieſer Mann eine genauere Kenntniß von der Ge-
fahr hatte, als ich; ob die angſtvolle Erwartung das
Berſten des Eiterbeutels befoͤrdert habe; oder ob er
blos zufaͤllig geborſten ſey, iſt nun gleichguͤltig. Ein
Bischen Hang zum Wunderbaren haͤtte Stoff genug ge-
habt, dieſe Geſchichte als ein Beyſpiel einer Vorher-
ſehung aufzuſtellen. Die Frau, deren Krankengeſchich-
te im 2 Kap. erzaͤhlt wird, verharrte, vom erſten Tag
ihrer Krankheit bis den zwoͤlften, darauf, daß ſie den
eilften ſterben muͤſſe. — Sie kam dennoch davon.
Wie entſchuldigt man aber die Seele, wenn
ſie unmoͤgliche, ungereimte Dinge vorſieht? — Franz
Jeſtel, ein 36 jaͤhriger Mann, der ſchon einigemal
Blutſpeyen hatte, und uͤberhaupt zur Lungenſucht ge-
baut war, bekam im Jaͤnner 1791 nach lang anhal-
tendem naßkaltem Wetter allerley Unpaͤßlichkeiten, und
ſein gewoͤhnliches Blutſpeyen, weßwegen er ſich zur
Ader ließ, aber ſchlimmer wurde. Den ſechſten Tag
ſah ich ihn zum erſtenmal, und fand außer einem aus-
ſetzenden Pulſe und einer ſchmaͤchtigen Leibesbeſchaf-
fenheit eigentlich nichts bedenkliches, als daß er un-
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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/82>, abgerufen am 24.11.2024.
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