Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

So wenig ich aber die hitzigen Krankheiten von
Mangel der Lebenskräfte ableitete, eben so wenig fin-
de ich dieses in Rücksicht der langwierigen zu meiner
Absicht nöthig. Es giebt ohne Zweifel noch viele,
vorzüglich von Außen wirkende Ursachen, wodurch die
langwierigen Uebel erzeugt werden. Auch behaupte
ich nicht, daß man bey ihrer Heilung die einzige Ab-
sicht auf die Erweckung der Lebenskräfte haben müs-
sen; sondern nur, daß diese die allgemeinste und wich-
tigste Anzeige seye.

Im Ganzen bleibt es allzeit wahr, daß in lang-
wierigen Krankheiten die Lebenskräfte ohne Nachdruck,
die Bemühungen der Natur nur schwach sind, und
der Kreislauf gehemmt ist; die festen Theile sind ent-
weder erschlappt oder zu sehr gespannt, ausgetrocknet;
die Flüssigkeiten haben wenig Feuertheilchen. In star-
ken Leuten werden nicht gar zu mächtige Krankheits-
ursachen durch Schweiß, Harn, Stühle und andere
Ausleerungen fortgeschaft; bey schwächlichen hingegen
ist die Wirkung und Gegenwirkung der körperlichen
Bestandtheile entweder unordentlich oder zu träge; es
häufet sich nach und nach ein so ergiebiger Krankheits-
stoff an, daß die Mischung der Säfte und die Be-
schaffenheit der festen Theile auf eine Art verändert
werden, welche nur durch lange Zeit und vielfältige
Beschwerden wieder in den natürlichen Zustand zurück-
gebracht werden kann. Die Kranken klagen bald
über Hitze, bald über Frieren; bald sind sie trocken,
bald wieder steht der Schweiß in Tropfen auf ih-

nen

So wenig ich aber die hitzigen Krankheiten von
Mangel der Lebenskraͤfte ableitete, eben ſo wenig fin-
de ich dieſes in Ruͤckſicht der langwierigen zu meiner
Abſicht noͤthig. Es giebt ohne Zweifel noch viele,
vorzuͤglich von Außen wirkende Urſachen, wodurch die
langwierigen Uebel erzeugt werden. Auch behaupte
ich nicht, daß man bey ihrer Heilung die einzige Ab-
ſicht auf die Erweckung der Lebenskraͤfte haben muͤſ-
ſen; ſondern nur, daß dieſe die allgemeinſte und wich-
tigſte Anzeige ſeye.

Im Ganzen bleibt es allzeit wahr, daß in lang-
wierigen Krankheiten die Lebenskraͤfte ohne Nachdruck,
die Bemuͤhungen der Natur nur ſchwach ſind, und
der Kreislauf gehemmt iſt; die feſten Theile ſind ent-
weder erſchlappt oder zu ſehr geſpannt, ausgetrocknet;
die Fluͤſſigkeiten haben wenig Feuertheilchen. In ſtar-
ken Leuten werden nicht gar zu maͤchtige Krankheits-
urſachen durch Schweiß, Harn, Stuͤhle und andere
Ausleerungen fortgeſchaft; bey ſchwaͤchlichen hingegen
iſt die Wirkung und Gegenwirkung der koͤrperlichen
Beſtandtheile entweder unordentlich oder zu traͤge; es
haͤufet ſich nach und nach ein ſo ergiebiger Krankheits-
ſtoff an, daß die Miſchung der Saͤfte und die Be-
ſchaffenheit der feſten Theile auf eine Art veraͤndert
werden, welche nur durch lange Zeit und vielfaͤltige
Beſchwerden wieder in den natuͤrlichen Zuſtand zuruͤck-
gebracht werden kann. Die Kranken klagen bald
uͤber Hitze, bald uͤber Frieren; bald ſind ſie trocken,
bald wieder ſteht der Schweiß in Tropfen auf ih-

nen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0428" n="409"/>
            <p>So wenig ich aber die hitzigen Krankheiten von<lb/>
Mangel der Lebenskra&#x0364;fte ableitete, eben &#x017F;o wenig fin-<lb/>
de ich die&#x017F;es in Ru&#x0364;ck&#x017F;icht der langwierigen zu meiner<lb/>
Ab&#x017F;icht no&#x0364;thig. Es giebt ohne Zweifel noch viele,<lb/>
vorzu&#x0364;glich von Außen wirkende Ur&#x017F;achen, wodurch die<lb/>
langwierigen Uebel erzeugt werden. Auch behaupte<lb/>
ich nicht, daß man bey ihrer Heilung die einzige Ab-<lb/>
&#x017F;icht auf die Erweckung der Lebenskra&#x0364;fte haben mu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en; &#x017F;ondern nur, daß die&#x017F;e die allgemein&#x017F;te und wich-<lb/>
tig&#x017F;te Anzeige &#x017F;eye.</p><lb/>
            <p>Im Ganzen bleibt es allzeit wahr, daß in lang-<lb/>
wierigen Krankheiten die Lebenskra&#x0364;fte ohne Nachdruck,<lb/>
die Bemu&#x0364;hungen der Natur nur &#x017F;chwach &#x017F;ind, und<lb/>
der Kreislauf gehemmt i&#x017F;t; die fe&#x017F;ten Theile &#x017F;ind ent-<lb/>
weder er&#x017F;chlappt oder zu &#x017F;ehr ge&#x017F;pannt, ausgetrocknet;<lb/>
die Flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeiten haben wenig Feuertheilchen. In &#x017F;tar-<lb/>
ken Leuten werden nicht gar zu ma&#x0364;chtige Krankheits-<lb/>
ur&#x017F;achen durch Schweiß, Harn, Stu&#x0364;hle und andere<lb/>
Ausleerungen fortge&#x017F;chaft; bey &#x017F;chwa&#x0364;chlichen hingegen<lb/>
i&#x017F;t die Wirkung und Gegenwirkung der ko&#x0364;rperlichen<lb/>
Be&#x017F;tandtheile entweder unordentlich oder zu tra&#x0364;ge; es<lb/>
ha&#x0364;ufet &#x017F;ich nach und nach ein &#x017F;o ergiebiger Krankheits-<lb/>
&#x017F;toff an, daß die Mi&#x017F;chung der Sa&#x0364;fte und die Be-<lb/>
&#x017F;chaffenheit der fe&#x017F;ten Theile auf eine Art vera&#x0364;ndert<lb/>
werden, welche nur durch lange Zeit und vielfa&#x0364;ltige<lb/>
Be&#x017F;chwerden wieder in den natu&#x0364;rlichen Zu&#x017F;tand zuru&#x0364;ck-<lb/>
gebracht werden kann. Die Kranken klagen bald<lb/>
u&#x0364;ber Hitze, bald u&#x0364;ber Frieren; bald &#x017F;ind &#x017F;ie trocken,<lb/>
bald wieder &#x017F;teht der Schweiß in Tropfen auf ih-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nen</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[409/0428] So wenig ich aber die hitzigen Krankheiten von Mangel der Lebenskraͤfte ableitete, eben ſo wenig fin- de ich dieſes in Ruͤckſicht der langwierigen zu meiner Abſicht noͤthig. Es giebt ohne Zweifel noch viele, vorzuͤglich von Außen wirkende Urſachen, wodurch die langwierigen Uebel erzeugt werden. Auch behaupte ich nicht, daß man bey ihrer Heilung die einzige Ab- ſicht auf die Erweckung der Lebenskraͤfte haben muͤſ- ſen; ſondern nur, daß dieſe die allgemeinſte und wich- tigſte Anzeige ſeye. Im Ganzen bleibt es allzeit wahr, daß in lang- wierigen Krankheiten die Lebenskraͤfte ohne Nachdruck, die Bemuͤhungen der Natur nur ſchwach ſind, und der Kreislauf gehemmt iſt; die feſten Theile ſind ent- weder erſchlappt oder zu ſehr geſpannt, ausgetrocknet; die Fluͤſſigkeiten haben wenig Feuertheilchen. In ſtar- ken Leuten werden nicht gar zu maͤchtige Krankheits- urſachen durch Schweiß, Harn, Stuͤhle und andere Ausleerungen fortgeſchaft; bey ſchwaͤchlichen hingegen iſt die Wirkung und Gegenwirkung der koͤrperlichen Beſtandtheile entweder unordentlich oder zu traͤge; es haͤufet ſich nach und nach ein ſo ergiebiger Krankheits- ſtoff an, daß die Miſchung der Saͤfte und die Be- ſchaffenheit der feſten Theile auf eine Art veraͤndert werden, welche nur durch lange Zeit und vielfaͤltige Beſchwerden wieder in den natuͤrlichen Zuſtand zuruͤck- gebracht werden kann. Die Kranken klagen bald uͤber Hitze, bald uͤber Frieren; bald ſind ſie trocken, bald wieder ſteht der Schweiß in Tropfen auf ih- nen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/428
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/428>, abgerufen am 18.05.2024.