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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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Krankheit und ihres Verlaufes viele Einsicht erfordert
wird, um zu bestimmen, was der Natur, und was
der Kunst angehöre.

§. 117.

Das Wichtigste, worauf man bey Anwendung
der künstlichen Heilmittel zu sehen hat, ist, daß sie der
Natur und dem Grade der Krankheit, und dem Krank-
heitsstoffe angemessen seyn müssen. Gelinde Krank-
heiten müssen gelind, heftige und hartnäckige mit klu-
gem Muthe angegriffen werden. Diese bleiben bey
einer zu unwirksamen Heilart unverändert; und jene
werden durch eine zu wirksame aus ihrer Ordnung ge-
bracht, verwickelt und schwerer, oder unheilbar ge-
macht. Den Ueberfluß des Blutes, und alle daher
entstandenen Uebel muß man nicht durch Brech- und
Abführungsmittel behandeln; die Galle, und ihre Zu-
fälle, sie mögen ein Rothlaufen, eine Ruhr, ein Blut-
speyen, eine Halsbräune, ein Seitenstich u. s. w. seyn,
können nicht durch Blutausleerungen behandelt wer-
den. Bey scharfer, wässerichter, beweglicher Galle
thun säuerlichte Abführungsmittel aus Tamarinden
und den Salzen alles, was man wünschen kann. Aber
wo das gallichte Wesen verdickt, mit zähem Schlei-
me und Kleister eine undurchdringliche Masse ausmacht,
da wird man mit dergleichen Mitteln wohl den Ma-
gen und die Gedärme ihrer Säfte berauben, aber den
zähen Unrath ehe verschlimmert als verbessert in sei-
nen Winkeln liegen lassen. Tissot ahmte hierin den
Hippokrates nach, und gab überall, wo zäher Gall-

stoff

Krankheit und ihres Verlaufes viele Einſicht erfordert
wird, um zu beſtimmen, was der Natur, und was
der Kunſt angehoͤre.

§. 117.

Das Wichtigſte, worauf man bey Anwendung
der kuͤnſtlichen Heilmittel zu ſehen hat, iſt, daß ſie der
Natur und dem Grade der Krankheit, und dem Krank-
heitsſtoffe angemeſſen ſeyn muͤſſen. Gelinde Krank-
heiten muͤſſen gelind, heftige und hartnaͤckige mit klu-
gem Muthe angegriffen werden. Dieſe bleiben bey
einer zu unwirkſamen Heilart unveraͤndert; und jene
werden durch eine zu wirkſame aus ihrer Ordnung ge-
bracht, verwickelt und ſchwerer, oder unheilbar ge-
macht. Den Ueberfluß des Blutes, und alle daher
entſtandenen Uebel muß man nicht durch Brech- und
Abfuͤhrungsmittel behandeln; die Galle, und ihre Zu-
faͤlle, ſie moͤgen ein Rothlaufen, eine Ruhr, ein Blut-
ſpeyen, eine Halsbraͤune, ein Seitenſtich u. ſ. w. ſeyn,
koͤnnen nicht durch Blutausleerungen behandelt wer-
den. Bey ſcharfer, waͤſſerichter, beweglicher Galle
thun ſaͤuerlichte Abfuͤhrungsmittel aus Tamarinden
und den Salzen alles, was man wuͤnſchen kann. Aber
wo das gallichte Weſen verdickt, mit zaͤhem Schlei-
me und Kleiſter eine undurchdringliche Maſſe ausmacht,
da wird man mit dergleichen Mitteln wohl den Ma-
gen und die Gedaͤrme ihrer Saͤfte berauben, aber den
zaͤhen Unrath ehe verſchlimmert als verbeſſert in ſei-
nen Winkeln liegen laſſen. Tiſſot ahmte hierin den
Hippokrates nach, und gab uͤberall, wo zaͤher Gall-

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[683/0702] Krankheit und ihres Verlaufes viele Einſicht erfordert wird, um zu beſtimmen, was der Natur, und was der Kunſt angehoͤre. §. 117. Das Wichtigſte, worauf man bey Anwendung der kuͤnſtlichen Heilmittel zu ſehen hat, iſt, daß ſie der Natur und dem Grade der Krankheit, und dem Krank- heitsſtoffe angemeſſen ſeyn muͤſſen. Gelinde Krank- heiten muͤſſen gelind, heftige und hartnaͤckige mit klu- gem Muthe angegriffen werden. Dieſe bleiben bey einer zu unwirkſamen Heilart unveraͤndert; und jene werden durch eine zu wirkſame aus ihrer Ordnung ge- bracht, verwickelt und ſchwerer, oder unheilbar ge- macht. Den Ueberfluß des Blutes, und alle daher entſtandenen Uebel muß man nicht durch Brech- und Abfuͤhrungsmittel behandeln; die Galle, und ihre Zu- faͤlle, ſie moͤgen ein Rothlaufen, eine Ruhr, ein Blut- ſpeyen, eine Halsbraͤune, ein Seitenſtich u. ſ. w. ſeyn, koͤnnen nicht durch Blutausleerungen behandelt wer- den. Bey ſcharfer, waͤſſerichter, beweglicher Galle thun ſaͤuerlichte Abfuͤhrungsmittel aus Tamarinden und den Salzen alles, was man wuͤnſchen kann. Aber wo das gallichte Weſen verdickt, mit zaͤhem Schlei- me und Kleiſter eine undurchdringliche Maſſe ausmacht, da wird man mit dergleichen Mitteln wohl den Ma- gen und die Gedaͤrme ihrer Saͤfte berauben, aber den zaͤhen Unrath ehe verſchlimmert als verbeſſert in ſei- nen Winkeln liegen laſſen. Tiſſot ahmte hierin den Hippokrates nach, und gab uͤberall, wo zaͤher Gall- ſtoff

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 683. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/702>, abgerufen am 27.04.2024.