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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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der Lebenskraft wieder anfachen können. Durch die-
sen fremden Beystand hilft man dem Werkmeister, daß
er an seinem Werke fortarbeiten kann, und doch so
wenig Kräfte dabey zusetzt, als immer möglich ist;
das sind gleichsam die Sporen, die man einem mat-
ten Pferde giebt, wenn man will, daß es in einem
schlimmen Weege seine Kräfte anstrengen soll. Aber
wie viel Geschicklichkeit und Klugheit gehört nicht da-
zu, um mit einem Blicke die Tiefe des Morastes,
und die Kraft des Thieres zu übersehen, und beydes
mit einander zu vergleichen! Uebersteigt das Werk
seine Kräfte, so wird es zwar dieser Spornstreich nö-
thigen, sich über Vermögen anzugreifen; kömmt es
aber dadurch dennoch nicht auf den guten Weeg, so
entgehen ihm zuletzt alle Kräfte." Man findet in sei-
nen Schriften, besonders von der Selbstbefleckung zahl-
reiche Beyspiele, wo nach diesen Grundsätzen verfah-
ren worden ist, weßwegen ich hier kürzer bin, und
die Leser dorthin verweise.

Die nämlichen Maßregeln müssen auch beobach-
tet werden, wenn der verwickelte Zustand von Ermü-
dung und Erschöpfung, oder von Unterdrückung und Er-
schöpfung, oder von allen drey Arten der Entkräftungen
eintrift, wie dieses z. B. in den schleichenden Nerven-
fiebern der Fall ist. Da dergleichen Krankheiten schon
gröstentheils erschöpfte Körper befallen, so muß da
nothwendig eine strenge Enthaltsamkeit desto nachthei-
liger seyn. Burseri will daher, man solle dem Kran-
ken hie und da, auch wo er alle Nahrung verabscheu-
et, mit Gewalt ein dünne, gute Nahrung eingeben;

"denn

der Lebenskraft wieder anfachen koͤnnen. Durch die-
ſen fremden Beyſtand hilft man dem Werkmeiſter, daß
er an ſeinem Werke fortarbeiten kann, und doch ſo
wenig Kraͤfte dabey zuſetzt, als immer moͤglich iſt;
das ſind gleichſam die Sporen, die man einem mat-
ten Pferde giebt, wenn man will, daß es in einem
ſchlimmen Weege ſeine Kraͤfte anſtrengen ſoll. Aber
wie viel Geſchicklichkeit und Klugheit gehoͤrt nicht da-
zu, um mit einem Blicke die Tiefe des Moraſtes,
und die Kraft des Thieres zu uͤberſehen, und beydes
mit einander zu vergleichen! Ueberſteigt das Werk
ſeine Kraͤfte, ſo wird es zwar dieſer Spornſtreich noͤ-
thigen, ſich uͤber Vermoͤgen anzugreifen; koͤmmt es
aber dadurch dennoch nicht auf den guten Weeg, ſo
entgehen ihm zuletzt alle Kraͤfte.” Man findet in ſei-
nen Schriften, beſonders von der Selbſtbefleckung zahl-
reiche Beyſpiele, wo nach dieſen Grundſaͤtzen verfah-
ren worden iſt, weßwegen ich hier kuͤrzer bin, und
die Leſer dorthin verweiſe.

Die naͤmlichen Maßregeln muͤſſen auch beobach-
tet werden, wenn der verwickelte Zuſtand von Ermuͤ-
dung und Erſchoͤpfung, oder von Unterdruͤckung und Er-
ſchoͤpfung, oder von allen drey Arten der Entkraͤftungen
eintrift, wie dieſes z. B. in den ſchleichenden Nerven-
fiebern der Fall iſt. Da dergleichen Krankheiten ſchon
groͤſtentheils erſchoͤpfte Koͤrper befallen, ſo muß da
nothwendig eine ſtrenge Enthaltſamkeit deſto nachthei-
liger ſeyn. Burſeri will daher, man ſolle dem Kran-
ken hie und da, auch wo er alle Nahrung verabſcheu-
et, mit Gewalt ein duͤnne, gute Nahrung eingeben;

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[456/0547] der Lebenskraft wieder anfachen koͤnnen. Durch die- ſen fremden Beyſtand hilft man dem Werkmeiſter, daß er an ſeinem Werke fortarbeiten kann, und doch ſo wenig Kraͤfte dabey zuſetzt, als immer moͤglich iſt; das ſind gleichſam die Sporen, die man einem mat- ten Pferde giebt, wenn man will, daß es in einem ſchlimmen Weege ſeine Kraͤfte anſtrengen ſoll. Aber wie viel Geſchicklichkeit und Klugheit gehoͤrt nicht da- zu, um mit einem Blicke die Tiefe des Moraſtes, und die Kraft des Thieres zu uͤberſehen, und beydes mit einander zu vergleichen! Ueberſteigt das Werk ſeine Kraͤfte, ſo wird es zwar dieſer Spornſtreich noͤ- thigen, ſich uͤber Vermoͤgen anzugreifen; koͤmmt es aber dadurch dennoch nicht auf den guten Weeg, ſo entgehen ihm zuletzt alle Kraͤfte.” Man findet in ſei- nen Schriften, beſonders von der Selbſtbefleckung zahl- reiche Beyſpiele, wo nach dieſen Grundſaͤtzen verfah- ren worden iſt, weßwegen ich hier kuͤrzer bin, und die Leſer dorthin verweiſe. Die naͤmlichen Maßregeln muͤſſen auch beobach- tet werden, wenn der verwickelte Zuſtand von Ermuͤ- dung und Erſchoͤpfung, oder von Unterdruͤckung und Er- ſchoͤpfung, oder von allen drey Arten der Entkraͤftungen eintrift, wie dieſes z. B. in den ſchleichenden Nerven- fiebern der Fall iſt. Da dergleichen Krankheiten ſchon groͤſtentheils erſchoͤpfte Koͤrper befallen, ſo muß da nothwendig eine ſtrenge Enthaltſamkeit deſto nachthei- liger ſeyn. Burſeri will daher, man ſolle dem Kran- ken hie und da, auch wo er alle Nahrung verabſcheu- et, mit Gewalt ein duͤnne, gute Nahrung eingeben; “denn

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/547>, abgerufen am 09.05.2024.