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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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und bis hinab aufs Schlüsselbein ausbreitete, und voll-
kommen hart wurde. Aus den Geschwüren schwitzte
einige gelbröthlichte Feuchtigkeit und hie und da ein wenig
mißfärbiger dünner Eiter. Aller Salben, Pflaster und
Umschläge ungeachtet blieb dieser Zustand fünf Wochen
der nämliche. Endlich mußte das Zimmer ungesund,
der Kranke von dem Lustseuchengift verdorben seyn --
und so wurde er bey diesen Umständen für unheilbar
erklärt, und ins Krankenhaus verdammt. Da man
aber den Lebenswandel desselben kannte, und die Quel-
le dieser Beschuldigungen aus dem bisherigen Ver-
lauf der Krankheit nicht schwer zu entdecken war; so
trug man mir die Heilung auf. -- Was werde ich
wohl gethan haben? -- Ich ersetzte der Natur, was
man ihr entzogen hatte; verordnete Wein und Pillen
aus bittern Auszügen mit peruvianischer Rinde; auf
die Verhärtung wurde eine reitzende Salbe gelegt.
Schon den dritten Tag war die Eiterung merklich,
der Eiter gut; die Schwulst fieng an, nachgiebig zu
werden; der Harn machte mehrere Tage einen häufi-
gen, weißröthlichten Bodensatz; die Kräfte und die
Eßlust nahmen zu; und innerhalb vierzehn Tagen war
das unheilbare Uebel im nämlichen Zimmer vollständig
geheilet.

Ich könnte kein anschaulicheres Beyspiel anfüh-
ren, um die Entstehung der Lungenschwindsuchten zu
erklären, wo die Zertheilung oder Entscheidung der
Lungenentzündungen durch übermäßige Blutausleerun-
gen gehindert worden sind. So behandelte Kranke
sterben zwar nicht am Brande, und nicht leicht an ro-

her

und bis hinab aufs Schluͤſſelbein ausbreitete, und voll-
kommen hart wurde. Aus den Geſchwuͤren ſchwitzte
einige gelbroͤthlichte Feuchtigkeit und hie und da ein wenig
mißfaͤrbiger duͤnner Eiter. Aller Salben, Pflaſter und
Umſchlaͤge ungeachtet blieb dieſer Zuſtand fuͤnf Wochen
der naͤmliche. Endlich mußte das Zimmer ungeſund,
der Kranke von dem Luſtſeuchengift verdorben ſeyn —
und ſo wurde er bey dieſen Umſtaͤnden fuͤr unheilbar
erklaͤrt, und ins Krankenhaus verdammt. Da man
aber den Lebenswandel deſſelben kannte, und die Quel-
le dieſer Beſchuldigungen aus dem bisherigen Ver-
lauf der Krankheit nicht ſchwer zu entdecken war; ſo
trug man mir die Heilung auf. — Was werde ich
wohl gethan haben? — Ich erſetzte der Natur, was
man ihr entzogen hatte; verordnete Wein und Pillen
aus bittern Auszuͤgen mit peruvianiſcher Rinde; auf
die Verhaͤrtung wurde eine reitzende Salbe gelegt.
Schon den dritten Tag war die Eiterung merklich,
der Eiter gut; die Schwulſt fieng an, nachgiebig zu
werden; der Harn machte mehrere Tage einen haͤufi-
gen, weißroͤthlichten Bodenſatz; die Kraͤfte und die
Eßluſt nahmen zu; und innerhalb vierzehn Tagen war
das unheilbare Uebel im naͤmlichen Zimmer vollſtaͤndig
geheilet.

Ich koͤnnte kein anſchaulicheres Beyſpiel anfuͤh-
ren, um die Entſtehung der Lungenſchwindſuchten zu
erklaͤren, wo die Zertheilung oder Entſcheidung der
Lungenentzuͤndungen durch uͤbermaͤßige Blutausleerun-
gen gehindert worden ſind. So behandelte Kranke
ſterben zwar nicht am Brande, und nicht leicht an ro-

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[376/0395] und bis hinab aufs Schluͤſſelbein ausbreitete, und voll- kommen hart wurde. Aus den Geſchwuͤren ſchwitzte einige gelbroͤthlichte Feuchtigkeit und hie und da ein wenig mißfaͤrbiger duͤnner Eiter. Aller Salben, Pflaſter und Umſchlaͤge ungeachtet blieb dieſer Zuſtand fuͤnf Wochen der naͤmliche. Endlich mußte das Zimmer ungeſund, der Kranke von dem Luſtſeuchengift verdorben ſeyn — und ſo wurde er bey dieſen Umſtaͤnden fuͤr unheilbar erklaͤrt, und ins Krankenhaus verdammt. Da man aber den Lebenswandel deſſelben kannte, und die Quel- le dieſer Beſchuldigungen aus dem bisherigen Ver- lauf der Krankheit nicht ſchwer zu entdecken war; ſo trug man mir die Heilung auf. — Was werde ich wohl gethan haben? — Ich erſetzte der Natur, was man ihr entzogen hatte; verordnete Wein und Pillen aus bittern Auszuͤgen mit peruvianiſcher Rinde; auf die Verhaͤrtung wurde eine reitzende Salbe gelegt. Schon den dritten Tag war die Eiterung merklich, der Eiter gut; die Schwulſt fieng an, nachgiebig zu werden; der Harn machte mehrere Tage einen haͤufi- gen, weißroͤthlichten Bodenſatz; die Kraͤfte und die Eßluſt nahmen zu; und innerhalb vierzehn Tagen war das unheilbare Uebel im naͤmlichen Zimmer vollſtaͤndig geheilet. Ich koͤnnte kein anſchaulicheres Beyſpiel anfuͤh- ren, um die Entſtehung der Lungenſchwindſuchten zu erklaͤren, wo die Zertheilung oder Entſcheidung der Lungenentzuͤndungen durch uͤbermaͤßige Blutausleerun- gen gehindert worden ſind. So behandelte Kranke ſterben zwar nicht am Brande, und nicht leicht an ro- her

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/395>, abgerufen am 21.05.2024.