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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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hatte dort manchen Fehler begangen, z. B. die Mit-
telsalzen; die Klystiren mit Brechweinstein und dem
Extracto catholico; glücklicher Weise thun solche
Dinge, wenn sie nicht äußerst stark sind, wie in der
Tissotischen Geschichte, nur schwache oder gar keine
Wirkung, weil eine örtliche Reizbarkeit auf den Ner-
ven des Unterleibes und des Gehirnes statt hat. Tissot
begieng beynahe die nämlichen Fehler; ein Beweiß,
daß der größte Mann durch bloße Beachtung der Zu-
fälle, ohne Kenntniß von der Natur einer Krankheit
keine richtige Anzeige zu machen im Stande ist. --
So nothwendig es sonst ist, seine Anzeigen von der
herrschenden Beschaffenheit der Krankheiten herzuneh-
men, so war doch in diesem Falle die Anzeige der durch
Kummer zerstöhrten Lebenskräfte wichtiger, und er hätte
weder aderlassen noch abführen sollen. So sah Sim. Herz
1784. öfters Gallsieber sich zu den Masern gesellen.
In gewöhnlichen Fällen mußte er Brech- oder Abfüh-
rungsmittel geben; wo eine Entzündung mit im Spie-
le war, auch Aderlassen; Nur, sagt er, einige Schwäch-
linge ausgenommen. In diesen verlief die Krankheit
anderst; die Masern erschienen erst den siebenten und
achten Tag. Man mußte die herrschende Beschaffen-
heit vernachläßigen, und ohne dringende Noth, sorg-
fältig alle Ausleerungen vermeiden.*) Das Ver-
fahren der berathschlagenden Aerzte war freylich mehr
Folge als Hilfsmittel der Raserey; hingegen auch
mächtig genug, alle Hilfsquellen der Natur zu

er-
*) A. a. O. S. 141.

hatte dort manchen Fehler begangen, z. B. die Mit-
telſalzen; die Klyſtiren mit Brechweinſtein und dem
Extracto catholico; gluͤcklicher Weiſe thun ſolche
Dinge, wenn ſie nicht aͤußerſt ſtark ſind, wie in der
Tiſſotiſchen Geſchichte, nur ſchwache oder gar keine
Wirkung, weil eine oͤrtliche Reizbarkeit auf den Ner-
ven des Unterleibes und des Gehirnes ſtatt hat. Tiſſot
begieng beynahe die naͤmlichen Fehler; ein Beweiß,
daß der groͤßte Mann durch bloße Beachtung der Zu-
faͤlle, ohne Kenntniß von der Natur einer Krankheit
keine richtige Anzeige zu machen im Stande iſt. —
So nothwendig es ſonſt iſt, ſeine Anzeigen von der
herrſchenden Beſchaffenheit der Krankheiten herzuneh-
men, ſo war doch in dieſem Falle die Anzeige der durch
Kummer zerſtoͤhrten Lebenskraͤfte wichtiger, und er haͤtte
weder aderlaſſen noch abfuͤhren ſollen. So ſah Sim. Herz
1784. oͤfters Gallſieber ſich zu den Maſern geſellen.
In gewoͤhnlichen Faͤllen mußte er Brech- oder Abfuͤh-
rungsmittel geben; wo eine Entzuͤndung mit im Spie-
le war, auch Aderlaſſen; Nur, ſagt er, einige Schwaͤch-
linge ausgenommen. In dieſen verlief die Krankheit
anderſt; die Maſern erſchienen erſt den ſiebenten und
achten Tag. Man mußte die herrſchende Beſchaffen-
heit vernachlaͤßigen, und ohne dringende Noth, ſorg-
faͤltig alle Ausleerungen vermeiden.*) Das Ver-
fahren der berathſchlagenden Aerzte war freylich mehr
Folge als Hilfsmittel der Raſerey; hingegen auch
maͤchtig genug, alle Hilfsquellen der Natur zu

er-
*) A. a. O. S. 141.
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[599/0618] hatte dort manchen Fehler begangen, z. B. die Mit- telſalzen; die Klyſtiren mit Brechweinſtein und dem Extracto catholico; gluͤcklicher Weiſe thun ſolche Dinge, wenn ſie nicht aͤußerſt ſtark ſind, wie in der Tiſſotiſchen Geſchichte, nur ſchwache oder gar keine Wirkung, weil eine oͤrtliche Reizbarkeit auf den Ner- ven des Unterleibes und des Gehirnes ſtatt hat. Tiſſot begieng beynahe die naͤmlichen Fehler; ein Beweiß, daß der groͤßte Mann durch bloße Beachtung der Zu- faͤlle, ohne Kenntniß von der Natur einer Krankheit keine richtige Anzeige zu machen im Stande iſt. — So nothwendig es ſonſt iſt, ſeine Anzeigen von der herrſchenden Beſchaffenheit der Krankheiten herzuneh- men, ſo war doch in dieſem Falle die Anzeige der durch Kummer zerſtoͤhrten Lebenskraͤfte wichtiger, und er haͤtte weder aderlaſſen noch abfuͤhren ſollen. So ſah Sim. Herz 1784. oͤfters Gallſieber ſich zu den Maſern geſellen. In gewoͤhnlichen Faͤllen mußte er Brech- oder Abfuͤh- rungsmittel geben; wo eine Entzuͤndung mit im Spie- le war, auch Aderlaſſen; Nur, ſagt er, einige Schwaͤch- linge ausgenommen. In dieſen verlief die Krankheit anderſt; die Maſern erſchienen erſt den ſiebenten und achten Tag. Man mußte die herrſchende Beſchaffen- heit vernachlaͤßigen, und ohne dringende Noth, ſorg- faͤltig alle Ausleerungen vermeiden. *) Das Ver- fahren der berathſchlagenden Aerzte war freylich mehr Folge als Hilfsmittel der Raſerey; hingegen auch maͤchtig genug, alle Hilfsquellen der Natur zu er- *) A. a. O. S. 141.

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/618>, abgerufen am 24.11.2024.