de der an das Dichten und Untersuchen gewöhnte Geist weit weniger ermüden, als der ungewöhnte.
§. 107.
Der Einfluß der Gewohnheit ist selbst in Rück- sicht der Zeit, an welche diese oder jene Absonderung und Ausleerung, diese oder jene Verrichtung gewöhnt ist, sorgfältig in acht zu nehmen, wie dieses schon zum Theil aus den angeführten Hippokratischen Stel- len erhellet. Die Zeit, an welche die Natur gewöhnt ist, ist auch diejenige, in welcher jedesmal zum we- nigsten eine Neigung in ihr entsteht, das gestörte oder gehemmte Geschäft wieder in Gang zu bringen. Schweißmittel sind um die Zeit am wirksamsten, wo der Mensch ohnehin am häufigsten zu Dünsten pflegt, als in den Morgenstunden, nach Mitternacht und in den Abendstunden. Den Zeitfluß zu befördern bestrebt man sich mit den wirksamsten Arzneyen allermeist um- sonst, wenn man sie nicht um die gewöhnte, und mit der ganzen körperlichen Verfassung seiner Kranken in Verhältniß gesetzten Zeit darreichet. Die Ausfüh- rungswege des Harns und des Stuhls reitzen wir weit leichter zur Entleerung, wenn in ihnen selbst eine Re- gung dazu vorgeht. Testa hat den Fall bey einem alten Manne beobachtet, welcher in seinen gesunden Tagen hauptsächlich Abends zu Stuhle zu gehen ge- wohnt war. Dieser hatte schon mehrere Tage ver- stopften Leib. Er gab ihm drey Tage hintereinander früh Morgens Abführungsmittel, und es erfolgte kei- ne Wirkung; endlich nahm der Alte gegen Abend wie-
der
de der an das Dichten und Unterſuchen gewoͤhnte Geiſt weit weniger ermuͤden, als der ungewoͤhnte.
§. 107.
Der Einfluß der Gewohnheit iſt ſelbſt in Ruͤck- ſicht der Zeit, an welche dieſe oder jene Abſonderung und Ausleerung, dieſe oder jene Verrichtung gewoͤhnt iſt, ſorgfaͤltig in acht zu nehmen, wie dieſes ſchon zum Theil aus den angefuͤhrten Hippokratiſchen Stel- len erhellet. Die Zeit, an welche die Natur gewoͤhnt iſt, iſt auch diejenige, in welcher jedesmal zum we- nigſten eine Neigung in ihr entſteht, das geſtoͤrte oder gehemmte Geſchaͤft wieder in Gang zu bringen. Schweißmittel ſind um die Zeit am wirkſamſten, wo der Menſch ohnehin am haͤufigſten zu Duͤnſten pflegt, als in den Morgenſtunden, nach Mitternacht und in den Abendſtunden. Den Zeitfluß zu befoͤrdern beſtrebt man ſich mit den wirkſamſten Arzneyen allermeiſt um- ſonſt, wenn man ſie nicht um die gewoͤhnte, und mit der ganzen koͤrperlichen Verfaſſung ſeiner Kranken in Verhaͤltniß geſetzten Zeit darreichet. Die Ausfuͤh- rungswege des Harns und des Stuhls reitzen wir weit leichter zur Entleerung, wenn in ihnen ſelbſt eine Re- gung dazu vorgeht. Teſta hat den Fall bey einem alten Manne beobachtet, welcher in ſeinen geſunden Tagen hauptſaͤchlich Abends zu Stuhle zu gehen ge- wohnt war. Dieſer hatte ſchon mehrere Tage ver- ſtopften Leib. Er gab ihm drey Tage hintereinander fruͤh Morgens Abfuͤhrungsmittel, und es erfolgte kei- ne Wirkung; endlich nahm der Alte gegen Abend wie-
der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0664"n="645"/>
de der an das Dichten und Unterſuchen gewoͤhnte Geiſt<lb/>
weit weniger ermuͤden, als der ungewoͤhnte.</p></div><lb/><divn="4"><head>§. 107.</head><lb/><p>Der Einfluß der Gewohnheit iſt ſelbſt in Ruͤck-<lb/>ſicht der Zeit, an welche dieſe oder jene Abſonderung<lb/>
und Ausleerung, dieſe oder jene Verrichtung gewoͤhnt<lb/>
iſt, ſorgfaͤltig in acht zu nehmen, wie dieſes ſchon<lb/>
zum Theil aus den angefuͤhrten Hippokratiſchen Stel-<lb/>
len erhellet. Die Zeit, an welche die Natur gewoͤhnt<lb/>
iſt, iſt auch diejenige, in welcher jedesmal zum we-<lb/>
nigſten eine Neigung in ihr entſteht, das geſtoͤrte oder<lb/>
gehemmte Geſchaͤft wieder in Gang zu bringen.<lb/>
Schweißmittel ſind um die Zeit am wirkſamſten, wo<lb/>
der Menſch ohnehin am haͤufigſten zu Duͤnſten pflegt,<lb/>
als in den Morgenſtunden, nach Mitternacht und in<lb/>
den Abendſtunden. Den Zeitfluß zu befoͤrdern beſtrebt<lb/>
man ſich mit den wirkſamſten Arzneyen allermeiſt um-<lb/>ſonſt, wenn man ſie nicht um die gewoͤhnte, und mit<lb/>
der ganzen koͤrperlichen Verfaſſung ſeiner Kranken in<lb/>
Verhaͤltniß geſetzten Zeit darreichet. Die Ausfuͤh-<lb/>
rungswege des Harns und des Stuhls reitzen wir weit<lb/>
leichter zur Entleerung, wenn in ihnen ſelbſt eine Re-<lb/>
gung dazu vorgeht. <hirendition="#fr">Teſta</hi> hat den Fall bey einem<lb/>
alten Manne beobachtet, welcher in ſeinen geſunden<lb/>
Tagen hauptſaͤchlich Abends zu Stuhle zu gehen ge-<lb/>
wohnt war. Dieſer hatte ſchon mehrere Tage ver-<lb/>ſtopften Leib. Er gab ihm drey Tage hintereinander<lb/>
fruͤh Morgens Abfuͤhrungsmittel, und es erfolgte kei-<lb/>
ne Wirkung; endlich nahm der Alte gegen Abend wie-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">der</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[645/0664]
de der an das Dichten und Unterſuchen gewoͤhnte Geiſt
weit weniger ermuͤden, als der ungewoͤhnte.
§. 107.
Der Einfluß der Gewohnheit iſt ſelbſt in Ruͤck-
ſicht der Zeit, an welche dieſe oder jene Abſonderung
und Ausleerung, dieſe oder jene Verrichtung gewoͤhnt
iſt, ſorgfaͤltig in acht zu nehmen, wie dieſes ſchon
zum Theil aus den angefuͤhrten Hippokratiſchen Stel-
len erhellet. Die Zeit, an welche die Natur gewoͤhnt
iſt, iſt auch diejenige, in welcher jedesmal zum we-
nigſten eine Neigung in ihr entſteht, das geſtoͤrte oder
gehemmte Geſchaͤft wieder in Gang zu bringen.
Schweißmittel ſind um die Zeit am wirkſamſten, wo
der Menſch ohnehin am haͤufigſten zu Duͤnſten pflegt,
als in den Morgenſtunden, nach Mitternacht und in
den Abendſtunden. Den Zeitfluß zu befoͤrdern beſtrebt
man ſich mit den wirkſamſten Arzneyen allermeiſt um-
ſonſt, wenn man ſie nicht um die gewoͤhnte, und mit
der ganzen koͤrperlichen Verfaſſung ſeiner Kranken in
Verhaͤltniß geſetzten Zeit darreichet. Die Ausfuͤh-
rungswege des Harns und des Stuhls reitzen wir weit
leichter zur Entleerung, wenn in ihnen ſelbſt eine Re-
gung dazu vorgeht. Teſta hat den Fall bey einem
alten Manne beobachtet, welcher in ſeinen geſunden
Tagen hauptſaͤchlich Abends zu Stuhle zu gehen ge-
wohnt war. Dieſer hatte ſchon mehrere Tage ver-
ſtopften Leib. Er gab ihm drey Tage hintereinander
fruͤh Morgens Abfuͤhrungsmittel, und es erfolgte kei-
ne Wirkung; endlich nahm der Alte gegen Abend wie-
der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 645. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/664>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.