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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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einfachen Theile. Weil sie also nicht das Werk des
Zusammengesetzten, sondern des Einfachen ist: so fol-
ge daraus keineswegs, daß in dem Zusammengesetzten
etwas Empfindung- und Seelenartiges sey; sondern
vielmehr, daß alles Zusammengesetzte gegründet seye
im einfachen, lebendigen und gewissermassen empfinden-
den seelenartigen Wesen §. 163. -- Mir wäre es viel
natürlicher vorgekommen, daß durch Beyhilfe der Or-
ganisation, und der wechselseitigen Ein- und Gegen-
wirkung, dieses lebendige, seelenartige Wesen gewin-
nen sollte, wie man §. 297 selbst ausdrücklich behaup-
tet, und eben dadurch den Schein von Ruhe und
Trägheit in der Materie erklärt; also weiß ich nicht,
wie ich es machen soll, um den Zusammenhang und
die Folgerungen dieser Sätze einzusehen.

8) Das doppelte Seelenorgan, der Nerven-
saft, der Sitz der Seele, die wesentliche Verbindung
der Seele mit dem Seelenorgan u. s. w. sind so vor-
ausgesetzte und willkührlich angenommene Dinge, daß
diese Hypothese, bey aller Uebereinstimmung mit
den Alten, welche der Verfasser in den Noten zu §.
246 und 271 anführt, nichts mehr und nichts we-
niger, als eine sehr schwankende Hypothese heißen kann.
Auch die Griechen dachten schon, es müßte etwas sehr
feines, flüchtiges, ätherisches seyn, was uns denken
macht, und nannten es unser Wir; jenes Wesen aber,
welches in den Fingern fühlt, in der Nase riecht,
welches empfindet, oder welches wir mit andern Thie-
ren gemein haben, schien ihnen gröber und thierischer,
und sie haben es Psyche genannt. Dafür sagte aber

auch

einfachen Theile. Weil ſie alſo nicht das Werk des
Zuſammengeſetzten, ſondern des Einfachen iſt: ſo fol-
ge daraus keineswegs, daß in dem Zuſammengeſetzten
etwas Empfindung- und Seelenartiges ſey; ſondern
vielmehr, daß alles Zuſammengeſetzte gegruͤndet ſeye
im einfachen, lebendigen und gewiſſermaſſen empfinden-
den ſeelenartigen Weſen §. 163. — Mir waͤre es viel
natuͤrlicher vorgekommen, daß durch Beyhilfe der Or-
ganiſation, und der wechſelſeitigen Ein- und Gegen-
wirkung, dieſes lebendige, ſeelenartige Weſen gewin-
nen ſollte, wie man §. 297 ſelbſt ausdruͤcklich behaup-
tet, und eben dadurch den Schein von Ruhe und
Traͤgheit in der Materie erklaͤrt; alſo weiß ich nicht,
wie ich es machen ſoll, um den Zuſammenhang und
die Folgerungen dieſer Saͤtze einzuſehen.

8) Das doppelte Seelenorgan, der Nerven-
ſaft, der Sitz der Seele, die weſentliche Verbindung
der Seele mit dem Seelenorgan u. ſ. w. ſind ſo vor-
ausgeſetzte und willkuͤhrlich angenommene Dinge, daß
dieſe Hypotheſe, bey aller Uebereinſtimmung mit
den Alten, welche der Verfaſſer in den Noten zu §.
246 und 271 anfuͤhrt, nichts mehr und nichts we-
niger, als eine ſehr ſchwankende Hypotheſe heißen kann.
Auch die Griechen dachten ſchon, es muͤßte etwas ſehr
feines, fluͤchtiges, aͤtheriſches ſeyn, was uns denken
macht, und nannten es unſer Wir; jenes Weſen aber,
welches in den Fingern fuͤhlt, in der Naſe riecht,
welches empfindet, oder welches wir mit andern Thie-
ren gemein haben, ſchien ihnen groͤber und thieriſcher,
und ſie haben es Pſyche genannt. Dafuͤr ſagte aber

auch
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[27/0046] einfachen Theile. Weil ſie alſo nicht das Werk des Zuſammengeſetzten, ſondern des Einfachen iſt: ſo fol- ge daraus keineswegs, daß in dem Zuſammengeſetzten etwas Empfindung- und Seelenartiges ſey; ſondern vielmehr, daß alles Zuſammengeſetzte gegruͤndet ſeye im einfachen, lebendigen und gewiſſermaſſen empfinden- den ſeelenartigen Weſen §. 163. — Mir waͤre es viel natuͤrlicher vorgekommen, daß durch Beyhilfe der Or- ganiſation, und der wechſelſeitigen Ein- und Gegen- wirkung, dieſes lebendige, ſeelenartige Weſen gewin- nen ſollte, wie man §. 297 ſelbſt ausdruͤcklich behaup- tet, und eben dadurch den Schein von Ruhe und Traͤgheit in der Materie erklaͤrt; alſo weiß ich nicht, wie ich es machen ſoll, um den Zuſammenhang und die Folgerungen dieſer Saͤtze einzuſehen. 8) Das doppelte Seelenorgan, der Nerven- ſaft, der Sitz der Seele, die weſentliche Verbindung der Seele mit dem Seelenorgan u. ſ. w. ſind ſo vor- ausgeſetzte und willkuͤhrlich angenommene Dinge, daß dieſe Hypotheſe, bey aller Uebereinſtimmung mit den Alten, welche der Verfaſſer in den Noten zu §. 246 und 271 anfuͤhrt, nichts mehr und nichts we- niger, als eine ſehr ſchwankende Hypotheſe heißen kann. Auch die Griechen dachten ſchon, es muͤßte etwas ſehr feines, fluͤchtiges, aͤtheriſches ſeyn, was uns denken macht, und nannten es unſer Wir; jenes Weſen aber, welches in den Fingern fuͤhlt, in der Naſe riecht, welches empfindet, oder welches wir mit andern Thie- ren gemein haben, ſchien ihnen groͤber und thieriſcher, und ſie haben es Pſyche genannt. Dafuͤr ſagte aber auch

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/46>, abgerufen am 29.03.2024.