unter dem Vorwande, daß es ihn tödten würde, ver- sagen. Indessen muß doch ein erfahrner und aufmerk- samer Arzt gestehen, daß sich mehrere Kranke vortreff- lich dabey befunden haben, wenn sie mehr ihre Neigung als die Anordnungen ihres Arztes befolgten. -- Man bedenke nur, daß sehr viele hitzige Krankheiten von selbst einen glücklichen Ausgang gewinnen, so wird dieses Niemand mehr befremden; denn die damit ver- bundenen Begierden schützen den Kranken gegen die schädlichen Unternehmungen einer übel verstandenen Kunst, und führen ihn unfehlbar auf den rechten Weeg. Der Instinkt ist also ein Glück für die Menschen, in- dem er ihnen den gänzlichen Mangel der Heilkunde ersetzt."*)
Es wird keinem Arzte an Beyspielen fehlen, welche die Wahrheit dieser Behauptungen bestättigen. Ich kenne mehrere, denen ein gutes Glas Wein das Leben gerettet hat, nachdem es ihnen von den Aerz- ten abgesprochen, und der Wein bey Todesgefahr ver- boten war u. s. w. Es ist daher kein Zweifel, daß die Instinkte unter die Anstalten gehören, wodurch die Natur für die Erhaltung der Gesundheit und die Besiegung der Krankheiten sorgen wollte.
§. 113.
Aber, giebt es in der Natur ein einziges Ding, das nicht unter gewissen Umständen schädlich seyn könn- te? -- Ich fürchte, diese leidige Nothwendigkeit werde
auch
*)Diss. de Variol. confluent.
unter dem Vorwande, daß es ihn toͤdten wuͤrde, ver- ſagen. Indeſſen muß doch ein erfahrner und aufmerk- ſamer Arzt geſtehen, daß ſich mehrere Kranke vortreff- lich dabey befunden haben, wenn ſie mehr ihre Neigung als die Anordnungen ihres Arztes befolgten. — Man bedenke nur, daß ſehr viele hitzige Krankheiten von ſelbſt einen gluͤcklichen Ausgang gewinnen, ſo wird dieſes Niemand mehr befremden; denn die damit ver- bundenen Begierden ſchuͤtzen den Kranken gegen die ſchaͤdlichen Unternehmungen einer uͤbel verſtandenen Kunſt, und fuͤhren ihn unfehlbar auf den rechten Weeg. Der Inſtinkt iſt alſo ein Gluͤck fuͤr die Menſchen, in- dem er ihnen den gaͤnzlichen Mangel der Heilkunde erſetzt.„*)
Es wird keinem Arzte an Beyſpielen fehlen, welche die Wahrheit dieſer Behauptungen beſtaͤttigen. Ich kenne mehrere, denen ein gutes Glas Wein das Leben gerettet hat, nachdem es ihnen von den Aerz- ten abgeſprochen, und der Wein bey Todesgefahr ver- boten war u. ſ. w. Es iſt daher kein Zweifel, daß die Inſtinkte unter die Anſtalten gehoͤren, wodurch die Natur fuͤr die Erhaltung der Geſundheit und die Beſiegung der Krankheiten ſorgen wollte.
§. 113.
Aber, giebt es in der Natur ein einziges Ding, das nicht unter gewiſſen Umſtaͤnden ſchaͤdlich ſeyn koͤnn- te? — Ich fuͤrchte, dieſe leidige Nothwendigkeit werde
auch
*)Diſſ. de Variol. confluent.
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unter dem Vorwande, daß es ihn toͤdten wuͤrde, ver-
ſagen. Indeſſen muß doch ein erfahrner und aufmerk-
ſamer Arzt geſtehen, daß ſich mehrere Kranke vortreff-
lich dabey befunden haben, wenn ſie mehr ihre Neigung
als die Anordnungen ihres Arztes befolgten. — Man
bedenke nur, daß ſehr viele hitzige Krankheiten von
ſelbſt einen gluͤcklichen Ausgang gewinnen, ſo wird
dieſes Niemand mehr befremden; denn die damit ver-
bundenen Begierden ſchuͤtzen den Kranken gegen die
ſchaͤdlichen Unternehmungen einer uͤbel verſtandenen
Kunſt, und fuͤhren ihn unfehlbar auf den rechten Weeg.
Der Inſtinkt iſt alſo ein Gluͤck fuͤr die Menſchen, in-
dem er ihnen den gaͤnzlichen Mangel der Heilkunde
erſetzt.„ *)
Es wird keinem Arzte an Beyſpielen fehlen,
welche die Wahrheit dieſer Behauptungen beſtaͤttigen.
Ich kenne mehrere, denen ein gutes Glas Wein das
Leben gerettet hat, nachdem es ihnen von den Aerz-
ten abgeſprochen, und der Wein bey Todesgefahr ver-
boten war u. ſ. w. Es iſt daher kein Zweifel, daß
die Inſtinkte unter die Anſtalten gehoͤren, wodurch
die Natur fuͤr die Erhaltung der Geſundheit und die
Beſiegung der Krankheiten ſorgen wollte.
§. 113.
Aber, giebt es in der Natur ein einziges Ding,
das nicht unter gewiſſen Umſtaͤnden ſchaͤdlich ſeyn koͤnn-
te? — Ich fuͤrchte, dieſe leidige Nothwendigkeit werde
auch
*) Diſſ. de Variol. confluent.
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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 665. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/684>, abgerufen am 22.11.2024.
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