Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

erholte, daß man ihm ohne Gefahr ein Abführungs-
mittel reichen konnte. Je mehr die Abführungen wirk-
ten, desto mehr nahm der Aderschlag zu, und kam
erst nach häufigen Entleerungen der Galle und fauler
Feuchtigkeiten wieder in Ordnung.

Selbst in der Wahl der stärkenden Heilmittel
muß alles vermieden werden, was auf was immer
für eine Art den Körper, ich will nicht sagen, schwä-
chen, sondern reitzen kann, besonders wenn der da-
durch erregte Reitz nicht zugleich von einer anhaltend
stärkenden Wirkung begleitet wird. Deßwegen sagt
Tissot "wenn die Nervenkrankheiten eine Folge lang-
wieriger Krankheiten sind, so müßen diese Krankhei-
ten geheilt werden. Indeß muß doch die Empfind-
lichkeit, die die Nerven erlangt haben, nicht überse-
hen werden; sie erfordert grosse Behutsamkeit und
grosse Aufmerksamkeit bey der Auswahl der Mittel:
denn sie ändert die Wirkung der Heilmittel gänzlich,
wenn sie reitzend sind. Bey Verstopfungen verursa-
chen wirksame auflösende Mittel Krämpfe, die vor-
nehmlich auf die kranken Theile wirken, und die An-
häufung der Säfte in denselben nur noch größer ma-
chen, die gelindere auflösende Mittel vermindert ha-
ben würden, weil ihre Wirkung nicht gestöhrt wor-
den seyn würde, indem sie nicht zu scharf waren,
und die Nerven nicht reitzten. Es ist fast unbegreif-
lich, wie wenig hierauf gemerkt wird; und eben da-
her entstehen so oft die heftigsten Zufälle; die gelin-
desten Krankheiten werden durch diese Unachtsamkeit
noch heftiger, etwas stärkere unheilbar gemacht; und

die

erholte, daß man ihm ohne Gefahr ein Abfuͤhrungs-
mittel reichen konnte. Je mehr die Abfuͤhrungen wirk-
ten, deſto mehr nahm der Aderſchlag zu, und kam
erſt nach haͤufigen Entleerungen der Galle und fauler
Feuchtigkeiten wieder in Ordnung.

Selbſt in der Wahl der ſtaͤrkenden Heilmittel
muß alles vermieden werden, was auf was immer
fuͤr eine Art den Koͤrper, ich will nicht ſagen, ſchwaͤ-
chen, ſondern reitzen kann, beſonders wenn der da-
durch erregte Reitz nicht zugleich von einer anhaltend
ſtaͤrkenden Wirkung begleitet wird. Deßwegen ſagt
Tiſſot “wenn die Nervenkrankheiten eine Folge lang-
wieriger Krankheiten ſind, ſo muͤßen dieſe Krankhei-
ten geheilt werden. Indeß muß doch die Empfind-
lichkeit, die die Nerven erlangt haben, nicht uͤberſe-
hen werden; ſie erfordert groſſe Behutſamkeit und
groſſe Aufmerkſamkeit bey der Auswahl der Mittel:
denn ſie aͤndert die Wirkung der Heilmittel gaͤnzlich,
wenn ſie reitzend ſind. Bey Verſtopfungen verurſa-
chen wirkſame aufloͤſende Mittel Kraͤmpfe, die vor-
nehmlich auf die kranken Theile wirken, und die An-
haͤufung der Saͤfte in denſelben nur noch groͤßer ma-
chen, die gelindere aufloͤſende Mittel vermindert ha-
ben wuͤrden, weil ihre Wirkung nicht geſtoͤhrt wor-
den ſeyn wuͤrde, indem ſie nicht zu ſcharf waren,
und die Nerven nicht reitzten. Es iſt faſt unbegreif-
lich, wie wenig hierauf gemerkt wird; und eben da-
her entſtehen ſo oft die heftigſten Zufaͤlle; die gelin-
deſten Krankheiten werden durch dieſe Unachtſamkeit
noch heftiger, etwas ſtaͤrkere unheilbar gemacht; und

die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0592" n="573"/>
erholte, daß man ihm ohne Gefahr ein Abfu&#x0364;hrungs-<lb/>
mittel reichen konnte. Je mehr die Abfu&#x0364;hrungen wirk-<lb/>
ten, de&#x017F;to mehr nahm der Ader&#x017F;chlag zu, und kam<lb/>
er&#x017F;t nach ha&#x0364;ufigen Entleerungen der Galle und fauler<lb/>
Feuchtigkeiten wieder in Ordnung.</p><lb/>
            <p>Selb&#x017F;t in der Wahl der &#x017F;ta&#x0364;rkenden Heilmittel<lb/>
muß alles vermieden werden, was auf was immer<lb/>
fu&#x0364;r eine Art den Ko&#x0364;rper, ich will nicht &#x017F;agen, &#x017F;chwa&#x0364;-<lb/>
chen, &#x017F;ondern reitzen kann, be&#x017F;onders wenn der da-<lb/>
durch erregte Reitz nicht zugleich von einer anhaltend<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;rkenden Wirkung begleitet wird. Deßwegen &#x017F;agt<lb/><hi rendition="#fr">Ti&#x017F;&#x017F;ot</hi> &#x201C;wenn die Nervenkrankheiten eine Folge lang-<lb/>
wieriger Krankheiten &#x017F;ind, &#x017F;o mu&#x0364;ßen die&#x017F;e Krankhei-<lb/>
ten geheilt werden. Indeß muß doch die Empfind-<lb/>
lichkeit, die die Nerven erlangt haben, nicht u&#x0364;ber&#x017F;e-<lb/>
hen werden; &#x017F;ie erfordert gro&#x017F;&#x017F;e Behut&#x017F;amkeit und<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;e Aufmerk&#x017F;amkeit bey der Auswahl der Mittel:<lb/>
denn &#x017F;ie a&#x0364;ndert die Wirkung der Heilmittel ga&#x0364;nzlich,<lb/>
wenn &#x017F;ie reitzend &#x017F;ind. Bey Ver&#x017F;topfungen verur&#x017F;a-<lb/>
chen wirk&#x017F;ame auflo&#x0364;&#x017F;ende Mittel Kra&#x0364;mpfe, die vor-<lb/>
nehmlich auf die kranken Theile wirken, und die An-<lb/>
ha&#x0364;ufung der Sa&#x0364;fte in den&#x017F;elben nur noch gro&#x0364;ßer ma-<lb/>
chen, die gelindere auflo&#x0364;&#x017F;ende Mittel vermindert ha-<lb/>
ben wu&#x0364;rden, weil ihre Wirkung nicht ge&#x017F;to&#x0364;hrt wor-<lb/>
den &#x017F;eyn wu&#x0364;rde, indem &#x017F;ie nicht zu &#x017F;charf waren,<lb/>
und die Nerven nicht reitzten. Es i&#x017F;t fa&#x017F;t unbegreif-<lb/>
lich, wie wenig hierauf gemerkt wird; und eben da-<lb/>
her ent&#x017F;tehen &#x017F;o oft die heftig&#x017F;ten Zufa&#x0364;lle; die gelin-<lb/>
de&#x017F;ten Krankheiten werden durch die&#x017F;e Unacht&#x017F;amkeit<lb/>
noch heftiger, etwas &#x017F;ta&#x0364;rkere unheilbar gemacht; und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[573/0592] erholte, daß man ihm ohne Gefahr ein Abfuͤhrungs- mittel reichen konnte. Je mehr die Abfuͤhrungen wirk- ten, deſto mehr nahm der Aderſchlag zu, und kam erſt nach haͤufigen Entleerungen der Galle und fauler Feuchtigkeiten wieder in Ordnung. Selbſt in der Wahl der ſtaͤrkenden Heilmittel muß alles vermieden werden, was auf was immer fuͤr eine Art den Koͤrper, ich will nicht ſagen, ſchwaͤ- chen, ſondern reitzen kann, beſonders wenn der da- durch erregte Reitz nicht zugleich von einer anhaltend ſtaͤrkenden Wirkung begleitet wird. Deßwegen ſagt Tiſſot “wenn die Nervenkrankheiten eine Folge lang- wieriger Krankheiten ſind, ſo muͤßen dieſe Krankhei- ten geheilt werden. Indeß muß doch die Empfind- lichkeit, die die Nerven erlangt haben, nicht uͤberſe- hen werden; ſie erfordert groſſe Behutſamkeit und groſſe Aufmerkſamkeit bey der Auswahl der Mittel: denn ſie aͤndert die Wirkung der Heilmittel gaͤnzlich, wenn ſie reitzend ſind. Bey Verſtopfungen verurſa- chen wirkſame aufloͤſende Mittel Kraͤmpfe, die vor- nehmlich auf die kranken Theile wirken, und die An- haͤufung der Saͤfte in denſelben nur noch groͤßer ma- chen, die gelindere aufloͤſende Mittel vermindert ha- ben wuͤrden, weil ihre Wirkung nicht geſtoͤhrt wor- den ſeyn wuͤrde, indem ſie nicht zu ſcharf waren, und die Nerven nicht reitzten. Es iſt faſt unbegreif- lich, wie wenig hierauf gemerkt wird; und eben da- her entſtehen ſo oft die heftigſten Zufaͤlle; die gelin- deſten Krankheiten werden durch dieſe Unachtſamkeit noch heftiger, etwas ſtaͤrkere unheilbar gemacht; und die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/592
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 573. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/592>, abgerufen am 09.05.2024.