Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

vollkommen gesund, und in Wartung des geliebten
Gegenstandes ungewöhnlich thätig, und unermüdet.
Hörten sie aber, daß die Gefahr vorüber seye, so be-
kamen sie wieder ihre vorigen Zufälle, wenn sie
schon nach einer so langen Befreyung von selbigen,
gänzlich geheilt zu seyn glaubten. Ein Mann hatte
während eines Kriegszuges einen heftigen Anfall von
Engbrüstigkeit bekommen, der sonst immer zehn bis
zwölf Tage zu dauern pflegte. Am dritten oder vier-
ten Tage der Krankheit, wo er nur stehend athmen,
und seiner Meinung nach kaum sechs Schritte weit
hätte gehen können, hörte er plötzlich einige Lärmschüs-
se, als das Zeichen zum Angriff, weil ein Trupp
Maratten ins Lager eingebrochen war. Augenblicklich
sprang der Kranke zur Verwunderung aller Umstehen-
den auf, schwang sich aufs Pferd, und zog den De-
gen, den er noch am vorigen Tage nicht hatte aus
der Scheide bringen können. -- Von diesem Augen-
blicke an verließ ihn seine Schwäche und Engbrüstig-
keit; kam auch nachher nicht eher, als zur gewöhn-
lichen Zeit wieder.*) -- -- Diese Erfahrungen bewei-
sen, wie nöthig eine anhaltende Beschäftigung oder
Zerstreuung des Gemüths zur Heilung gewißer Krank-
heiten sey, die mit widernatürlicher Reitzbarkeit ein-
zelner Theile verknüpft sind, und sie zeigen zum
Theil, auf welche Weise die Einbildungskraft, die Er-
wartung, das Zutrauen u. d. gl. wirksam werden.


§. 92.
*) A. a. O. S. 48.

vollkommen geſund, und in Wartung des geliebten
Gegenſtandes ungewoͤhnlich thaͤtig, und unermuͤdet.
Hoͤrten ſie aber, daß die Gefahr voruͤber ſeye, ſo be-
kamen ſie wieder ihre vorigen Zufaͤlle, wenn ſie
ſchon nach einer ſo langen Befreyung von ſelbigen,
gaͤnzlich geheilt zu ſeyn glaubten. Ein Mann hatte
waͤhrend eines Kriegszuges einen heftigen Anfall von
Engbruͤſtigkeit bekommen, der ſonſt immer zehn bis
zwoͤlf Tage zu dauern pflegte. Am dritten oder vier-
ten Tage der Krankheit, wo er nur ſtehend athmen,
und ſeiner Meinung nach kaum ſechs Schritte weit
haͤtte gehen koͤnnen, hoͤrte er ploͤtzlich einige Laͤrmſchuͤſ-
ſe, als das Zeichen zum Angriff, weil ein Trupp
Maratten ins Lager eingebrochen war. Augenblicklich
ſprang der Kranke zur Verwunderung aller Umſtehen-
den auf, ſchwang ſich aufs Pferd, und zog den De-
gen, den er noch am vorigen Tage nicht hatte aus
der Scheide bringen koͤnnen. — Von dieſem Augen-
blicke an verließ ihn ſeine Schwaͤche und Engbruͤſtig-
keit; kam auch nachher nicht eher, als zur gewoͤhn-
lichen Zeit wieder.*) — — Dieſe Erfahrungen bewei-
ſen, wie noͤthig eine anhaltende Beſchaͤftigung oder
Zerſtreuung des Gemuͤths zur Heilung gewißer Krank-
heiten ſey, die mit widernatuͤrlicher Reitzbarkeit ein-
zelner Theile verknuͤpft ſind, und ſie zeigen zum
Theil, auf welche Weiſe die Einbildungskraft, die Er-
wartung, das Zutrauen u. d. gl. wirkſam werden.


§. 92.
*) A. a. O. S. 48.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0581" n="562"/>
vollkommen ge&#x017F;und, und in Wartung des geliebten<lb/>
Gegen&#x017F;tandes ungewo&#x0364;hnlich tha&#x0364;tig, und unermu&#x0364;det.<lb/>
Ho&#x0364;rten &#x017F;ie aber, daß die Gefahr voru&#x0364;ber &#x017F;eye, &#x017F;o be-<lb/>
kamen &#x017F;ie wieder ihre vorigen Zufa&#x0364;lle, wenn &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;chon nach einer &#x017F;o langen Befreyung von &#x017F;elbigen,<lb/>
ga&#x0364;nzlich geheilt zu &#x017F;eyn glaubten. Ein Mann hatte<lb/>
wa&#x0364;hrend eines Kriegszuges einen heftigen Anfall von<lb/>
Engbru&#x0364;&#x017F;tigkeit bekommen, der &#x017F;on&#x017F;t immer zehn bis<lb/>
zwo&#x0364;lf Tage zu dauern pflegte. Am dritten oder vier-<lb/>
ten Tage der Krankheit, wo er nur &#x017F;tehend athmen,<lb/>
und &#x017F;einer Meinung nach kaum &#x017F;echs Schritte weit<lb/>
ha&#x0364;tte gehen ko&#x0364;nnen, ho&#x0364;rte er plo&#x0364;tzlich einige La&#x0364;rm&#x017F;chu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;e, als das Zeichen zum Angriff, weil ein Trupp<lb/>
Maratten ins Lager eingebrochen war. Augenblicklich<lb/>
&#x017F;prang der Kranke zur Verwunderung aller Um&#x017F;tehen-<lb/>
den auf, &#x017F;chwang &#x017F;ich aufs Pferd, und zog den De-<lb/>
gen, den er noch am vorigen Tage nicht hatte aus<lb/>
der Scheide bringen ko&#x0364;nnen. &#x2014; Von die&#x017F;em Augen-<lb/>
blicke an verließ ihn &#x017F;eine Schwa&#x0364;che und Engbru&#x0364;&#x017F;tig-<lb/>
keit; kam auch nachher nicht eher, als zur gewo&#x0364;hn-<lb/>
lichen Zeit wieder.<note place="foot" n="*)">A. a. O. S. 48.</note> &#x2014; &#x2014; Die&#x017F;e Erfahrungen bewei-<lb/>
&#x017F;en, wie no&#x0364;thig eine anhaltende Be&#x017F;cha&#x0364;ftigung oder<lb/>
Zer&#x017F;treuung des Gemu&#x0364;ths zur Heilung gewißer Krank-<lb/>
heiten &#x017F;ey, die mit widernatu&#x0364;rlicher Reitzbarkeit ein-<lb/>
zelner Theile verknu&#x0364;pft &#x017F;ind, und &#x017F;ie zeigen zum<lb/>
Theil, auf welche Wei&#x017F;e die Einbildungskraft, die Er-<lb/>
wartung, das Zutrauen u. d. gl. wirk&#x017F;am werden.</p>
            </div><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">§. 92.</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[562/0581] vollkommen geſund, und in Wartung des geliebten Gegenſtandes ungewoͤhnlich thaͤtig, und unermuͤdet. Hoͤrten ſie aber, daß die Gefahr voruͤber ſeye, ſo be- kamen ſie wieder ihre vorigen Zufaͤlle, wenn ſie ſchon nach einer ſo langen Befreyung von ſelbigen, gaͤnzlich geheilt zu ſeyn glaubten. Ein Mann hatte waͤhrend eines Kriegszuges einen heftigen Anfall von Engbruͤſtigkeit bekommen, der ſonſt immer zehn bis zwoͤlf Tage zu dauern pflegte. Am dritten oder vier- ten Tage der Krankheit, wo er nur ſtehend athmen, und ſeiner Meinung nach kaum ſechs Schritte weit haͤtte gehen koͤnnen, hoͤrte er ploͤtzlich einige Laͤrmſchuͤſ- ſe, als das Zeichen zum Angriff, weil ein Trupp Maratten ins Lager eingebrochen war. Augenblicklich ſprang der Kranke zur Verwunderung aller Umſtehen- den auf, ſchwang ſich aufs Pferd, und zog den De- gen, den er noch am vorigen Tage nicht hatte aus der Scheide bringen koͤnnen. — Von dieſem Augen- blicke an verließ ihn ſeine Schwaͤche und Engbruͤſtig- keit; kam auch nachher nicht eher, als zur gewoͤhn- lichen Zeit wieder. *) — — Dieſe Erfahrungen bewei- ſen, wie noͤthig eine anhaltende Beſchaͤftigung oder Zerſtreuung des Gemuͤths zur Heilung gewißer Krank- heiten ſey, die mit widernatuͤrlicher Reitzbarkeit ein- zelner Theile verknuͤpft ſind, und ſie zeigen zum Theil, auf welche Weiſe die Einbildungskraft, die Er- wartung, das Zutrauen u. d. gl. wirkſam werden. §. 92. *) A. a. O. S. 48.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/581
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 562. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/581>, abgerufen am 21.11.2024.